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Politik: Im Namen Gottes

Von Friedemann Diederichs, Washington Die Mitteilungen, die der kalifornische Mediziner Michael Newdow in den letzten 24 Stunden auf seinem Anrufbeantwortet fand, waren deutlich. „Wir hängen dich auf, du Schwein“ oder „Pass gut auf, wenn du morgen auf die Straße gehst.

Von Friedemann Diederichs,

Washington

Die Mitteilungen, die der kalifornische Mediziner Michael Newdow in den letzten 24 Stunden auf seinem Anrufbeantwortet fand, waren deutlich. „Wir hängen dich auf, du Schwein“ oder „Pass gut auf, wenn du morgen auf die Straße gehst.“ Seine Tochter, eine Zweitklässlerin , sollte nicht mehr jeden Morgen in ihrer Schule in Sacramento die peinliche Situation erdulden , beim rituellen Treueschwur der Kinder auf die US-Fahne zu schweigen. Als Athestin wollte sie die darin enthaltene religiöse Formel nicht sprechen. Deshalb hatte der Vater für sie geklagt – und von einem dreiköpfigen Richtergremium in Kalifornien zunächst Recht bekommen.

Selten hat ein Urteilsspruch die Bürger so provoziert. Seit Präsident George W. Bush mit den Worten „ein lächerliches Urteil“ die Marschroute bei der Schelte vorgab, wird in Medien, Schulen und auf der christlich-konservativ dominierten politischen Bühne ein erbitterter Kampf gefochten.

Michael Newdow war der vom US-Kongress im Jahr 1954 um die beiden Worte „under God“ (unter Gott, siehe Kasten) ergänzte Treueschwur ein Dorn im Auge. Täglich treten Millionen von Schülern und Lehrern zu dem Ritual an – unter dem Sternenbanner, die Hand auf dem Herzen. Eine Veranstaltung, die an derartige Bezeugungen nicht Gewöhnte an preußischen Kasernenhof-Drill erinnern könnte. Widerspruch ist unerwünscht und Schweigen wird mit giftigen Blicken geahndet.

Die Richterkammer in Los Angeles hatte dies nachvollziehen können und argumentiert, nichtchristliche Schüler würden „vor die „unakzeptable Wahl gestellt, entweder teilzunehmen oder zu protestieren“. Die derzeit benutzte Formel sei, so der Vorsitzende Richter Alfred Goodwin, deshalb verfassungswidrig.

So überraschend das von seiner Kammer mit zwei Stimmen gegen eine gefällte Urteil war, so überraschend wurde es jetzt von derselben Kammer bis zu einer erneuten Überprüfung ausgesetzt. Die Politiker im US-Kongress, egal ob Demokrat oder Republikaner, feierten dies umgehend als Sieg – ihre Aktionen, sei es der gemeinsame Treueschwur mit Schülern ihres Wahlkreises oder ein spontanes Gelöbnis inklusive der umstrittenen „eine Nation unter Gott"-Formel auf den Treppen zum Kapitol hätten die gewünschte Wirkung gezeigt. Zudem hatten beide Kammern des Kongresses mit überwältigender Mehrheit Resolutionen gegen das Urteil verabschiedet.

Dabei hätte es vermutlich noch nicht einmal des Proteststurms der Patrioten bedurft: Die sieben Richterinnen und Richter des Obersten Gerichtshofs in Washington, bei denen der Treueschwur-Prozess zur endgültigen Beurteilung landen dürfte, beginnen seit Jahrzehnten ihre täglichen Beratungen mit der Formel: „So wahr uns Gott helfe“. Und dass die höchsten Richter sich mit dem Thema befassen werden, dafür will schon US-Justizminister John Ashcroft sorgen: „Wir werden die Chance unserer Kinder verteidigen, auch künftig den Treueschwur vor unserer Fahne abzulegen.“

Experten in den USA zweifeln nicht daran, dass der „Supreme Court" letztlich alles beim Alten lassen wird - zumal er überwiegend mit konservativen Richtern besetzt ist.

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