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Runde um Runde. Wolfgang Schäuble am Mittwoch bei seiner Ankunft im Kabinettssaal, im Hintergrund Kirchners "Sonntag der Bergbauern".

© dpa

Im Sturmflug: Wolfgang Schäuble und die endlosen Krisentage

Es hat auch ihn, den Finanzminister und Europakämpfer, überrascht, was in Athen passiert, dass Papandreou alles aufs Spiel setzen will. Sagt er. Und seine Miene sagt nichts anderes.

Diese Stille in seinem Zimmer. Und so aufgeräumt ist es. Keine Akten liegen herum, als warteten sie dringend darauf, gelesen zu werden. Ein paar Papiere auf dem Schreibtisch, der Konferenztisch ist leer. Die Stühle stehen gerade. Alles hat seine Ordnung. Alles ist in Ordnung, möchte man meinen. Und er ist Herr der Situation.

Ist er auch Herr der Lage? Wolfgang Schäuble wirkt, man mag es kaum schreiben, tiefenentspannt. Er trägt Hemd ohne Krawatte, die Haare sind gestutzt, die randlose Brille, die er seit geraumer Zeit hat, ist sauber. Keine Fingerabdrücke darauf, keine verschmierte Sicht, das sieht man gegen das Licht. Guter Durchblick, fällt einem automatisch ein, aber wahrscheinlich auch, weil es gut wäre, wenn es so wäre. Schäuble lächelt. Sogar freundlich. Was angesichts dieser Gesamtsituation durchaus überrascht und heiter stimmt.

Dabei ist die Lage da, hätte der alte Konrad Adenauer gesagt, der erste Kanzler der Republik West, wie man hinzufügen muss. Inzwischen ist Deutschland wieder beisammen, beide Teile, beide Staaten wachsen zusammen, und was sich Adenauer vielleicht erträumt hat, was dessen Nachfolger Ludwig Erhard vielleicht mal erkaufen wollte – das also hat dieser Mann, der da vor einem sitzt, als Architekt der deutschen Einheit gemacht. Ein harter, zäher, gewiefter Unterhändler. Schäuble hat Adenauer auch noch gekannt. Und sieht sich jetzt gefordert, mit allem, was er gesehen, erlebt, gelernt hat, die zweite Grundfeste Adenauers zu sichern: Europas Einigung.

Ja, bald gehört auch Schäuble zum Gründungsmythos der geeinten Republik. So oder so wird Schäuble dazugehören, ob er bleibt oder geht, in der Regierung oder im Bundestag. Es wird sein letztes großes Amt sein, das des Bundesministers der Finanzen, wenn nicht alles täuscht. Immerhin ist er 69 und sitzt im Rollstuhl. Allerdings weiß man bei einem wie ihm nie, seine Wechselfälle des Lebens sind gewaltig. So, wie man auch nicht immer weiß, was er wirklich will. Manchmal, das ist sein großes Geheimnis, weiß er es selbst nicht. Da gerinnt dann nachträglich zur Strategie, was vorher keine war. Aber eines weiß inzwischen doch wohl bald jeder in der Republik: dass er das, was er gerade macht, gut machen will, besser als jeder andere vor ihm. Das ist die Eitelkeit, die er sich erlaubt.

Und, macht er das Amt jetzt besser als alle vor ihm? Ihm darf man diese Frage nicht stellen, er würde sie nur sarkastisch beantworten. Die FDP, also genauer: ihre Führung, sagt, sie habe kein Problem mit ihm. Das klang schon mal schlimmer, damals, als Guido Westerwelle noch Parteivorsitzender war. Äonen scheint das her zu sein. Westerwelle hat nichts ausgelassen, um Schäuble kleiner zu machen, als er ihm erschien, hat ihm das Amt des Bundespräsidenten verwehrt, anderes. Ein Fall der Psychologie: Mach den Gegner kleiner, so wirst du größer. Das Ergebnis ist heute zu besichtigen. Schäuble ist der wichtigste Minister der schwarz-gelben Regierung, der Veto-Minister, ihr Schatzkanzler, involviert in große internationale Politik, präsent auf allen Konferenzen von Bedeutung. Westerwelle dagegen sitzt im Außenamt und hat eine neue Brille, die an seinen Vorgänger Frank-Walter Steinmeier erinnert.

Lesen Sie auf Seite 2, was Schäuble von Wirtschaftsminister Rösler hält.

