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Politik: Indonesien: Gebrechlich, aber trickreich

Das indonesische Parlament in Jakarta macht Ernst. Es will ein neues Staatsoberhaupt, weil ihr jetziges eine einzige Enttäuschung ist.

Das indonesische Parlament in Jakarta macht Ernst. Es will ein neues Staatsoberhaupt, weil ihr jetziges eine einzige Enttäuschung ist. Am späten Mittwoch machten die Abgeordneten mit nur vier Gegestimmen den Weg frei für eine Sondersitzung der Beratenden Volksversammlung (MPR), in der über die Amtsenthebung entschieden werden soll.

Als Abdurrahman Wahid im Oktober 1999 zum Staats- und Regierungschef gewählt wurde, atmeten viele Indonesier auf: Der gebrechliche und fast blinde Mann war bekannt für seine demokratische und tolerante Haltung. Auf den islamischen Gelehrten und Politiker richtete die Bevölkerung ihre Hoffnung, dass er die mit 210 Millionen Menschen viertgrößte Nation der Erde nach 33 Jahren Suharto-Diktatur aus der Wirtschaftskrise in eine bessere und gerechtere Zukunft führen werde. Wahid wurde deshalb mit dem Ehrentitel "Gus Dur" angesprochen.

Heute, 19 Monate später, kämpft Wahid mit Mitteln um seine Macht, die er früher verurteilt hätte: So drohte er, das Parlament aufzulösen, plante Ausnahmezustand und Pressezensur. Angesichts des drohenden Amtsenthebungsverfahrens suchte er Hilfe bei fundamentalistischen Moslems, obwohl er ihnen stets misstraute. Er soll ihnen wichtige Ämter versprochen haben.

Seine Sturheit, seine Unberechenbarkeit und seine Angewohnheit, Freunde und Feinde zu beleidigen und dann mit einer witzigen Bemerkung wieder für sich zu gewinnen - diese Eigenschaften zeichneten Wahid unter der Diktatur aus und machten ihn populär. Doch als Präsident zog er Kritik auf sich.

Statt demokratische Spielregeln zu fördern, behandelte der 60-Jährige das Parlament wie eine lästige Gruppe von Kindern und Verschwörern. Um seinen Sturz zu verhindern, hatte Wahid angeboten, seine Regierungsbefugnisse an Vizepräsidentin Megawati Sukarnoputri abzugeben und nur noch formal an der Spitze des Staates zu bleiben. Und die Indonesier fragten sich gespannt, ob die Politikerin und Chefin der größten Parlamentsfraktion den Vorschlag annehmen und damit Wahids politisches Überleben sichern werde. Doch inzwischen ist klar: Auch die Vizepräsidentin geht weiter auf Distanz. Sie traut Wahid nicht, denn er machte schon einmal ein ähnliches Angebot und hielt sich nicht daran. Alle wichtigen Parteien im Parlament wandten sich gegen den Vorschlag des Staatschefs.

Vom versprochenen Kampf gegen die Korruption blieb nichts übrig. In Jakarta heißt es, Wahid höre nur auf seine Günstlinge und Verwandten und glaube inzwischen gar, dass er eine göttliche Bestimmung habe, Indonesien zu regieren.

Dies überdeckt die Verdienste seiner bisherigen Amtszeit, die von Toleranz gegenüber Christen, Chinesen und anderen Minderheiten geprägt war. Wahid sorgte dafür, dass Indonesien Osttimor freigab und streckte die Hand zur Versöhnung aus. Ebenso zeigte er zunächst Verständnis für Proteste in Provinzen wie Aceh oder West-Papua. Er ließ politische Gefangene frei und sprach über dunkle Zeiten: Wahid brach ein Tabu, als er sich entschuldigte für das Blutbad an mehr als 500 000 Kommunisten und vermeintlichen Sympathisanten in den 60er Jahren - damals, als Suharto die Macht an sich riss.

Längst hat Wahid die Regierung nicht mehr im Griff: Minister und Streitkräfte weigerten sich, den Ausnahmezustand mitzutragen. Wahid kann sich nur auf die moslemische Massenorganisation "Gemeinschaft der Religionslehrer" stützen, deren Chef er war. Diese randalieren in Ostjava und wollen die Gewalt nach Jakarta tragen.

Jutta Lietsch

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