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Im BLICK: Burka und Wartemarke

In der deutschen Auseinandersetzung mit dem Islam scheint es nie ruhiges Nachdenken, sondern immer nur Pawlowsche Reflexe zu geben. Das Beispiel dieser Woche: Eine Mitarbeiterin des Bürgeramts Frankfurt am Main will künftig unterm Ganzkörperschleier ihren Dienst tun.

In der deutschen Auseinandersetzung mit dem Islam scheint es nie ruhiges Nachdenken, sondern immer nur Pawlowsche Reflexe zu geben. Das Beispiel dieser Woche: Eine Mitarbeiterin des Bürgeramts Frankfurt am Main will künftig unterm Ganzkörperschleier ihren Dienst tun. Die Stadt lehnt das ab, verweist darauf, dass die Bürger ein Recht darauf hätten zu sehen, wer ihnen von Staats wegen entgegentritt. Für diese Haltung gibt es Beifall von rechts bis links, auch der Zentralrat der Muslime springt der Stadtverwaltung bei. Man einigt sich, die Angestellte entscheidet sich, ihre Stelle aufzugeben – ohne Rechtsstreit, ohne Entschädigungen.

Alles prima? Nein, denn die Gelegenheit scheint allzu günstig, den Krieg der Kulturen um ein Scharmützel zu verlängern. Der Fall ist noch keinen Tag bekannt, da hat Hessen ein Burka-Verbot für den öffentlichen Dienst erlassen, in Niedersachsen denkt man über eine gesetzliche Regelung für Angestellte und Beamte nach. Der Innenminister des Saarlands lässt sich nicht nur über „islamischen Fundamentalismus“ und „Frauenbilder“ aus, die „mit dem Grundgesetz unvereinbar“ seien, sondern auch über den „Identifikationscharakter“ der Verwaltung.

Wer jetzt irritiert an die Vokuhila-Matte des Sachbearbeiters im Finanzamt denkt, ist schon auf der richtigen Spur: Kein Bürger hat ein Recht darauf, dass die Belegschaft einer Behörde seinem Schönheitssinn entspricht. Er hat aber – darauf hat im aktuellen Fall der Berliner Staatsrechtler Ulrich Battis hingewiesen – ein Recht darauf, dass die Verwaltung ihm ihr Gesicht zeigt. Ein Augenpaar durch einen Sehschlitz ist noch kein Gesicht. Ein schlichtes Kopftuch hingegen, darf man folgern, wäre es. Dass dies seit ein paar Jahren in den meisten Bundesländern Lehrerinnen untersagt ist, zeigt, dass nicht nur manche Muslime zu fundamentalen Lösungen neigen, wo pragmatische Einzelfallentscheidungen wie in Frankfurt womöglich näher lägen.

Unter Muslimen wird die Auffassung, dass Verhüllung eine religiöse Pflicht für Frauen sei, zudem immer exotischer. Im Koran, darauf weisen feministische Kennerinnen der Schrift hin, hat sie jedenfalls keine Basis. Die marokkanische Soziologin Fatima Mernissi weist auf die historische Rolle des Schleiers im frühen Islam hin. Die Machtkämpfe in Medina zwischen der muslimischen Gemeinde und einer ihr feindlichen Stadt wurden auch über sexuelle Nötigung der Musliminnen ausgetragen. Zu ihrem Schutz sei jener Koranvers entstanden, der ihnen empfahl, sich durch „Bedeckung“ kenntlich zu machen und so dem Vorwand entgegenzutreten, man halte sie für Prostituierte. Der Hijab, wörtlich Vorhang, schreibt Mernissi ironisch, sei nicht herabgekommen, um sich zwischen Frau und Mann zu stellen, sondern zwischen Männer.

Das ist 1400 Jahre her. Trotzdem verhüllen sich viele Musliminnen noch heute. Tradition, Provokation – es kann noch hundert andere Gründe dafür geben, und wer wollte die Gedanken unterm Kopftuch verlässlich lesen? Ein liberaler Staat sollte es, bei seinen muslimischen Bürgerinnen so wenig wie bei andern, gar nicht erst versuchen und ihr Recht respektieren, sich so zu zeigen, wie sie es möchten oder glauben, es zu sollen. Es reicht, dass sie Gesicht zeigen. Wenn sie den Staat repräsentieren.

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