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Im BLICK: Das Recht des Täters

Nun ist es wieder leiser geworden um Karl-Heinz Kurras und die Erkenntnis, dass es nicht nur ein Westberliner Polizeibeamter war, sondern auch ein Waffennarr, Stasi-Spitzel und SED-Parteigänger, der Benno Ohnesorg erschoss. Damals wie heute lieferte die Tat Stoff für allerlei Projektionen, die mindestens eines belegen: Dass die Geschichte von Bundesrepublik und DDR noch ganz von Gegenwart überlagert ist.

Nun ist es wieder leiser geworden um Karl-Heinz Kurras und die Erkenntnis, dass es nicht nur ein Westberliner Polizeibeamter war, sondern auch ein Waffennarr, Stasi-Spitzel und SED-Parteigänger, der Benno Ohnesorg erschoss. Damals wie heute lieferte die Tat Stoff für allerlei Projektionen, die mindestens eines belegen: Dass die Geschichte von Bundesrepublik und DDR noch ganz von Gegenwart überlagert ist. Doch immerhin, einen Nenner gibt es. Man ist vereint in Empörung über den dreisten, reuelosen Bier-und-Bockwurst-Pensionär aus Spandau. Die Erwartungen sind geweckt, Staatsanwaltschaft und Generalbundesanwalt prüfen die Akten, der Senat will ihm Ruhegeld abzwacken – und alle hätten das gute Gefühl, die Entdeckung in den Stasi-Archiven wäre nicht folgenlos geblieben. „Mord verjährt nicht“, skandieren SED-Opfer.

Das stimmt. Nur hat es wenig mit dem Fall Kurras zu tun. 1967 wurde Kurras vom Vorwurf fahrlässiger Tötung freigesprochen, der Bundesgerichtshof hob den Freispruch auf, dann hat ihn das Landgericht 1970 bestätigt. Wichtiger als Gerechtigkeitsgefühle nimmt es das Grundgesetz, dass man sich auf den Staat verlassen können muss: Niemand darf wegen der selben Tat mehrmals bestraft werden. Das Verbot der Doppelbestrafung. Der Umkehrschluss heiligt den Freispruch. Einmal freigesprochen heißt, man darf wegen der angeklagten Handlung nie wieder verfolgt werden. Nicht einmal, wenn Beweise auftauchen, die die Schuld eines Täters belegen. Der „geschichtliche Vorgang“, wie das Verfassungsgericht sagt – hier also Kurras’ nächtlicher Schuss – gilt als juristisch abgeschlossen.

Die Ermittlungsbehörden prüfen pro forma, sie wissen es. Die Bundesanwälte in Karlsruhe fahnden nach „unbekannt“; sie interessiert nur, ob es Hintermänner gab, die einen Auftragsmord befehligt haben. Anhaltspunkte fehlen, vielmehr dokumentierte die Stasi eine seltene Restethik und zeigte sich schockiert von Tat und Täter. Die Berliner Staatsanwälte suchen Gründe für eine förmliche Wiederaufnahme. Wiederaufnahmen zugunsten eines Verurteilten sind möglich – zulasten eines Freigesprochenen gelten dagegen engste Voraussetzungen. Eine wäre, Kurras müsste gestehen, absichtlich geschossen zu haben. Sätze wie „ein Lump weniger“ sind ein Indiz, aber es reicht nicht. Und strafrechtliche Spionage-Tatbestände sind wohl verjährt.

„Verjährung“ bedeutet dafür nichts für Beamten-Sanktionen nach dem Disziplinargesetz, das bewusst kein Strafrecht sein soll. Allerdings gibt es „Maßnahmeverbote“ für länger zurückliegende Vergehen. Die Kürzung von Ruhegeld ist zudem eine ungeliebte Angelegenheit, weil die Nazis sie 1937 mit der „Reichsdienststrafordnung“ erst ermöglicht hatten; sie haben übrigens auch das Verbot der Doppelbestrafung als „liberalistische“ Idee abgeschafft, ein Verstoß gegen das „gesunde Volksempfinden“.

„Volksempfinden“, das können heute Gerechtigkeitsgefühle sein, und wie hier liegen sie manchmal quer zu dem, was ein Rechtsstaat erlaubt. Ein rechtskräftiges Urteil ist keine Geschichte; niemand kann, niemand darf es umschreiben.

Selbst wenn es ein Fehlurteil war.

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