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Politik: In 100 Tagen Amtszeit entwickelte sich Russlands Premier zum populärsten Präsidentschaftskandidaten

Genau hundert Tage ist Russlands Premier Wladimir Putin heute im Amt. Im gegenwärtigen Russland will dies einiges bedeuten: Seinem Vorgänger Sergej Stepaschin waren ganze 83 Tage vergönnt.

Genau hundert Tage ist Russlands Premier Wladimir Putin heute im Amt. Im gegenwärtigen Russland will dies einiges bedeuten: Seinem Vorgänger Sergej Stepaschin waren ganze 83 Tage vergönnt. Ziel erkannt, aber verfehlt, befand der Kreml.

Echte Erfolge kann auch Putin bislang nicht aufweisen. Dass sich die Wirtschaftsdaten leicht verbessert haben, ist nicht das Verdienst Putins, sondern Ergebnis hoher Ölpreise auf dem Weltmarkt. Zwar bekannte sich Putin gestern zu den Ergebnissen der Privatisierung und zur Marktwirtschaft. Doch dies diente eher dazu, die Investoren zu beruhigen.

Ein schlüssiges Krisenprogramm fehlt nach wie vor. Ebenso eine verbindliche Zusage des Internationalen Währungsfonds für neue Kredite, weshalb über Moskau nach wie vor das Damoklesschwert des Staatsbankrotts hängt. Umso mehr, da der Westen sich durchaus bewusst ist, dass er mit neuen Dollarinfusionen den Krieg im Kaukasus indirekt finanziert. Auf Putins Konto gehen die zunehmende internationale Isolation Moskaus sowie der faktische Verlust der Kontrolle über die Energieressourcen in der Kaspischen Region und deren Transportwege.

Der russische Wähler ist offenbar gesonnen, darüber hinwegzusehen. Umfragen von ROMIR, einem Meinungsforschungszentrum, das mit Methoden des renommierten Gallup-Instituts arbeitet, attestierten Putin am Sonntag Zustimmungsraten von über 37 Prozent. KP-Chef Gennadij Sjuganow dagegen brächte es, wären jetzt Präsidentenwahlen, auf gerade mal 13, Expremier Jewgenij Primakow auf 9,5 Prozent. Weit abgeschlagen folgen Nationalistenführer Wladimir Schirinowski mit 4 Prozent, Reformer Grigorij Jawlinski mit 3,5 und Moskaus Oberbürgermeister Jurij Luschkow mit 2 Prozent. Der Stimmenanteil von Exgeneral Alexander Lebed dagegen, der lange als Top-Favorit galt, ist statistisch nicht mehr messbar.

Putin, so versuchte ein Talkmaster das Phänomen am Sonntagabend im hiesigen Fernsehen zu erklären, stehe für "Qualitäten, die bei russischen Politikern gegenwärtig eher selten sind: kompromisslose Härte, die jedoch ohne den theatralischen Diktus Lebeds auskommt, Engagement, Intelligenz". Was gesagt werden muss, sagt Putin in knappen Worten. Putin ist kein Adonis, aber er kommt bei den Russinnen an: Er ist jung und offenbar grenzenlos belastbar. Einem Zehn-Stunden-Flug in die Pazifikregion ließ er jüngst nahtlos einen Sechzehn-Stunden-Arbeitstag folgen, der mit der Teilnahme an einem Übungsgefecht auf hoher See ausklang. Putin ist omnipräsent, taucht auf dem Kongress der Bergarbeiter ebenso unversehens auf, wie beim Endspiel von Tennisstar Jewgenij Kafelnikow um den Kreml-Pokal. Der Hallensprecher kündigte ihn an, als ob Superstar Michael Jackson nahe und das Publikum empfing ihn mit eben solchen Ovationen.

Den Auftritt, so hiesige Journalisten, habe die "Familie" inszeniert - Jelzin-Tochter Tatjana Djatschenko und deren Freund Walentin Jumaschew, vormals Chef der Kreml-Administration und Ghostwriter von Jelzins Memoiren. Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe: Spätestens seit Putins fulminantem Auftritt vor der versammelten Generalität Mitte des Monats, bei dem er seine Ansprüche auf die Jelzin-Nachfolge erneuerte, weiß die Hofkamarilla, dass Putin der einzige Kandidat ist, den die Militärs akzeptieren. Das aber ist Voraussetzung, um die rumänische Variante für das Ende der Ära Jelzin zu umgehen, die auch seriöse Beobachter nicht mehr ausschließen.

Unter diesen Auspizien ist sogar der Kremlchef zu öffentlichen Treueschwüren gegenüber Putin verdammt, obwohl er ihn gerne los wäre. Praktische Konsequenzen verbieten sich jedoch: Wenn Jelzin Putin absetzt, so der renommierte Politologe Andrej Piontkowski, könnte der "von zwei Generälen flankiert, im Staatsfernsehen die Machtübernahme und eine Abrechnung mit den Volksfeinden im Kreml verkünden".

Zuvor sind jedoch noch Hausaufgaben zu erledigen: Die Entlassung von Stellvertreter Nikolaj Aksjonenko und Energieminister Viktor Kaljuschni. Beide sind treue Schildknappen des Kremls und bemüht, mit den Finanzströmen von Unternehmen mit staatlicher Beteiligung Putins Konkurrenz aufzupäppeln. Außerdem muss Putin sich mit einer Partei verbünden, die ihm nach den Wahlen im Dezember in der neuen Duma den Rücken stärkt. Die Entscheidung dürfte zu Gunsten von "Vaterland - Ganz Russland" von Luschkow und Primakow fallen. Letzterer erklärte am Sonntagabend, er schließe eine Änderung des Termins für die Präsidentenwahlen nicht aus - allerdings nicht nach hinten, sondern nach vorn.

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