Inzwischen ist Philipp Rösler der Vorsitzende, außerdem sein Kollege Wirtschaftsminister, und Schäuble findet ihn tatsächlich so, wie er es einmal öffentlich gesagt hat: liebenswürdig. Und kompetent. Aber weil er so ist, wie er ist, mitunter sarkastisch und hart und leise umweht vom Ruch des Mephistophelischen, wurde bei ihm das Verneinende gleich mitgedacht. Das zeigte sich an der Reaktion der FDP und der Öffentlichkeit. Ihm glaubte so recht keiner, auch nicht, als er seine Einschätzung des neuen FDP-Chefs wiederholte. Inzwischen glaubt ihm aber Rösler wohl eher.

Die beiden sind unlängst gemeinsam aufgetreten, als sie den Verzicht auf eine Steuererhöhung als Steuersenkung deklarierten. Dem waren mehrere Gespräche vorausgegangen, der Chef des Bundeskanzleramts, Ronald Pofalla, war froh, in Gesprächen Rösler so weit gebracht zu haben, dass er dieses Vorhaben akzeptiert. Wahrscheinlich war er ebenso froh, dass Schäuble es auch tat. Dabei war das gar nicht so schwer, Schäuble in diesem Punkt gar nicht schwierig. Der Finanzminister hatte in seiner Rede zur Einbringung des Bundeshaushalts doch schon über die „kalte Progression“ und Maßnahmen dagegen gesprochen. Nur hatten wieder die meisten auf den Klang und nicht auf den Inhalt seiner Worte gehört. Bei Schäuble macht ja auch der Ton in der Tat manchmal die Musik.

Der Auftritt vor den versammelten Journalisten der Bundeshauptstadt war auf seine Weise eine Demonstration. Auch auf Schäubles Weise. Er wollte Rösler Reverenz erweisen, ließ ihm dafür den Vortritt in jeder Hinsicht. Es wäre sogar fast gelungen, Eintracht zu zeigen – wenn die störenden Geräusche aus München nicht gewesen wären. Aber wer so lange im politischen Geschäft ist wie Schäuble, der ahnt so was. Mehrmals hatte er gefragt, ob alles abgesprochen sei. Mit der CSU in Berlin war alles klar. Das Gewicht der CSU in München zeigt sich an dem Maß, in dem sie ignoriert wird. Nicht zuletzt von der Kanzlerin.

Also, von der FDP droht Schäuble gegenwärtig weniger Ungemach. Und wenn sie dort auch weniger vom zu behandelnden Problem her denken, wie es Schäuble besser gefiele, sondern an ihr Überleben als Partei – er denkt dann an die vielen, vielen zurück, mit denen er so manches große Problem unter ähnlichen Umständen gut lösen konnte, an Genscher, Mischnick, Lambsdorff, Kinkel, Gerhardt, selbst Möllemann. Wenn Schäuble darüber nachsinnt, dann scheint die Zeitspanne auf, die er jetzt schon Politik macht, seit 1972 im Bundestag, immer wieder als personifizierter Koalitionsausschuss und inzwischen als lebendes Institut für Zeitgeschichte.

Wenn nur die Geschichte ihn jetzt nicht hinwegfegt. Was Giorgos Papandreou in Griechenland gerade macht, eine Volksabstimmung zum Euro auszurufen, hat auch ihn überrascht. Sagt Schäuble, und seine Miene sagt nichts anderes. Kein Mephisto schaut ihm aus dem Gesicht. Er habe auch nicht Papandreou angerufen, damit der von den 55 Milliarden Euro ablenkt, um die sich die Bad Bank der Hypo Real Estate, kurz HRE, bei ihren Bilanzen korrigieren musste, sagt er noch schnell dazu, um jeder ironischen Bemerkung auf seine Kosten besser zuvorzukommen. Dass das gelingt, stimmt ihn heiter.

Er ruckelt sich kurz zurecht in seinem Rollstuhl, das wirkt immer auch wie ein Signal, eines für Wachheit, für Haltung. Fertigmachen zum Angriff – nur kommt keiner. Er bleibt gelassen, freundlich. Ein erstaunliches Bild. Es erinnert an „Sturmflug“, den Roman von Herman Wouk, in dem von der Stille im Auge des Hurrikans erzählt wird, in das einer hineinfliegt, um diesen Sturm dann von innen heraus zu entschärfen.

Schäuble hat sich tief hineinbegeben. Anderthalb Jahre lang hat er die Bundestagsfraktion der Union und seine Bundeskanzlerin geplagt mit seinem Plädoyer für Europa, politisch, wirtschaftlich, auch rechtlich, weil ihm als Juristen gerade auch in Verfassungsfragen niemand was vormachen soll. Und dann hat er sich vor einigen Wochen angreifbar gemacht, indem er andeutete, dass alle Finanzinstrumente „effizient genutzt“ werden sollten; was dann sofort gedeutet wurde, als suche jemand einen Hebel, um noch mehr aus allem und allen herauszuholen. Das Misstrauen wuchs in diese Richtung, als wollte da einer nicht das sagen, von dem er annahm, dass es passieren würde.

