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Nah am Corona-Patienten. Und keiner weiß, wie viele Ärzte bereits selber infiziert sind.

© Peter Kneffel/dpa

Infizierte Ärzte: Keiner weiß, wie viele Mediziner sich mit dem Coronavirus angesteckt haben

Wie viele Ärzte sind bereits coronainfiziert? Aktuell weiß das keiner. Die Linke nennt den Verzicht auf eine verlässliche Registrierung "fahrlässig".

Im Kampf gegen die Corona-Epidemie gibt es bislang keine systematische Erfassung der infizierten Ärzte und anderer Beschäftigter in medizinischen Einrichtungen. Das dürfe nicht so bleiben, fordern nun Politiker und Ärzteverbände. Die Bundesregierung verhalte sich „mindestens fahrlässig, wenn sie auf eine Registrierung verzichtet“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Links-Fraktion, Achim Kessler, dem Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health. 

Wenn hier nicht sofort gehandelt werde, wolle die Linke im Bundestag versuchen, die Regierenden gesetzlich zur Registrierung des infizierten Gesundheitspersonals zu zwingen. Das allerdings wäre dann für diese, warnt Kessler, „angesichts der Pandemie ein gesundheitspolitischer Offenbarungseid“.

Auch Bundesärztekammer (BÄK) und die Klinikärzte-Gewerkschaft Marburger Bund (MB) drängen auf eine systematische Registrierung der Infizierten. Medizinisches Personal müsse landesweit zentral und getrennt nach Berufsgruppen erfasst werden, „damit wir die Erkrankungen dort auch vergleichen können mit den Erkrankungszahlen in der Bevölkerung, die nicht im Gesundheitsdienst arbeitet“, fordert die MB-Bundesvorsitzende Susanne Johna.

Das würde aus ihrer Sicht wichtige Hinweise über die Entwicklungen in den Krankenhäusern geben. Und es könne hilfreich sein für einen Überblick, welche Schutzmaßnahmen geeignet seien und welche nicht.

Bislang keine rechtliche Verpflichtung

Um einen Überblick zu bekommen, sei es „notwendig, die Zahlen des infizierten medizinischen Personals nach Berufsgruppen getrennt zentral zu erfassen“, sagte BÄK-Vizepräsidentin Heidrun Gitter dem Tagesspiegel Background. „Nur so bekommen wir ein möglichst aktuelles Lagebild.“ Dies setze zum einen voraus, „das Personal in Kliniken, Pflegeheimen und Arztpraxen flächendeckend und engmaschig zu testen, was schon zum Schutz vor Weiterverbreitung erforderlich wäre“. Zum anderen müssten diese Ergebnisse dann „schnell und unbürokratisch“ an das Robert Koch-Institut (RKI) weitergeleitet werden.

Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog

Bisher hat die Regierung keinen Überblick über die Zahl der Erkrankten im medizinischen Sektor. Wie blank sie da steht, zeigte sich jüngst in ihrer Reaktion auf eine Anfrage der Linksfraktion, deren Beantwortung dem Tagesspiegel Background vorliegt. Auf die Frage, wie hoch der aktuelle Infektionsstand bei Ärzten, Pflegepersonal und anderweitig Beschäftigten in medizinischen Einrichtungen sei und wo sich dazu verlässliche Zahlen finden ließen, antwortete Thomas Gebhart (CDU), Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, mit einem einzigen dürren Satz: „Eine rechtliche Verpflichtung für eine zentrale Registrierung von Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal und anderem medizinischen Fachpersonal im bundesdeutschen Gesundheitssektor, die sich mit dem Virus SARS-CoV-2 infizieren, gibt es nicht.“

"Ein unglaublicher Skandal"

Dass die Bundesregierung lediglich mit dem Hinweis auf eine fehlende rechtliche Verpflichtung antworte, sei „ein unglaublicher Skandal“, sagt Kessler. Auch ohne ausdrückliche Rechtsvorschrift müsse infiziertes Gesundheitspersonal zentral registriert werden, um einen Überblick über die Personalsituation zu erhalten. Außerdem sei dies „zum Schutz der Kolleginnen und Kollegen und damit letztlich auch für die Bekämpfung der Pandemie unverzichtbar“.

