zum Hauptinhalt

Politik: Im Zweifel gegen den Krieg

IRAK-RESOLUTION DER UN

Von Christoph von Marschall

George W. Bush hat jetzt die Hand am Abzug. Nur abdrücken darf er nicht – noch nicht. Der UNSicherheitsrat hat Saddam Hussein Gewalt angedroht, wenn er nicht bedingungslose Rüstungskontrollen zulässt. Sollte Bagdad abermals tricksen, ist vor einem Angriff ein weiterer Beschluss nötig. Keine Automatik – insoweit hat sich Europa durchgesetzt, obwohl die Europäer zu keiner gemeinsamen Position fähig waren. Dieser Erfolg ist Frankreichs Hartnäckigkeit zu verdanken. Der Kanzler hatte sich mit seinem bedingungslosen Nein dem Konsens, ja der Politik verweigert.

Auch Amerika gibt sich hochzufrieden. Der Sicherheitsrat hat festgestellt, dass Saddam permanent UN-Recht bricht, und bekräftigt, dass dies Grund genug für militärisches Eingreifen ist. Glaubt irgendjemand, dass Bush sich jetzt noch vom Angriff abhalten lässt? Die Nato hat es vorgemacht, Europa eingeschlossen: 1999 im Kosovo, als Dörfer brannten und Hunderttausende auf der Flucht vor Milosevic waren, China und Russland jedoch die Zustimmung zur Anwendung von Gewalt verweigerten. Wenn die Vereinten Nationen vor ihrer Verantwortung versagen, muss man notfalls ohne sie handeln – sofern Gefahr im Verzuge ist. Auch jetzt sind 90 Prozent der völkerrechtlichen Anforderungen erfüllt, nur der letzte Schritt fehlt: die offizielle UN-Autorisierung.

Man braucht sehr gute Gründe, um das Gewaltmonopol der UN zu ignorieren. Die Bilder von der Vertreibung der Kosovo-Albaner haben die meisten Europäer überzeugt. Heute haben sie Zweifel, dass die Lage im Irak so dringlich ist. Sie glauben, Bush suche nur einen Vorwand, um Saddam zu stürzen. Ein Angriff könnte die ganze Region destabilisieren. Ja, wenn man sicher wäre, dass Saddam weiter an chemischen und biologischen Waffen arbeitet, dass er in ein bis drei Jahren die Atombombe haben könnte und diese Waffen auch einsetzen würde, womöglich gegen Israel, oder sie an Terroristen weitergäbe für deren Kampf gegen US-Truppen im arabischen Raum – dann wäre höchste Eile geboten.

Da liegt das Problem: Ob es sich so verhält, wie Bush behauptet, ist beim heutigen Wissen Glaubenssache. Sicherheit kann man allein durch Kontrollen gewinnen. Die lässt Saddam nur zu, wenn ihm ein Angriff droht. In der Praxis ist die berechtigte Gewalt zur Durchsetzung der UN-Inspektionen kaum zu unterscheiden von der Gewalt, die auf Saddams Sturz zielt und die Europa ablehnt. Bush macht sich das klug zu Nutze. Er redet nicht mehr vom Regimewechsel, er argumentiert, man müsse UN-Recht erzwingen. Auch dies spricht für ihn: Einen Irrtum darf man sich nicht erlauben, weil der für zu viele tödlich enden könnte.

Aber ist die Gefahr so groß und so nah, dass man rasch handeln muss? Saddams Bombe in ein bis drei Jahren – die Annahme gilt nur, wenn er waffenfähiges Plutonium erhält; Belege dafür fehlen. Giftgas hat er im eigenen Land und gegen Iran eingesetzt, nicht gegen Israel oder Amerika. Eine Verbindung zu Al Qaida ist nicht bewiesen. Druck ist nötig, Zeitdruck weniger. Wenn die Inspekteure systematisch behindert werden, wird das die Zweifler überzeugen: Saddam hat etwas zu verbergen. Dann müsste der Sicherheitsrat Gewalt autorisieren. Wenn nicht, ignoriert Bush ihn zu Recht.

Nur leider hat Bush nicht zu erkennen gegeben, dass er sich die Zeit nehmen will. Im Gegenteil, bisher drängt er auf einen schnellen Krieg – weil im Sommer das Klima ungünstig ist und im nächsten Winter die Präsidentenwahl schon zu nahe. Nach der siegreichen Kongresswahl könnte er anders agieren. Doch offenbar macht er selbst Fragen von Krieg und Frieden von der Innenpolitik abhängig – und nicht davon, was die Lage erfordert. Aber da ist er ja nicht der Einzige.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false