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Politik: In der Zeitmaschine Von Clemens Wergin

Es kann gar nicht schnell genug gehen. Am Montag übergaben die Amerikaner die Macht an die irakische Übergangsregierung, am Mittwoch auch die juristische Zuständigkeit für Saddam Hussein – der Irak befindet sich in einem Zeitbeschleuniger.

Es kann gar nicht schnell genug gehen. Am Montag übergaben die Amerikaner die Macht an die irakische Übergangsregierung, am Mittwoch auch die juristische Zuständigkeit für Saddam Hussein – der Irak befindet sich in einem Zeitbeschleuniger. Und wie in so vielen ZeitmaschinenFilmen weiß man nicht, in welchem Jahrhundert das Land am Ende landet: in der Zukunft, also in einer offeneren, freieren Gesellschaft, oder wieder in einem Saddam-artigen Regime. Nur diesmal ohne Saddam.

Die ersten Maßnahmen der irakischen Regierung erinnern an alte Tage. Da wird das Kriegsrecht angekündigt und die Todesstrafe wieder eingeführt. Und auf einem der Märkte von Bagdad lassen sich eilig von der Regierung in Bewegung gesetzte Polizisten dabei filmen, wie sie mutmaßliche Verbrecher mit den Füßen treten, der Abschreckung wegen. Wer wie Deutschland und andere Kriegskritiker seit Monaten eine frühe Machtübergabe fordert, darf sich jetzt nicht wundern: Wenn die Iraker wieder selbst die Verantwortung übernehmen, heißt das auch, dass sie ihre Maßstäbe anlegen, nicht die des Westens.

Wichtiger als die Todesstrafe, die es im Irak und den anderen arabischen Staaten schon immer gab, ist deshalb, dass der Prozess gegen Saddam fair abläuft. Was die Iraker wollen, ist nichts weniger als ein Nürnberger Prozess gegen die wichtigsten Stützen des Regimes. Mit dem Unterschied, dass sie selbst es sind, die diese juristische Abrechnung vornehmen, und nicht, wie von 1945 bis 1949 in Deutschland, die Besatzer.

Die deutsche Justiz begann erst Anfang der 60er Jahre damit, die Verbrechen des Nazi-Regimes zaghaft aufzuklären. Auch wenn die Nürnberger Prozesse vielen zuvor als Siegerjustiz galten: Die Deutschen wären direkt nach dem Ende der Hitlerdiktatur dazu nicht fähig gewesen. Umso größer ist also die Aufgabe, die sich jene Gruppe von irakischen Juristen gestellt hat, die das Verfahren gegen Saddam vorantreiben. Seit Monaten wechseln sie ständig den Aufenthaltsort, aus Angst vor Anschlägen. Die Kriegsverbrechertribunale in Den Haag haben die Richter schon besucht, um von den Erfahrungen dort zu lernen. An einem Zeugenschutzprogramm wird gearbeitet, und das eine Verbindungsbüro, das die Ermittler bisher eröffnet haben, kann sich vor Informanten kaum retten.

Das Verfahren gegen Saddam und seine Schergen ist also mit Erwartungen aufgeladen. Ihm wachsen mehrere Aufgaben zu. Es kann, wie die Wahrheitskommission in Südafrika, eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Vergangenheit in Gang setzen. Der Prozess, der wohl erst in einigen Monaten eröffnet wird, ist aber auch ein Test, ob der neue Irak ein rechtsförmiges, faires Verfahren garantieren kann. Schließlich werden die Fernsehübertragungen aus dem Gerichtsaal auch ihre Wirkung auf die Region haben. Mit Saddam steht zwar ein besonders brutaler arabischer Despot vor Gericht, viele seiner Methoden werden aber auch in anderen arabischen Ländern angewandt. Beim Anblick Saddams auf der Anklagebank dürfte es den Assads, Mubaraks, Gaddafis und Abdullahs jedenfalls ein wenig ungemütlich werden, deren Herrschaft sich, wie früher im Irak, vor allem auf die Sicherheitsdienste stützt.

Die Amerikaner haben im Irak vieles falsch gemacht. Aber es ist ihr Verdienst, dass sich der schlimmste der arabischen Despoten endlich vor Gericht verantworten muss. An den Irakern liegt es, aus dieser Chance das Beste zu machen.

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