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Politik: In der Hand von Milosevic

Wahlen in Serbien: Die Ultranationalisten sind Favoriten. Aber nur der alte Diktator kann ihnen zur Macht verhelfen

Serbien steht einmal wieder am Scheideweg: Drei Jahre nach dem Sturz des ehemaligen Präsidenten Slobodan Milosevic finden an diesem Sonntag vorgezogene Parlamentswahlen statt. Und von der Enttäuschung der Menschen über die schlechte Wirtschaftslage und die von Skandalen geschüttelte Regierung dürften vor allem Rechtsliberale und Nationalisten profitieren.

Das regierende Bündnis der „Demokratischen Opposition Serbiens“ (DOS) hatte die Neuwahlen lange hinausgezögert, doch nach den gescheiterten Präsidentschaftswahlen im November waren diese unumgänglich geworden. Damals war das ursprünglich aus 18 Parteien bestehende Bündnis endgültig zerbrochen, das bei den Wahlen vor drei Jahren noch zwei Drittel der Wähler für sich hatte gewinnen können.

Nun bewerben sich 18 Partei- und Koalitionslisten um die 250 Sitze im Belgrader Parlament. Da es eine Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden gilt, dürften nur etwa ein Drittel der Listen den Sprung in die Skupstina schaffen. Nach Ansicht von Beobachtern werden viele der kleinen DOS-Koalitionspartner von der Bildfläche verschwinden. Übrig bleiben zwei Parteienfamilien: die demokratische und die ultranationalistische. Der außenpolitische Beauftragte der EU, Javier Solana, warnte vor einem Rückfall in Nationalismus und Isolation. Serbien habe die Wahl: zurück in die Vergangenheit oder vorwärts in eine europäische Zukunft. Nach Ansicht des EU-Koordinators für den Balkan-Stabilitätspakt, Erhard Busek, ist das zu erwartende Wahlergebnis ein Anlass zur Sorge. Sollten sich die demokratiefeindlichen Parteien durchsetzen, würde das eine entscheidende Verzögerung Serbiens auf dem Weg in die EU bedeuten, sagte Busek im Deutschlandradio. Allerdings sei auch bei einem Sieg der nationalistischen Parteien der Prozess der Demokratisierung nicht mehr aufzuhalten.

Dass die ultranationalistische Serbische Radikale Partei (SRS) am Sonntag zulegen wird, gilt in der Tat als ausgemacht, sie könnte sogar zur stärksten Kraft im Parlament werden. Ob sie deshalb an der Regierung beteiligt wird, ist aber die Frage. Die demokratischen Parteien, auch jene mit stark nationalistischem Akzent wie die Demokratische Partei Serbiens (DSS) des ehemaligen Präsidenten Vojislav Kostunica oder die monarchistische Serbische Erneuerungsbewegung (SPO) von Vuk Draskovic, haben eine Koalition mit den Radikalen ausgeschlossen. Deren Führer Vojslav Seselj hatte aus seiner Zelle im Den Haager Untersuchungsgefängnis Propaganda betrieben, bis ihm das UN-Tribunal in der vergangenen Woche die Verbindung zu seiner Parteizentrale kappte. Wenn jedoch die Sozialistische Partei des ebenfalls in Den Haag inhaftierten jugoslawischen Diktators Milosevic auch über die Fünf-Prozent-Hürde kommen sollte, halten Wahlforscher eine Mehrheit der Sozialisten und der SRS für möglich.

Der Zulauf zu den Ultranationalisten ist auch der bisherigen Regierung anzulasten. Nach dem Mord an Ministerpräsident Zoran Djindjic in diesem März war die SRS noch marginalisiert gewesen. Doch die Demokraten verspielten ihre Popularität durch Flügelkämpfe und Skandale. Zudem hat keine der demokratischen Parteien ein überzeugendes Konzept, wie die Wirtschaft umgebaut und die sozialen Probleme gelöst werden können. Die Radikalen versprechen – wie Milosevics Sozialisten – das Blaue vom Himmel: Für die 35 Prozent Arbeitslosen im Land wollen sie eine Million Arbeitsplätze schaffen, mit den Nationalisten schimpfen sie gegen die „Siegerjustiz in Den Haag“ und wollen die „Rettung des Kosovo“. An zweiter Stelle in der Wählergunst liegt nach Umfragen die gemäßigt-nationale DSS von Vojislav Kostunica. Der dritte Platz wird für die Expertenpartei „G17 plus“ des früheren jugoslawischen Vize-Premiers, Miroljub Labus, der vierte für die Demokratische Partei (DS) des ermordeten Ministerpräsidenten Djindjic erwartet. Die Demokraten und die Rechtsliberalen der G17 plus werben beide um die eher städtische, gut ausgebildete und europäisch orientierte Bevölkerung. Jedoch hat die DS deutlich an Zustimmung verloren. Und so sind die Chancen, dass die Wirtschaftsreformer von G17 plus in der nächsten Regierung vertreten sein werden, deutlich größer. Ein Koalitionspartner für sie wäre Kostunicas konservative DSS.

Andreas Ernst[Belgrad]

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