Lesen Sie auf Seite 3, wie sehr sich der Finanzminister über die 55,5-Milliarden-Panne ärgert.

Aber war es nicht so, dass er schon vor mehr als einem Jahr seinen Vorschlag zum Europäischen Währungsfonds gemacht hatte? Darin ging es um möglichst weitgehende Instrumente zur Stabilisierung der Euro-Zone, ohne die Zentralbank anzuzapfen. Das hat Schäuble allerdings allen, die es anging, gesagt. Auch öffentlich. Ein Missverständnis in Kauf zu nehmen, traut sich nur einer, der alle Formen von Verhandlungen erlebt hat. Der bis an den Rand dessen geht, was geht. Der das Spiel mit Worten beherrscht. Der zur Not den Mephisto kann.

Anderthalb Jahre, und jetzt, da alle und die Kanzlerin voran, im gemeinsamen Sinn Europa retten wollen – da passiert das, womit offenbar niemand mehr wirklich gerechnet hat. Wer hatte Papandreous Andeutungen bei Merkel schon ernst genommen? Hatten sie dem Athener Premier das nicht auch gemeinschaftlich ausgeredet? Oder hatte ihm nur niemand widersprochen, weil damit zur Strategie gerinnt, was vorher keine war: Griechenland geht pleite und raus aus dem Euro?

Seine Miene verrät ihn nicht. Schäuble hat in aller Frühe mit seinem griechischen Amtskollegen telefoniert. Obwohl der ja krank sein soll. Der Kollege war auch überrascht worden. Alle waren überrascht, sagt der. Schäuble hat ihm erklärt, was er auch öffentlich sagt, nur unter Verzicht auf das zwischen ihnen beiden übliche „Du“: Die Deutschen stehen zu dem Vereinbarten, sie helfen, solange die Griechen das wollen. Aber die Umsetzung des Vereinbarten darf nicht so lange auf sich warten lassen, damit die Verunsicherung bei Märkten und Menschen nicht ins Unermessliche wächst. Kurz: Die Lage ist da, aber sie soll so schnell wie möglich geklärt werden. Er klingt nicht heiter. Aber unglücklich wirkt er auch nicht.

Anders als die Franzosen. Von denen hört man, dass Nicolas Sarkozy geflucht haben soll, als er die Kunde hörte. Da wollte er ein Mal im sonnigen Cannes einen Gipfel abhalten, der nicht von Verwerfungen überschattet wird, und dann das. Nun muss sich die „Frankfurt- Runde“ wieder treffen, mit allen Wichtigen zur europäischen Krisenbewältigung. Schäuble gehört dazu, selbstverständlich. Überschattet Papandreou nicht alles, auch die HRE, ihre Bad Bank und die 55,5 Milliarden Euro?

Das wäre was, wenn daraus doch noch ein Sturm würde. Wolfgang Schäuble bleibt, was er war: entspannt. Seine Haltung ist unverändert. Er ärgert sich, ja doch, über sich selbst – aber weil er nicht verhindert hat, dass „eine Geschichte mit Null eine wird“. So drückt er es aus. Eine Null-Geschichte, meint er. Und sagt, dass sich nichts ändert an der wirklichen und wahrhaftigen Schuldenlast durch den Rechenfehler. Dass es nicht einen Euro mehr oder weniger gibt. Dass es eine Frage der Darstellung in den Statistiken ist, eine für Eurostat, die Eurostatistiker, die nur die Passiva aufnehmen, die Schulden. Hätte einer auch Säcke von Diamanten, um die aufzuwiegen, es würde nichts nützen. Eurostat pflegt eine Buchführung, die ein Problem wie das mit der HRE nicht kennt. Alle sollen das so gesehen haben, nicht als reales Problem, alle Fachleute, und alle ärgern sich jetzt.

Unterm Strich also kein Problem? Das kann das Problem sein, wenn man unbedingt Fachmann sein will. Dann sieht man die Sachen manchmal anders. Was ist denn, wenn jetzt einer aus der Opposition seinen Rücktritt fordert? Schäuble blickt auf, schaut unverwandt zurück. Peer Steinbrück, erwidert er, habe doch schon gesagt, dass der Finanzminister die Details bei der Bilanzierung der Bad Bank nicht wissen müsse. Immerhin, Steinbrück, der Vorgänger im Amt, der für die SPD Kanzlerkandidat werden kann, mindestens das. Mit dem Bezug auf ihn kann Wolfgang Schäuble nach Lage der Dinge in jedem Fall Herr der Situation bleiben.

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