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José Guerra ist der einzige der venezolanischen Abgeordneten, der seinen Namen nennt und den man fotografieren darf.

© Georg Ismar

In geheimer Mission von Caracas nach Berlin: José Guerra kämpft gegen Venezuelas Machthaber Maduro

Auf Schleichwegen haben sie die Grenze passiert, ihre Namen bleiben geheim. In Berlin beklagen Abgeordnete aus Venezuela die Zustände in ihrem Land.

José Guerra hatte damals noch Hoffnung, heute ist er ein Heimatloser. Im April 2017 konnte man ihn, einen der führenden Ökonomen Venezuelas und Abgeordneten der Opposition im kaltgestellten Parlament, noch in Caracas treffen. „Das ökonomische Modell von Maduro hat uns in den Ruin geführt“, sagte er damals einem streng gesicherten Hotel. Sogar die Goldreserven würden in großen Mengen verkauft, um die sozialistische Herrschaft von Nicolás Maduro zu retten.

Schon damals suchten Menschen im Müll nach Essen. Im Zoo war der letzte Elefant, Ruperta, bis auf die Knochen abgemagert, Geier kreisten über dem Tier – Ruperta ist längst tot. Und José Guerra ist im Juni über die grüne Grenze nach Kolumbien und in die USA geflohen.
Nun sitzt er machtlos in einem Restaurant am Berliner Gendarmenmarkt. „Inzwischen sind in der Präsidentschaft Maduros über 5000 private Firmen pleite gegangen“, sagt Guerra. Als einzigen darf man ihn mit Namen nennen und fotografieren. Die Korruption im Sozialismus des 21. Jahrhunderts blüht, viele kluge Köpfe sind weg – und mehrere Tonnen der Goldreserven, die der Staat noch hat, sind unter dubiosen Umständen im Ausland geparkt worden: Das Regime musste fürchten, dass diese bei einem Wandel in die Hände der Opposition fallen würden. Zur Linken und Rechten sitzen weitere Vertreter der Opposition, die noch vor Ort für den Wandel kämpfen.

Die meisten der zwölf Männer und Frauen konnten nicht über den Flughafen in Caracas ausreisen, weil sie fürchten müssen, dass ihnen die Pässe abgenommen werden oder weil sie keinen mehr haben. Also ging es per Bus nach Maracaibo, von dort weiter Richtung grüne Grenze. Neben dem Grenzübergang gibt es ein großes Gebiet der Wayuu-Indigenas. Über Schleichwege, für deren Benutzung die Indigenas Wegezoll kassieren, kann man ohne Kontrollen ausreisen.

Hierüber wird auch das spottbillige Benzin geschmuggelt, um es in Kolumbien zu Geld zu machen. Weswegen es dort in der Grenzstadt Maicao keine Tankstellen mehr gibt, die Wayuu saugen per Schlauch das Benzin in den Kanistern an und betanken Autos und Lastwagen direkt an der Straße. Über diese Schleichwege ging es für die heimlich ausreisenden Abgeordneten nach Riohacha, dann per Flug nach Bogota, von dort zunächst in die USA, dann zur EU nach Brüssel, dann nach Berlin. Dort gab es Treffen mit Abgeordneten des Bundestags, Außenpolitikern und Lateinamerika-Beauftragten des Auswärtigen Amtes – währenddessen wurde Venezuela zusammen mit Deutschland für die Jahre von 2020 bis 2022 in den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen gewählt, eine unsägliche Farce, finden die Oppositionellen.

Protest gegen die Regierung Maduro in Caracas.
Protest gegen die Regierung Maduro in Caracas.

© Carlos Garcia Rawlins/Reuters

Repression, Hunger, Verzweiflung dominieren den Alltag im Land mit den größten Ölreserven der Welt - und Südamerika erlebt die größte Flüchtlingskrise seiner Geschichte. Laut offiziellen Angaben haben bis August 4,3 Millionen Venezolaner ihr Land verlassen, Kolumbien, Ecuador, Peru können die Ströme kaum bewältigen. Die Oppositionspolitiker riskieren viel, um mit Hilfe des Auslands den Druck auf Maduro aufrecht zu erhalten. Überall spüren sie aber diplomatische Ratlosigkeit, nach dem Motto: Was sollen wir denn noch tun?

