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Politik: Im Zweifel stark

Von Harald Martenstein

Von außen betrachtet, wirkt die Berlinale wie ein glanzvolles Fest. Aber wer im Kino saß, bekam einen anderen Eindruck. In vielen Filmen des Festivals, vor allem im seinem wichtigsten Teil, dem Wettbewerb, waren die Bilder karg und die Themen düster. Liebesgeschichten und Komödien blieben Ausnahmen, stattdessen widmeten sich die Regisseure den Verlierern, den Verrückten und den Verbrechern.

Ein Festival muss nicht repräsentativ sein. Die Berlinale spiegelt nicht zwangsläufig den Trend im Weltkino, sie spiegelt vor allem die Vorlieben ihres Leiters Dieter Kosslick, der ein großer Kommunikator und – trotz seiner Filmauswahl – eine Frohnatur ist, aber eben auch ein alter Linker und bekennender Anhänger des politischen Kinos. Die Berlinale ist subjektiv. Trotzdem gibt es im Weltkino der letzten Jahre eine auffällige Tendenz: Einerseits werden die Illusionen immer perfekter, mit Hilfe des Computers ist die Grenze zwischen dem Realen und dem Imaginären beinahe unsichtbar geworden, nie gab es so glanzvolle und überwältigende Bilder wie heute. Auf der anderen Seite entsteht ein neuer Purismus. Ein Teil des Publikums und der Künstler wendet sich von den technischen Möglichkeiten und Fortschritten der Traumfabrik demonstrativ ab, begonnen hat das vor einigen Jahren mit der dänischen Dogma-Gruppe, die nur noch mit der Handkamera drehte, an Originalschauplätzen mit Originalton, ohne Musik, und damit auch kommerziell erfolgreich war.

Heute ist es so weit, dass eine deutsche Schauspielerin wie Franka Potente für ihr Regiedebüt die Form des schwarzweißen Stummfilms wählt, niemand wundert sich darüber. Die Künstler und wachsende Teile des Publikums möchten sich mit intelligenten Aussagen über die Welt und mit der Kritik ihres Zustandes beschäftigen, das Bunte, Glatte und lediglich Unterhaltende haben sie satt. Zumindest möchte man nicht in einer Welt leben, die nur noch aus Oberfläche, Stil und Kommerz besteht.

Parallel dazu finden in immer kürzeren Abständen Feuilletondebatten über „neue Bürgerlichkeit“, über Werte und Religion statt. Das hat etwas Absurdes: Der laufende Betrieb bringt eifrig seine eigene Kritik hervor. Die Abkehr von Trend und Stil wird als der neueste Trend und Stil verkauft. Ein Festival wie die Berlinale lässt Stars über den roten Teppich laufen, die nicht selten in der anschließenden Pressekonferenz zu verstehen geben, wie sehr ihnen das Startum zuwider ist.

Bei der Berlinale liefen auch Filme aus der islamischen Welt, einer von ihnen hat einen Bären gewonnen. Meist waren sie ernst und streng. Die Filme westlicher Regisseure sind denen aus der islamischen Welt oft erstaunlich ähnlich, auch sie sind ernst und streng. Die innere Leere, die dem Westen aus dem Islam oft vorgeworfen wird, ist vielen Künstlern des Westens bewusst, die meisten von ihnen arbeiten sich genau daran ab. Dass unsere heutige Wirklichkeit ein bestmöglicher Zustand sein könnte, glaubt kaum noch jemand. Diese Fähigkeit des Westens, an sich selbst zu zweifeln, sich in Frage zu stellen, sogar an sich selbst zu leiden, ist wohl seine größte Stärke. Auf diese Weise hat er den selbstgewissen, kritikresistenten Kommunismus besiegt, und nur so kann er sich auch in der Auseinandersetzung mit dem radikalen Islam behaupten.

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