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Im BLICK: Republik der alten Männer

Ulrike Scheffer über neue Ansätze des Demokratieexports in die Dritte Welt.

Demokratie funktioniert überall. Wer etwas anderes behauptet, bricht ein Tabu und musste sich in der Vergangenheit auf einen Sturm der Entrüstung gefasst machen. Im Fall Afghanistans wird nun offen diskutiert, ob es wirklich sinnvoll ist, in einem Krisengebiet Wahlen zu organisieren. Die Präsidentschaftswahl im Sommer 2009 kostete mehr als 50 Afghanen das Leben – und ganz nebenbei auch noch rund 160 Millionen US-Dollar. Für ein Land, dessen Gesundheitssystem so schlecht ist, dass jedes vierte Kind vor seinem fünften Geburtstag stirbt, ist das eine beinah unanständig hohe Summe. Erst recht, wenn man bedenkt, dass sich aus Angst vor Anschlägen nicht einmal die Hälfte der Wähler ins Wahllokal traute. Das Ergebnis schließlich war ein Debakel: Massive Manipulationen auf allen Seiten, ein monatelanger Streit um die Auszählung – und ein Sieger, der jegliches Ansehen verloren hat.

Gerade in Entwicklungsländern, wo eine Stimme oft schon für ein paar Dollar oder einen Sack Reis zu haben ist, hat es die Demokratie schwer. Ein Wechsel an der Staatsspitze findet dort allenfalls statt, wenn der Präsident das Zeitliche segnet, so wie im vergangenen Jahr in Gabun oder einige Jahre zuvor in Togo. Die folgenden Wahlen indes „gewannen“ in beiden Ländern jeweils die Söhne der Verstorbenen.

Die „International Crisis Group“, einer der wichtigsten westlichen Think Tanks, empfiehlt für Afghanistan nun eine Loja Dschirga, eine Versammlung der Stämme. Die müsse entscheiden, ob die Verfassung verändert werden solle. „Ich habe noch keinen Afghanen getroffen, der Wahlen für überflüssig hält“, wendet dagegen Grant Kippen ein. Der Kanadier gehörte als einer von drei internationalen Vertretern der Beschwerdekommission für die afghanische Präsidentenwahl an. Ein, zwei Wahlen machten noch keine Demokratie, lautet sein Argument, „learning by doing“ sein Rezept. Tatsächlich wäre es wohl schwierig, die Welt in demokratietaugliche und -untaugliche Staaten einzuteilen. Entscheidend müsste dabei der Entwicklungsgrad der sogenannten Zivilgesellschaft sein. Wo es Gruppen gibt, die Protest formulieren und organisieren können, und Medien, die über Missstände berichten, kann ein Lernprozess langfristig funktionieren.

In gescheiterten Staaten, so glauben immer mehr Experten, könne es zunächst nur darum gehen, traditionelle Herrschaftsstrukturen wie Ältestenräte oder Clanchefs zu reaktivieren. „Auch wenn wir mit diesen traditionellen Strukturen nicht einverstanden sind, (…) werden wir doch Wege finden müssen, sie einzubeziehen“, schreiben Susanne Schmeidl und Masood Karokhail. Sie haben in Afghanistan ein Projekt der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung und der Organisation Swisspeace mitaufgebaut, das lokale Eliten bei der Entwicklung ihrer Gemeinden unterstützt. Dass es sich bei diesen meist um ältere, eher rückwärtsgewandte Männer handelt, nehmen sie in Kauf. Wohlstand vor Demokratie könnte man den Ansatz nennen. Doch die Europäer wollen mit den Traditionalisten auch „einen Diskurs über moderne Strukturen und Werte“ führen. Sie halten dies langfristig für wirkungsvoller als eine von oben oder von außen verordnete Demokratie.

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