Da hatte man mal klare Kante gezeigt und Parlamentspräsident Juan Guaido als Interimspräsidenten anerkannt, doch der von China und Russland unterstützte Maduro schaffte es, sich an der Macht zu halten. Auch weil das am Ölhandel beteiligte Militär nicht putschte. Von der Frühjahrshoffnung ist nicht viel geblieben. Der Versuch, freie Präsidentschaftswahlen durchzusetzen, ist vorerst gescheitert. Und die Weltöffentlichkeit hat sich wieder abgewandt. Guaido ist - fast überraschend - immer noch frei, aber Maduro kann ihn auch gewähren lassen. Der internationale Druck ist geringer geworden.

Für Loyalität gibt es subventionierte Lebensmittel

Und der Staat setzt auf Einschüchterung. Eine mit über die grüne Grenze ausgereiste Abgeordnete sagt in Berlin: „Es ist zermürbend, bei mir steht ständig ein Auto des Geheimdienstes vor der Tür, macht Fotos.“ Sie sind frustriert.  „Maduros Macht wird durch die totale soziale Kontrolle gesichert“, sagt eine Abgeordnete in Berlin. Wer Hunger hat, ist halt bereit, mit einem „Carnet de Patria“ dem Regime seine Unterstützung zu versichern, auch bei Wahlen - im Gegenzug gibt es stark subventionierte Lebensmittelpakete.  Hinzu kommen die gefürchteten Schlägertrupps des Regimes.

17 der 112 Oppositions-Abgeordneten leben inzwischen im Exil, einer der jungen Hoffnungsträger, Freddy Guevara, sitzt gefangen in der Botschaft Chiles in Caracas, ein anderer, Leopoldo López, ist in die Botschaft Spaniens geflohen. Immer dienstags tagt das entmachtete Parlament, aber auch interne Streitigkeiten über die richtige Strategie haben die Opposition geschwächt. Hinzu kommt das Misstrauen ärmerer Schichten, da viele der Politiker aus der Oberschicht stammen, und früher haben deren Parteien sie sträflich vernachlässigt.

Tuberkulose, Masern und Diphterie sind auf dem Vormarsch

In Berlin betont eine junge Abgeordnete: Ein Waffengang kann keine Lösung sein. Ein großes Problem seien die ständigen Stromausfälle und das wegbrechende Internet, das die Koordinierung von Protesten, das Absprechen mit Maduro-Gegnern im ganzen Land so erschwert. Und vielen Bürgern fehlt die Kraft, sich nach mehreren gescheiterten Versuchen nochmal zu hunderttausenden zu erheben. Tuberkulose, Masern und Diphterie sind auf dem Vormarsch, die Todesfälle bei Säuglingen sind mangels Medizin und Strom von 2012 bis 2016 um über 60 Prozent gestiegen. Angehörige schlafen vor Krankenhäusern in Hängematten, jeder Tag beginnt mit der Suche nach Medikamenten auf dem Schwarzmarkt.

Ein Oppositionsvertreter berichtet in Berlin, wie dramatisch sich zudem einer der größten Malariaausbrüche weltweit auswirke. Er spricht von 1,5 Millionen Fällen in den letzten Jahren, überprüfen lässt sich das nicht, es gibt kaum noch verlässliche Zahlen aus Venezuela. Ein Malaria-Schwerpunkt seien die Goldabbaugebiete in den tropischen Regionen des Bundesstaats Bolívar. Es sei ein Hohn, dass die Weltgesundheitsorganisation in großer Zahl Malaria-Medikamente spende und diese dann Erkrankten für zwei Gramm Gold verkauft würden. „Das entspricht fast 300 Dollar. Selbstbei der Malariabekämpfung gibt es nun einen Schwarzmarkthandel.“

Die Wahl Ende 2015 war ein Fest der Demokratie

Politisch sind die Zügel angezogen worden, die Parlamentswahl könnte um fast ein Jahr auf Anfang 2020 vorgezogen werden. Angesichts der Repression könnten auch dort am Ende wieder die Sozialisten die klare Mehrheit haben. Die letzte Parlamentswahl am 6. Dezember 2015 war ein Fest der Demokratie und die letzte freie und faire Wahl. Die Opposition gewann fast zwei Drittel der Sitze, es gab Jubel und Feuerwerk auf den Straßen in Caracas. Die Bilder von Hugo Chávez, dem Begründer des Sozialismus des 21. Jahrhunderts, wurden in der Nationalversammlung abgehängt – und viele dachten, das ist der Anfang vom Ende der Präsidentschaft Maduros.

Stattdessen müssen die frei gewählten Abgeordneten heute heimlich ihr Land verlassen und heimlich wieder einreisen. Oder wissen nicht, ob sie je zurück können. José Guerra schaut ständig auf sein Handy. Was gibt’s neues, was passiert in der Heimat? Einer Heimat, die nicht mehr seine ist.

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