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Politik: Im Aufstieg des FPÖ-Chefs spiegeln sich die Schwächen der Europäischen Union (Kommentar)

Als Jörg Haider in dieser Woche von einem französischen Fernsehmoderator befragt wurde, wie er Europa definiere, leitete der FPÖ-Chef seine Antwort mit der Formel von "unserem Lebensraum" ein, um beim Europa der Nationen zu landen. In Österreich braucht Haider zurzeit nicht viel über Europa zu reden - seine Wähler wissen, warum sie sich der FPÖ in die Arme geworfen haben.

Als Jörg Haider in dieser Woche von einem französischen Fernsehmoderator befragt wurde, wie er Europa definiere, leitete der FPÖ-Chef seine Antwort mit der Formel von "unserem Lebensraum" ein, um beim Europa der Nationen zu landen. In Österreich braucht Haider zurzeit nicht viel über Europa zu reden - seine Wähler wissen, warum sie sich der FPÖ in die Arme geworfen haben. Die Haider-Partei bietet nicht nur ein Reformversprechen nach der Erstarrung der Großen Koalition. Sie verheißt auch Schutz vor Europa, vor der Überforderung durch entfesselte Märkte, vor ungeregelter Zuwanderung im Zuge der Osterweiterung. Nicht nur die 14 EU-Staaten setzen Österreich unter Druck. Haider setzt auch Europa unter Begründungs-Zugzwang.

Um es klar zu sagen: Die Entscheidung der 14 EU-Regierungschefs, Österreichs neuer Regierung ein Signal der Missbilligung zu geben, war richtig. Sie zeigt, dass es in Europa eine rote Linie gibt, die man nicht überschreiten sollte. Auch der gestrige Boykott der Rede der neuen österreichischen Außenministerin vor der OSZE beweist, dass Frankreich und Belgien - die beiden Hardliner unter den 14 EU-Staaten - so schnell nicht zur Tagesordnung übergehen wollen. Die Frage, ob andererseits Europa nicht längst sämtliche Barrieren gegen die Einmischung in nationalstaatliche Souveränität umgerissen hat, ist dabei keineswegs nur akademischer Natur. Sie ist der Kern der mal polemischen, mal ernsthaften Auseinandersetzung, die Haiders FPÖ, aber eben auch alle anderen Parteien um Europa führen.

Die CDU/CSU nimmt die drohende Isolierung Österreichs durch die 14 EU-Regierungschefs zum Anlass, das Gespenst eines sozialistischen Brüsseler Superstaates an die Wand zu malen. Gleichzeitig tut Kanzler Schröder sein Bestes, um den deutschen Föderalismus und die Sparkassen gegen EU-Wettbewerbskommissar Monti zu verteidigen. Und die deutsche Öffentlichkeit weiß spätestens seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes im Streitfall einer jungen Frau namens Tanja Kreil, dass Europa sich durchaus das Recht herausnimmt, in einen Kernbereich nationaler Souveränität einzugreifen - die Verteidigungspolitik. Alle drei Beispiele zeigen: Der Zug Richtung Europa ist längst abgefahren. Es geht ja auch gar nicht mehr um die Frage, ob sich die EU in innere Angelegenheiten einzumischen hat, sondern wie die europäische Vielfalt sinnvollerweise erhalten bleiben kann. Aber noch einmal: Auf der Ebene des Regierungshandels dürfen die menschenfeindlichen Facetten der FPÖ-Politik nicht zu dieser Vielfalt gehören.

Aber es wäre auch nur die halbe Wahrheit, wenn man die Überforderung der Bürger mit "Europa" allein auf das selbstbewusste Vorgehen der 14 Regierungschefs gegenüber Österreich zurückführen würde. Warum sich mit anti-europäischen Tiraden Stimmung machen lässt, hat noch einen anderen Grund. Wie alle, die im nationalen Rahmen um Wähler werben, müssen auch die Brüsseler Politiker mit dem Doppelgesicht der Moderne fertig werden: Technologischer Fortschritt und unsichere Arbeitsmärkte, e-commerce und die Furcht, keinen Platz unter der Sonne der "New Economy" mehr zu finden. Gerade hat EU-Kommissionspräsident Prodi dargelegt, worauf es ihm in den nächsten fünf Jahren ankommt. Europas Anspruch, den Anschluss an die globale Wirtschaft nicht zu verpassen, spielt dabei eine wichtige Rolle - zu Recht.

Allerdings wäre es eine ungesunde Arbeitsteilung, wenn der Nationalstaat seinen Bürgern künftig eine sichere Burg versprechen würde, die EU dagegen für die Liberalisierung zuständig wäre. Genau dies wäre das Zerrbild einer bürgerfeindlichen EU, das sich Rechtspopulisten wie Haider zu Nutze machen.. Verantwortungsvolle Politiker haben aber die Pflicht, alle - Modernisierungs-Gewinner und potenzielle Verlierer - mit auf die Reise in die Zukunft zu nehmen. Eines sollten sie vor allem nicht: Allein Brüssel für die unvermeidlichen Strukturveränderungen in Europa verantwortlich machen.

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