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Politik: Im Zweifel für den Kanzlerkandidaten

Von Robert Birnbaum und Robert von Rimscha, Mannheim Wenn Hans Dietrich Genscher nicht am Sonntag in Wachtberg verabredet wäre, wäre die Sache viel einfacher. Der Ehrenvorsitzende aber hat schon was vor an seinem Wohnort südlich von Bonn.

Von Robert Birnbaum und

Robert von Rimscha, Mannheim

Wenn Hans Dietrich Genscher nicht am Sonntag in Wachtberg verabredet wäre, wäre die Sache viel einfacher. Der Ehrenvorsitzende aber hat schon was vor an seinem Wohnort südlich von Bonn. Dabei wird er dringend in Mannheim gebraucht. Genscher, der große alte Mann der FDP, soll dem starken jungen Mann der FDP am Sonntag den Titel antragen, und der Parteitag soll ihn per Akklamation bestätigen: Kanzlerkandidat Guido Westerwelle. „Niemand anders als Genscher“, sagt ein Anhänger der Idee, „kann diesen Vorschlag machen".

Die K-Frage ist das unterschwellige Hauptthema dieses FDP-Wahlparteitags. Auf den ersten Blick erstaunlich, denn der FDP-Parteitag in Düsseldorf hat beschlossen, einen „FDP-Kanzlerkandidaten“ werde es nicht geben. Aber das ist ein Jahr her. Schon der flüchtige Betrachter kann im Saal des Tagungszentrums Rosengarten erkennen, dass seither viel passiert ist. Die gelben Pappfähnchen mit der blauen 18, damals noch trotzig aufgerichtetes Wappenzeichen der Jürgen-Möllemann-Truppe, prangen nun auf allen Delegiertentischen. Sogar Parteivize Wolfgang Döring outet sich als „verbissener Anhänger des Projekts 18“ – wenn auch erst „seit 14 Tagen". Seit dem Wahltriumph in Sachsen-Anhalt verstummen die Zweifler.

Der Wahlerfolg hat auch die K-Frage wiederbelebt. Damals in Düsseldorf hatte Westerwelle noch vor einem Schritt „vom Mut zum Übermut“ gewarnt. Aber damals war der Streit um den Kanzlerkandidaten auch, wie es ein Präsidiumsmitglied ausdrückt, „in erster Linie eine innerparteiliche Machtfrage". Die hat Westerwelle seinerzeit im Rededuell gegen Möllemann zu seinen Gunsten entschieden. Heute geht es aber nicht mehr um die Macht in der FDP, sondern um die Macht in Deutschland.

Ob dabei der Kandidaten-Titel hilft? In der engeren FDP-Führung war noch am Donnerstag in Mannheim eine klare Mehrheit bedenklich gestimmt. Von den neun Präsidiumsmitgliedern führten fünf zunächst Einwände ins Feld: Rexrodt und Brüderle, Döring, Matz und Homburger. Am deutlichsten argumentierten die kooptierten Mitglieder Solms, Gerhardt und Kinkel gegen die Idee. Doch der Widerstand ist nicht hart. Niemand will, niemand kann Westerwelle etwas abschlagen. Typisch die Position Wolfgang Gerhardts. Der Fraktionschef hat abgeraten – aber zugleich gesagt, wenn Westerwelle es machen wolle, dann „werde ich ihn unterstützen". Ähnlich sieht es Otto Graf Lambsdorff: Zwar sei er „eher skeptisch“ und glaube, der eigene Kanzlerkandidat sei „vielleicht zuviel des Guten". Andererseits mache die Kandidatur klar, dass die FDP auf Augenhöhe mit SPD und Union Politik machen wolle.

Genau das ist auch Westerwelles Argument: Es gehe nicht darum, im Ernst das Kanzleramt anzustreben. Es gehe aber darum, den Anspruch der FDP auf die Rolle einer wirklichen dritten Kraft zu dokumentieren. Der Umbruch der Parteienlandschaft biete eine Chance, die sich die FDP nicht entgehen lassen dürfe – so hat es der FDP-Chef im Kreis von Vertrauten probeweise vorgetragen. Die waren beeindruckt. Die Delegierten sind willens, sich auch beeindrucken zu lassen – was man schon daran sieht, dass sie völlig wahllos jedem Redner stehend Beifall spenden. Die jüngsten Wahlerfolge, vor allem der Durchbruch in Sachsen-Anhalt, haben Euphorie ausgelöst. So sicher sind die Liberalen, dass sie in der nächsten Bundesregierung sitzen werden, dass Lambsdorff sich die Koketterie leisten kann, der FDP zum Verbleib in der Opposition zu raten – falls die Angebote der potenziellen Koalitionspartner „allzu mager ausfallen“ sollten.

Dass ein „Kandidat“ Westerwelle zur Zielscheibe von Spott zu werden droht, nehmen die Siegessicheren in Kauf. „Höhnische Fernsehkommentare am Sonntag Abend sind die Fernsehgeschichte vom Montag“, winkt Stefan Grüll ab, Vize-Fraktionschef in NRW. Grüll hat im Moment sowieso andere Sorgen. Sie betreffen das zweite unterschwellige Hauptthema des Parteitags: Jamal Karsli. NRW-Landeschef Möllemann hatte den Landtagsabgeordneten von den Grünen abgeworben – der die neue Freiheit nutzte, um über eine „zionistische Lobby“ zu schwadronieren. Jetzt ist Möllemann nicht da – mit Fieber krank gemeldet. Dafür geht in Mannheim das Gerücht um, Karsli sei in der Stadt. Das hat die Parteioberen aufgestört. Erst recht, als sich zeigte: Es war kein Gerücht. Der Mann war da. Aber man hat ihm gut zugeredet, und so hat er darauf verzichtet, sich in der Halle blicken zu lassen.

Denn zuvor hatte Lambsdorff viel Beifall für den Satz bekommen, in der Partei des verstorbenen Ignatz Bubis sei kein Platz auch nur für Anflüge von Antisemitismus. Aber Lambsdorff hat auch für den Satz davor Beifall bekommen: Dass Kritik an Israel und seiner Regierung „legitim“ sei. Geklatscht haben bei dieser Passage vor allem die Nordrhein-Westfalen. In einem Interview am Rande des Parteitags war Lambsdorff noch deutlicher geworden. Ein Politiker, der rede wie Karsli, habe in einer liberalen Partei „nichts zu suchen“, sagte er in „Phoenix“. Laut Lambsdorff haben zwei stellvertretende FDP-Landesvorsitzenden dem Bundesvorstand der Partei erklärt, der Landesverband werde das Problem Karsli „lösen".

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