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Politik: In die Grenzen gewiesen

Deutschland will weltoffen bleiben. Den Vorwurf massenhaften Visabetrugs weist die Regierung zurück

Von Matthias Meisner

Berlin - Von „massenhaftem“ Missbrauch spricht die Union im Bundestag, von „Horrorzahlen“ die Bundesregierung – kurz nachdem Rot-Grün die Visa-Regeln in einem neuen Runderlass präzisiert hat, schaukelt der Streit richtig hoch. Als „Sicherheitsrisiko“ sieht der zuständige Unionsabgeordnete Eckart von Klaeden die Visapolitik der rot-grünen Regierung. Namentlich macht er Außenminister Joschka Fischer mitverantwortlich. Dessen Staatsministerin Kerstin Müller wirft dagegen der Union vor, einen Skandal konstruieren zu wollen, „den es nicht gibt“.

Mehrere Korruptionsfälle, die auch von Rot-Grün nicht bestritten werden, haben die Diskussion angeheizt – so sehr, dass die Union das Thema jetzt von einem Untersuchungsausschuss des Bundestages behandelt wissen will. In der Botschaft in Albaniens Hauptstadt Tirana sollen in größerem Stil Visa gegen Geld ausgestellt worden sein. Dann der Fall aus Sri Lanka, wo Reiselustige vorgaben, der Handball-Nationalmannschaft anzugehören – und dann untertauchten. Als besonders krass sieht die Union die Vorgänge in Kiew an. Dort seien so viele Touristenvisa für Deutschland wie in keinem Land der Welt ausgestellt worden, und zwar, ohne den Reisezweck der Antragsteller zu prüfen. Klaeden zitiert aus einem Urteil des Kölner Landgerichts aus dem Jahre 2003, wonach die Visavergabepraxis erst durch eine völlig ungeeignete Erlasslage möglich geworden sei. Gar vom „Putsch der Leitung des Auswärtigen Amtes gegen die bestehende Gesetzeslage“ habe der Richter in seinem Urteil zu Schleusungen aus der Ukraine gesprochen.

Die Kritik konzentriert sich auf einem Erlass des früheren Staatsministers Ludger Volmer aus dem Jahr 2000, der als Linie „Im Zweifel für die Reisefreiheit“ vorgegeben habe. Eine grundsätzliche Abkehr von diesem Erlass gibt es nach Darstellung der Koalition nicht. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Jürgen Chrobog, sagt zu den im Oktober verschärften Visa-Regeln: „Wir sind ein offenes Land und werden es auch bleiben.“ Bei Missbrauchsgefahr werde ein Visumsantrag abgelehnt, der Ermessensspielraum dazu sei schon nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eingeschränkt. Für Klaeden dagegen sind die bekannt gewordenen Missbrauchsfälle „nur die Spitze des Eisbergs“.

Generell gilt: Signfikant angestiegen ist die Zahl der erteilten Visa unter Rot-Grün nicht. Nach Zahlen, die die Union bei der Regierung erfragt hat, wurden 2003 an Ukrainer 146 000 Touristenvisa erteilt, 1998, im letzten Jahr der Kohl-Regierung, waren es 133 000. Ähnliche Relationen gelten für Weißrussland, Russland, Georgien und Moldawien. Verdoppelt hat sich die Zahl der gewährten Visa demnach in China und Albanien. Für die Union bleibt der Verdacht: Die Leute, jedenfalls dann, wenn sie nicht zu den Betuchten gehören, reisen in die Schengen-Länder oft zur Schwarzarbeit. Oder sie landen in der Zwangsprostitution. In einem Vermerk der Union heißt es, dass es kaum nachvollziehbar sei, dass Menschen aus Russland, „einem der ärmsten Länder der Welt“, über mehrere Monate die Burgen am Rhein besuchen wollten – obwohl bereits die Kosten für Visa und erforderliche Versicherungen einen erheblichen Anteil ihres Pro-Kopf-Einkommens von rund 770 US-Dollar im Jahr ausmachten, „von Reise- und Hotelkosten ganz zu schweigen“.

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