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Ukrainische Soldaten in der Region von Saporischschja.

© Foto: IMAGO/Ukrinform/Dmytro Smoliyenko

Nato-Beitritt durch die Hintertür? : In Brüssel ist passiert, was Putin eigentlich immer verhindern wollte

Die ukrainische Armee soll laut Nato-Vertretern in den nächsten Jahren vollständig auf westliche Waffensysteme umgestellt werden. Die Konsequenzen sind weitreichend.

Es ist eine Nachricht aus Brüssel, die vor lauter Ankündigungen neuer Waffensysteme für Kiew fast untergegangen ist: Die Nato will einen Zehnjahresplan erarbeiten, um die ukrainische Armee und die Verteidigungsindustrie des Landes vollständig in die westliche Militärarchitektur zu integrieren. Erste Details des Plans sollen bei einem Treffen nächste Woche geklärt werden.

In Brüssel kam am Mittwoch zum sechsten Mal die von den USA geführte sogenannte Ukraine-Kontaktgruppe zusammen, die aus 50 Ländern besteht, die Kiew militärisch unterstützen. Außerdem trafen sich die Nato-Verteidigungsminister.

Die ukrainischen Streitkräfte sollen demnach an Nato-Standards angepasst werden. Dabei gehe es konkret um den Umstieg auf westliche, Nato-kompatible Ausrüstung, aber auch um die Militärdoktrin und Themen wie Taktik und Ausbildung, wie ein Nato-Vertreter am Mittwoch am Rande des Treffens sagte.

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Bislang nutzt die Ukraine überwiegend Ausrüstung, die noch in der Zeit der früheren Sowjetunion entwickelt wurde. Das erschwert es dem Westen, Nachschub an Waffen und Munition für die Verteidigung gegen Russland zur Verfügung stellen. Außerdem sind die Instandhaltung und die Lieferung von Ersatzteilen ein Problem.

Kein Mangel an Waffen und Munition mehr

Sollte er verwirklicht werden, hätte der Nato-Plan weitreichende Konsequenzen: Theoretisch stünden der Ukraine damit große Teile des westlichen Waffenarsenals zur Verfügung. Auch die Produktion der westlichen Militärindustrie könnte in das Land fließen. Ein Mangel an Waffen und Munition müsste Kiew in diesem Szenario nicht mehr fürchten. Russland wäre nicht mehr der an militärischem Gerät übermächtige Gegner, der es aktuell noch ist.

Kein Wunder, dass die ukrainische Seite geradezu euphorisch auf die Ankündigung reagierte. Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow bedankte sich auf Twitter für die Unterstützung der Nato und des Nato-Generalsekretärs Jens Stoltenberg. „Wir sind einen weiten Weg gegangen und haben uns jetzt de facto der Allianz angeschlossen.“

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Die forschen Worte von Resnikow dürften nicht allen in der Nato gefallen. Eine Nato-Mitgliedschaft wird vor allem in Westeuropa skeptisch gesehen. Dafür sind vor allem Länder in Osteuropa. Für Russland wiederum war eine befürchtete Nato-Mitgliedschaft der Ukraine einer der erklärten Kriegsgründe.

„Kiew ist sich bewusst, dass ein solcher Schritt (eine Aufnahme in die Nato, d. Red.) eine sichere Eskalation hin zu einem Dritten Weltkrieg bedeutet“, erklärte der Vize-Sekretär des Sicherheitsrats der Russischen Föderation, Alexander Wenediktow, in einem Interview der staatlichen Nachrichtenagentur Tass am Mittwoch. Ob er damit auf den Gipfel in Brüssel reagierte, ist unklar. Klar ist damit aber Moskaus Haltung.

Ist das der Nato-Beitritt light?

Wie heikel das Thema ist, wurde zuletzt Ende September deutlich, als die Ukraine den Antrag für eine beschleunigte Nato-Mitgliedschaft stellte. Selbst die USA zeigten sich überrascht von dem Vorstoß, der offensichtlich nicht mit den westlichen Partnern koordiniert war.

