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Politik: In Washington knallt trotz des nahen Friedens kein Champagnerkorken

WASHINGTON .Freudentänze am Rhein, Routine am Potomac.

WASHINGTON .Freudentänze am Rhein, Routine am Potomac.Die Reaktionen in Washington auf die Kapitulation Serbiens vor der Nato waren auffällig gebremster als jene, die in Köln beim Gipfeltreffen der Europäischen Union zu beobachten waren.Bill Clinton ließ sich viele Stunden Zeit, bis er eine kurze Erklärung abgab.Das Einlenken des Serbenführers Milosevic sei "willkommen", sagte der Präsident.Und: "Basierend auf unseren Erfahrungen müssen wir vorsichtig sein." Fragen ließ er nicht zu.

Die gesamte Regierung Clinton folgte dem Beispiel des Chefs.Außenministerin Albright: "Wir müssen warten und sehen, ob der Plan eingehalten wird." Albrights Sprecher James Rubin: "Dies ist nicht die Zeit, Champagnerkorken knallen zu lassen." Ein anderer hochrangiger Regierungsmitarbeiter."Wir werden den Sieg feiern, wenn wir den Sieg in der Hand haben." Also dann, wenn der serbische Rückzug aus dem Kosovo nachweislich begonnen haben wird.Milosevic habe schon zu oft gelogen.

Die amerikanischen Fernsehsender berichteten am Donnerstag über das Nachgeben Serbiens unter "ferner liefen".Das Wort Kapitulation kam nicht vor, noch nicht.Die Sender folgten der Logik: Da die eigene Regierung nicht die laute Trommel schlug, konnte sich nichts von Bedeutung ereignet haben im fernen Europa.

Der deutsche Kanzler immerhin erschien in den Spätnachrichten in heftiger Umarmung mit dem finnischen Präsidenten.Zuschauer müssen sich gewundert haben, was es da zu feiern gab.Die elektronischen Medien waren auf Little Rock in Arkansas fixiert.Dort hatte sich ein Flugzeugunglück ereignet.

Es blieb den Freitagszeitungen vorbehalten, die Geschehnisse von Belgrad und Köln historisch einzuordnen: Bedeutende Blätter, die New York Times allen voran, widmeten dem Einlenken der Serben sechsspaltige Schlagzeilen - und analysierten die Bedeutung des Geschehens.Schröder wurde des öfteren zitiert, zustimmend: "Dies ist ein guter Tag für Europa." Die New York Times: "Die Europäer sind von sich selber beeindruckt."

Nur wenige Abgeordnete und Senatoren meldeten sich zu Wort; der Kongreß ist in Urlaub.Jesse Helms, der republikanische Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im Senat, grummelte wie üblich, sprach von einem "sogenannten Friedens-Deal", der schon deshalb nichts Rechtes sein könne, weil er "von Russen, der Europäischen Union und einem angeklagten Kriegsverbrecher" ausgehandelt wurde.Helms: "Milosevic muß aus dem Amt vertrieben werden, aufrecht oder liegend."

Die Anklageerhebung gegen Milosevic vor dem Kriegsgerichtshof in Den Haag hat in den USA zu einer Fülle von Berichten über serbische Greueltaten im Kosovo geführt.Medien und Regierung stellten den Serbenführer als geistigen Erben Hitlers und Stalins dar.Die Erfahrung der US-Politik mit Kubas Fidel Castro und Saddam Hussein in Irak lehrt: einmal dämonisiert, immer dämonisiert.Clinton hat sich selber die Hände gebunden.Er dürfte darauf hoffen, daß Milosevics Tage gezählt sind - sobald den Serben klar wird, daß die "Einigung" mit der EU und Rußland in Wahrheit eben doch eine Kapitulation vor der Nato darstellt.Ein US-Regierungsmitarbeiter verglich Milosevic mit einem Spieler, der bereits fast alles verloren hat.Nun habe er vor der Entscheidung gestanden, auch seine letzten Chips noch zu verspielen - oder "zu retten, was zu retten ist".Insofern habe er eine rationale Entscheidung getroffen.

Im Stillen triumphierten Clinton und seine außenpolitischen Berater denn doch.Sie haben hoch gepokert und gewonnen.Am Donnerstag, während der EU-Gipfel tagte und das jugoslawische Parlament beriet, hatte Clinton noch einmal vernehmlich mit dem Säbel gerasselt.Er hatte die Stabschefs der Waffengattungen ins Weiße Haus geladen.Mitarbeiter sorgten dafür, daß alle Welt erfuhr, worüber geredet werden würde: "Optionen" eines Bodenkriegs im Kosovo.Dabei ging es bei dem Treffen in Wahrheit vor allem um die Beziehungen der Teilstreitkräfte zueinander, um die Aufgabe von Standorten in den USA und ähnliches.

Wirklich gewollt hat in Washington niemand eine gewaltsame Nato-Invasion in Jugoslawien.Doch Clinton schien ernsthaft bereit, diesen Kurs zu gehen.Steht Milosevic diesmal zu seinem Wort, hat Clinton seine Kritiker erneut widerlegt.Er sei in den Bombenkrieg hineingeschlittert, war ihm vorgehalten worden.Er habe den Zerfall der Nato riskiert, wenn nicht gar einen neuen Kalten Krieg mit Rußland und China.Die Bombardements seien bei weitem nicht so wirksam wie von Clinton und der Nato immer wieder behauptet.Nun scheint die Nato bestätigt, Europa gestärkt, Rußland gewonnen.Clintons Kritiker werden ihre Texte umschreiben müssen.

UWE KNÜPFER

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