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Im Blick: Das Dilemma mit den Diktatoren

Dagmar Dehmer über das Scheitern einer ethischen Außenpolitik Europas

Der Versuch der Europäer, ihrer Außenpolitik ein ethisches Fundament zu geben, er droht zu scheitern. Zu besichtigen ist das in Afghanistan, Simbabwe oder Libyen. Wie sollen die Europäer mit einer von Hamid Karsai geführten Regierung umgehen, deren Machtbasis auf offensichtlichem Wahlbetrug beruht? Ist es tatsächlich angebracht, dass die Europäische Union wieder ihre volle Entwicklungshilfe an Simbabwe zahlt, auch wenn weiterhin Menschenrechtler und Angehörige der Partei des Premierministers Morgan Tsvangirai ohne Urteil festgehalten oder gefoltert werden? Und was tun mit einem Diktator wie Muammar Gaddafi, der zwar dem Terror abgeschworen hat, den Westen aber immer wieder vorführt?

Zugegeben, die Lage in allen drei Ländern ist sehr unterschiedlich. Aber das ethische Dilemma ist in allen drei Fällen vergleichbar. Am einfachsten ist die Gemengelage im Fall Libyen. Das Land verfügt über große Mengen Öl, und alle wollen dort ins Geschäft kommen. Nachdem Gaddafi den Angehörigen der Opfer des Lockerbie-Attentats eine Entschädigung gezahlt hatte, begann die Normalisierung der Beziehungen zu Libyen. So stiegen die deutschen Exporte in das nordafrikanische Land im Jahr 2008 um 56 Prozent auf eine Milliarde Euro. Ende April reiste Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg nach Tripolis, um dem ewigen Revolutionsführer, der seit 40 Jahren an der Spitze Libyens steht, seine Aufwartung zu machen. Über Menschenrechtsverletzungen oder den diktatorischen Führungsstil Gaddafis sieht die deutsche Außen(wirtschafts)politik ebenso großzügig hinweg wie die aller anderen europäischen Staaten. Gaddafi hat eine eigene Art, dieses Werben zu vergelten: Zur UN-Vollversammlung in wenigen Tagen wird er als „König der Könige“ anreisen, zu dem er sich von afrikanischen Königen im vergangenen Jahr hatte wählen lassen. Und er bringt eine Rechnung mit: Der Westen soll 777 Billionen US-Dollar als Wiedergutmachung für Kolonialismus und Sklaverei bezahlen. Libyen übernimmt übrigens Ende des Monats für ein Jahr den Vorsitz der UN-Vollversammlung.

Während die europäische Außenpolitik im Falle Libyens keine erkennbaren Zugeständnisse mehr verlangt, trägt sie die Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte und demokratischen Standards im Fall Afghanistan und im Fall Simbabwe zumindest rhetorisch noch vor sich her. Es ist ja auch schwer zu erklären, warum viel Geld europäischer Steuerzahler für die Organisation von Wahlen in Afghanistan ausgegeben wird, es aber keinerlei Konsequenzen hat, wenn es zu Wahlbetrug im großen Maßstab kommt. Auf der anderen Seite ist die Sicherheitslage in Afghanistan so prekär, dass den dort lebenden Menschen ein weiterer Wahlgang kaum zuzumuten ist. Eine Regierung der nationalen Einheit aus Karsai und seinem schärfsten Konkurrenten Abdullah Abdullah hätten die Europäer aber vermutlich auch ohne Wahl bekommen können. Es gibt gute realpolitische Gründe, mit der künftigen afghanischen Regierung zusammenzuarbeiten. Aber vielleicht wäre es angebracht, zumindest einzugestehen, dass die Demokratisierungsbemühungen im Land gescheitert sind. Und das gilt in Simbabwe erst recht.

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