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Politik: In der Partei gibt es nicht mehr nur Fundis und Realos - längst arbeiten neue Gruppierungen daran, den alten Proporz zu beseitigen

Früher war alles ganz einfach bei den Grünen. Es gab zwei Lager: Fundamentalisten, zeitweise auch Öko-Sozialisten genannt, und Realpolitiker.

Früher war alles ganz einfach bei den Grünen. Es gab zwei Lager: Fundamentalisten, zeitweise auch Öko-Sozialisten genannt, und Realpolitiker. Kurz: Fundis und Realos. Aus diesen übersichtlichen Anfangszeiten sind die beiden Kürzel "Fundis" und "Realos" übriggeblieben und ein paar Personen. Vor allem eine: Joschka Fischer. Als beliebtester Politiker des Landes ist er den Niederungen des Tagesgeschäftes fast entrückt. Aber nur fast. Denn durch sein politisches Gewicht fühlen sich auch seine politischen Realo-Freunde schier erdrückt. Deshalb versuchen einige unter ihnen, sich von ihm zu emanzipieren - an der Spitze: Die Jungen. Produkt dieser Bestrebungen war jüngst der Auftakt zu einer Serie von Positionspapieren, zu der auch das aktuelle Umweltpapier gehört.

Wichtigstes Element der neuen grünen Unübersichtlichkeit aber ist die Tatsache, dass der jahrelang praktizierte Ämterproporz keine Grundlage in der Parteirealität mehr hat. Das gilt nicht für die Quotierung von Männlein und Weiblein, sondern die zwischen links und rechts. Vor Jahren noch war sie eher ein Förderprogramm für die Realos, da diese sich auf Parteitagen hoffnungslos in der Minderheit befanden. Je mehr Grüne aber in Parlamente einzogen, umso "realistischer" wurden auch die Linken. Parlamentspraxis ist Arbeit der kleinen Schritte, sie führte zum Vormarsch des Pragmatismus. Inzwischen, zuletzt im Streit um den Krieg im Kosovo, gewinnt Joschka Fischer auch dort Mehrheiten, wo er einst stets untergegangen war: auf grünen Parteitagen.

Während sich die Älteren mit dem alten Proporz abgefunden haben, rebellieren die Jüngeren, wie etwa der Bundestagsabgeordnete Matthias Berninger. Sie wollen nicht nur inhaltlich die alten Zöpfe der Opposition abschneiden, sie machen den Linken auchdie Hälfte des Postenhimmels streitig. Wenn es nach ihnen ginge, würde der informelle Rekrutierungsschlüssel von 1:1 auf 2:1 zu ihren Gunsten geändert.

Dagegen macht logischerweise die Linke mobil. Auch sie schickte die Jungen mit einem Papier an die Front. Aber sie zeigte sich erstens in der Defensive, und zweitens hat sie keine zwar drückende, aber unangefochtene Führungsfigur wie Fischer - sie hat überhaupt keine. Umweltminister Trittin war es einmal, Fraktionschefin Kerstin Müller wäre es gern, Parteisprecherin Antje Radcke wohl auch. Aber keiner von ihnen schafft es. Dazu unterscheiden sie sich auch zu sehr in Nuancen ihres Politikverständnisses. Sie sind unterschiedlich weit fortgeschritten im Abschied von alten Illusionen der Gesellschaftsveränderung. Daraus entsteht keine gemeinschaftliches Konzept mehr.

Da die Grünen traditionell den Apparat ihrer Bundespartei schwach gehalten haben, fehlt ihnen auch ein organisatorisches Zentrum, über das die Realos in der von ihnen dominierten Fraktion verfügen. Zwischen Partei und Fraktion koordiniert traditionell der "Wohlfahrtsausschuss", um ein Gegeneinander zu verhindern. Weil dabei mehr Verwaltung als Gestaltung herauskommt, gibt es nun weitere Initiativen, die Partei aus ihrer von allen erkannten Krise herauszuholen. Da ist die Gruppe um Ralf Fücks, Parteiveteran und Chef ihrer Heinrich-Böll-Stiftung. Sie will Ende des Monats in Berlin eine Strategie jenseits von rechts und links erarbeiten. Um den ehemaligen Mitarbeiter des "Wuppertal-Instituts", Reinhard Loske, haben sich gewichtige Ökologen zusammengetan, um die Grünen von ihren Wurzeln her zu erneuern. Allen Versuchen ist gemeinsam, dass die Vertreter der verschiedenen Lager die Überwindung derselben vorerst noch in Gruppierungen propagieren, die die Lagergrenzen kaum überschreiten.

Thomas Kröter

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