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Im BLICK: Früher war alles besser

Moritz Schuller über Westerwelle und spätrömische Dekadenz.

Guido Westerwelle sieht in dem Hartz-IV-Urteil des Verfassungsgerichts eine Verfallserscheinung dieser Gesellschaft: „Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.“ Sigmar Gabriel glaubt ebenfalls an den Niedergang des Landes, gibt dafür jedoch der „dekadenten“ FDP die Schuld: „Wenn man in dem Bild von Herrn Westerwelle bleiben will, dann ist er der Kaiser Nero. Er hat am Staat gezündelt, indem er überall Steuergeschenke an seine Klientel verteilt.“

Das Abendland geht immer unter, insofern haben beide Apokalyptiker, Westerwelle und auch Gabriel, recht: Deutschland ging es früher natürlich besser. Auch dass die Römer es wild getrieben haben, wissen wir seit dem eindrucksvollen Kinofilm aus dem Jahr 1977, „Messalina – Kaiserin und Hure“. Solche Dekadenz kann nicht gutgehen, und das ahnten auch die alten Römer schon selbst. Abgesehen davon haben beide unrecht. Nero, um mit Gabriel anzufangen, gehört nicht zur Spätantike, und dem Römischen Reich und den Römern ging es unter seiner Führung gar nicht so schlecht. Damals expandierte das Reich noch.

Vom Verfall und Untergang des Imperium Romanum begann man allgemein erst im Zusammenhang mit der Spätantike zu sprechen. Nicht ein äußerer Angreifer, so die berühmte These des britischen Historikers Edward Gibbon, sondern die innere Schwäche hätte das Reich zu Fall gebracht. Doch Gibbon machte dafür das Christentum verantwortlich, nicht die Faulenzerei im Circus Maximus. Im Gegenteil, Gibbon sah Roms Luxus nicht als Dekadenz, sondern als Ausdruck von Erfolg. Die lasterhaften Sitten ihrer Zeitgenossen hielten ausschließlich die christlichen Autoren für die Ursache des Verfalls. Dabei ging es ihnen aber weniger um die Arbeitsmoral, als um die Sexualmoral.

Die moderne Forschung ist inzwischen abgerückt von Gibbons (und Westerwelles) Dekadenztheorie. Statt von Verfall spricht man nicht zuletzt wegen der wirtschaftlichen Vitalität jener Epoche nun von Transformation. Kaiser Diokletian, dessen Amtsantritt 284 nach Christus den Beginn der Spätantike markiert, stärkte sogar die Rolle der römischen Zentralregierung so sehr, dass der Altertumswissenschaftler Theodor Mommsen von dem spätantiken „Zwangsstaat“ sprach. Teil von Diokletians Agenda war aber auch – und das sollte Westerwelles Urteil über die Spätantike mildern – eine umfangreiche Steuerreform.

Einen „anstrengungslosen Wohlstand“ wird es in Rom kaum gegeben haben. Schon die Römische Republik erlebte zwar eine Strukturveränderung des Arbeitsmarktes: Die durch den massiven Einsatz von Sklaven überflüssig gewordenen landlosen, aber freien römischen Bürger zogen nach Rom. Dort wurden sie alimentiert, im Tausch für ihre Wahlstimme erhielten sie Brot und Spiele. Doch die Vorstellung, dass diese als wohlhabende Müßiggänger auf Staatskosten zwischen Gladiatorenkampf und Thermen pendelten, entspricht vermutlich nicht der Realität. Auch die römische Plebs wird um den einen oder anderen Minijob nicht herumgekommen sein.

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