„Unsere Ansicht ist, dass wir der Ukraine am besten durch praktische Unterstützung vor Ort helfen können. Und dass das Verfahren in Brüssel zu einer anderen Zeit aufgegriffen werden sollte“, sagte der Nationale Sicherheitsberater im Weißen Haus, Jake Sullivan, damals. Sullivan sagte damit zwar das offensichtliche, weil Bewerber keine laufenden Grenzkonflikte haben dürfen. In Kiew wird man die Botschaft aber gehört haben.

Nun scheint sich allerdings in Brüssel eine Art Mittelweg anzudeuten. Das US-Magazin „Politico“ interpretierte die Vorgänge denn auch als eine Art Nato-Beitritt light: Die Ukraine schließe sich dem Bündnis an, ohne wirklich Mitglied zu werden.

Wichtig dabei: Nur Mitglieder sind durch den Artikel 5 geschützt, der besagt, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen ein Angriff gegen alle ist.

Provokation - oder auch eine Chance für die Diplomatie?

Und ein weiterer entscheidender Punkt: Die Nato als Organisation hat keine Möglichkeit, selbst Waffen oder Munition zu liefern, das müssen immer die einzelnen Staaten tun. Die Unterstützung muss also politisch gewollt sein. Automatisch würde sie der Ukraine nicht zukommen, selbst wenn ihr Militär auf westliche Standards umgestellt ist.

Reznikows Euphorie und Wortwahl verwundern vor diesem Hintergrund also.

Und dennoch könnte die Nato-Absichtserklärung weitreichende Konsequenzen haben. Für die Ukraine, aber auch für den Westen und Russland.

Denn schon jetzt zeigt sich, wie effektiv die westlichen Waffen in der Ukraine sind. 16 Himars-Raketenwerfer aus den USA haben genügt, um die Nachschubrouten der russischen Truppen an allen Frontabschnitten nachhaltig zu stören. Immer wieder werden Berichte bekannt, in denen Soldaten über unzureichende Versorgung mit Munition, Ausrüstung und Lebensmitteln klagen.

Im Frühjahr waren es vor allem die panzerbrechenden Javelin-Raketen und ähnliche Waffen, die zu herben Verlusten unter den russischen Truppen führten.

Die neue Attraktivität der Nato

Selbst die immer noch begrenzte Unterstützung der westlichen Staaten hat in diesem Krieg also einen entscheidenden Unterschied gemacht. Panzer, weitreichende Raketen und Flugzeuge westlicher Bauart hat die Ukraine bis heute nicht erhalten. Mit dem deutschen Iris T ging in dieser Woche erstmals ein westliches Luftabwehrsystem in die Ukraine.

Man kann davon ausgehen, dass Russland gegen eine ukrainische Armee auf westlichem Niveau in einem konventionellen militärischen Konflikt wenig Chancen hätte.

Vielleicht hilft aber das Treffen in Brüssel nicht nur, die Ukraine für künftige Konflikte besser auszurüsten. Die Ukraine gewinnt bedeutend an Sicherheit und an Abschreckungspotenzial gegenüber Russland - und könnte so sogar auf eine vollständige Nato-Mitgliedschaft verzichten.

Russland wiederum könnte für sich in Ansprch nehmen, dass die Ukraine nicht Teil der Nato geworden ist. Das zu verhindern, ist seit Jahren erklärtes Ziel von Moskau.

Dass Putin mit seinem Krieg Nato insgesamt attraktiver gemacht hat zeigt der Wunsch mehrerer Staaten dem Bündnis beizutreten. Wie am Freitag bekannt wurde, will Irland seine militärische Neutralität überdenken. Das Land sorgt sich vor allem wegen möglicher Angriffe auf Untersee-Internetkabel.

Schweden und Finnland hatten im Mai als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine den Beitritt zur Nato beantragt und könnten noch in diesem Jahr zu vollwertigen Mitgliedern werden. neben der Ukraine haben auch Bosnien und Herzegowina und Georgien Anträge gestellt.

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