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Rabbinerin Susan Silverman (links) und ihre Tochter Hallel Abramowitz (Mitte) bei ihrer Festnahme im Februar 2013 an der Klagemauer in Jerusalem. Sie wollten als Frauen dort ungehindert mit Gebetsschal beten und singen.

© Janos Chiala/AFP

Im Gedenken an Anne Frank: Willkommenskultur in Israel

Mehr als hundert Rabbiner wollen Flüchtlinge aus Afrika, denen die Abschiebung droht, verstecken. Organisiert wird der Protest von Susan Silverman, einer Schwester der US-Komikerin Sarah Silverman

Manchmal gelangen Menschen an einen Punkt, an dem sie sagen: Halt, nicht mit mir, es geht auch anders. Etwas altmodisch formuliert: Die Stimme des Gewissens spricht zu ihnen. Das Leben von Susan Silverman ist geprägt von solchen Momenten. Dabei scheut die israelische Reformrabbinerin keine Konflikte, weder mit religiösen Autoritäten noch mit weltlichen Gesetzeshütern.

Monat für Monat stritten sie und andere Frauen der Gruppe „Women of the Wall“ für das Recht, ebenso wie Männer an der Klagemauer in der Jerusalemer Altstadt beten und singen, aus der Thora lesen, Gebetsriemen und -schals tragen zu dürfen. Sie ließen sich bespucken und beschimpfen, wurden zeitweise verhaftet und mussten an anderen Tagen von einem Großaufgebot der Polizei beschützt werden. Am Ende setzten sie sich gegen den Widerstand der Orthodoxie durch.

Die jüngste Initiative von Susan Silverman nennt sich „Anne Frank Home Sanctuary Movement“, es ist ein Ableger der Organisation „Rabbis for Human Rights“. Sie und viele andere Rabbiner wollen rund 38.000 Asylsuchende aus Afrika, von denen die meisten illegal über die ägyptische Grenze nach Israel eingereist waren, vor der Abschiebung bewahren. „Wer von euch ist bereit, diesen Menschen ein Zuhause zu geben“, fragte sie die Anwesenden bei einem Rabbiner-Kongress in Jerusalem. Alle hoben die Hand. Laut Silverman waren es mehr als einhundert.

Anne Frank. Das Schicksal des jüdischen Mädchens, das 1934 mit seinen Eltern und seiner Schwester vor den Nazis aus Deutschland in die Niederlande geflohen war, im besetzten Amsterdam in einem Hinterhaus versteckt wurde und ein Tagebuch schrieb, bevor sie schließlich doch entdeckt, deportiert und im Konzentrationslager Bergen-Belsen mit 15 Jahren ermordet wurde, ist fest mit der Erinnerung an den Holocaust verknüpft. „Menschen haben ihr Leben riskiert, um Juden zu retten“, hat Silverman der Zeitung „Haaretz“ gesagt. „Und wir, als ein Land, wollen heute nicht die kleinste demografische Veränderung riskieren?“

Das Gros der afrikanischen Flüchtlinge in Israel kommt aus Eritrea und dem Sudan. Premierminister Benjamin Netanjahu, der sie als „Eindringlinge“ bezeichnet, hat sie vor die Wahl gestellt, entweder knapp 3500 Dollar anzunehmen und sich abschieben zu lassen oder auf unbestimmte Zeit ins Gefängnis gesteckt zu werden. Eine Chance auf Asyl hat kaum einer, mehr als 99 Prozent der Anträge werden abgelehnt. Im April sollen die Abschiebungen beginnen. In ihren Heimatländern sind sie von Folter und Inhaftierung bedroht.

Auch ihr Eheman, Yosef Abramowitz, ist ein humanitärer Rebell

Silverman stammt aus den USA, lebt aber seit zwölf Jahren in Israel. Dort ist sie mit einem anderen Menschenrechtsaktivisten verheiratet, Yosef Abramowitz, der vor vier Jahren für das Amt des israelischen Präsidenten kandidiert hatte. Gemeinsam haben sie fünf Kinder, zwei davon aus Äthiopien adoptiert. Abramowitz ist ein Pionier der Solarenergie und wurde wegen seines Engagements für Apartheidsgegner und Juden aus der Sowjetunion bereits dreimal für den Friedensnobelpreis nominiert.

Auch er ist ein humanitärer Rebell. Er hat Hungerstreiks organisiert, wurde zweimal verhaftet. „Yosef war auf eine Million Arten genau wie ich“, sagte Silverman in einer NPR-Sendung über ihr Buch „Creating a Family in a Beautiful Broken World“. „Er war ein liberaler Aktivist, der gegen jedes Unrecht aufstand.“

Der Kreis schließt sich durch Susan Silvermans berühmteste Schwester, die amerikanische Komikerin, Schauspielerin und Schriftstellerin Sarah Silverman. Auf den ersten Blick sind beide Frauen grundverschieden. Hier die nüchterne, fromme, geradlinige Rabbinerin, Kämpferin und Mutter. Dort die säkulare, absichtlich kinderlose, gelegentlich depressive, bitterbös-sarkastisch-vulgäre Komikerin, die keine Hemmungen hat, Witze über das Bettnässen, den Holocaust, Homosexuelle, Schwarze, Juden, Christen und Mexikaner zu machen. Dafür wurde sie zweimal mit einem Emmy ausgezeichnet.

Doch auf den zweiten Blick lassen sich Gemeinsamkeiten erkennen. Beide finden sich nicht ab, sie thematisieren – jede auf ihre Weise – humanitäre Missstände, kämpfen gegen Vorurteile und politische Hybris. Im letzten Präsidentschaftswahlkampf hatte Sarah Silverman zunächst den demokratischen Gegenkandidaten von Hillary Clinton, Bernie Sanders, unterstützt, mobilisierte dann aber auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten, nachdem Sanders ausgeschieden war, alle Kräfte für Clinton.

Susan und Sarah sind ein Herz und eine Seele. Die Hochzeit ihrer Schwester mit Abramowitz kommentierte die Komikerin bei „Saturday Night Live“ so: „Das Paar hat einen Bindestrich-Namen, sie heißt jetzt Susan Silverman-Abramowitz. Aber sie denken darüber nach, ihn abzukürzen zu nur einem Wort – ,Juden‘."

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