Dabei ist es nicht etwa so, dass gar keine Zahlen über infiziertes medizinisches Personal vorliegen. Im RKI-Lagebericht – Stand: 23. April – heißt es, dass unter den bislang übermittelten Covid-19-Fällen 8.102 Beschäftigte von medizinischen Einrichtungen gewesen seien, also etwa in Kliniken, Arzt- und Dialysepraxen oder Rettungsdiensten.

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Unter den als infiziert Gemeldeten seien die meisten weiblich (72 Prozent), der Altersschnitt liege bei 41 Jahren. 4,6 Prozent davon mussten im Krankenhaus behandelt werden. Und es wurden bisher auch 13 Todesfälle bei medizinischem Personal „in Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung“ registriert. 

Der Anteil des infizierten Medizin-Personals an allen übermittelten Fällen habe in der 16. Kalenderwoche bei „mindestens 7,2 Prozent“ gelegen. Er ist den Angaben zufolge beständig gestiegen: In der 12. Kalenderwoche betrug er noch 3,6 Prozent. In der 13. Kalenderwoche waren es 4,9 Prozent, in der Woche danach 5,6 Prozent und dann, also vor zwei Wochen, 6,8 Prozent.

Bei fast der Hälfte der gemeldeten Fälle ist der Beruf unbekannt

Allerdings sind diese Zahlen alles andere als vollständig. Bei mehr als 40 Prozent der Covid-19-Fälle fehlten Angaben zur Tätigkeit, räumt das RKI ein. Insofern sei „der Anteil der Fälle mit einer Tätigkeit in medizinischen Einrichtungen möglicherweise auch höher“. Die „Tätigkeit“ der Infizierten abzufragen, ist schließlich nur eine RKI-Empfehlung. Ob und wie genau das dann über die Meldeformulare der Gesundheitsämter geschieht, unterscheide sich von Bundesland zu Bundesland.

Die Angaben seien „unvollständig und geben keine Auskunft über die Arztgruppen und Fachrichtungen“, moniert auch der Marburger Bund. Dabei könne eine systematische Erfassung, wenn man denn wolle, „sehr wohl im Infektionsschutzgesetz spezifiziert werden“.

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Die Bundesärztekammer gehe momentan von „mehreren Tausend“ infizierten Medizinern  in Deutschland aus, so Vize-Präsidentin Gitter. „Anders als Ländern wie Italien und Spanien liegen uns aber keine genauen Zahlen vor.“ Die BÄK habe das RKI bereits gebeten, unter Wahrung des Datenschutzes entsprechende  Statistiken zu erstellen. Solche anonymisierten Informationen wären „eine wichtige Information über möglicherweise gefährlichen Personalausfall in der Patientenversorgung“. Sie würden auch die Koordinierung von „stillen Reserven“, wie etwa Ärzte im Ruhestand oder Medizinstudierende, die in der Pflege helfen könnten, erleichtern. Und hilfreich wäre eine Erfassung zudem für Fragen der Absicherung von Infektionen und deren Folgen zur Anerkennung als beruflich bedingte Erkrankung. 

Bundesärztekammer wünscht sich ein Frühwarnsystem

Es gebe „keine gesicherten Erkenntnisse darüber, wie hoch die Infektionsrate unter Ärzten und Pflegenden ist“, bedauert auch MB-Chefin Johna. Das liege allerdings nicht nur an der „bundesweit unsystematischen Erfassung“. Man müsse auch „sehr viel häufiger testen, damit wir infizierte Beschäftigte und Patienten gleichermaßen schützen können“, sagte die Verbandschefin dem Tagesspiegel Background. Das entspricht einer Forderung der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), die darauf drängt, alle Patienten und Mitarbeiter in deutschen Kliniken mindestens einmal pro Woche auf Covid-19 zu testen.

„Wir müssen die Testkapazitäten voll ausschöpfen“, so Johna. „Nur dann werden wir in der Lage sein, Infektionsketten tatsächlich nachzuverfolgen und zu unterbrechen“. Das gelte „in ganz besonderer Weise für die Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen“. Und wenn die Kliniken wieder mehr und mehr auf Regelbetrieb umstellten, werde das „noch wichtiger sein, ebenso wie die klare, idealerweise auch personelle, Trennung der Bereiche mit Covid-19-Patienten und solchen auf anderen Stationen“.

Die Bundesärztekammer wünscht sich noch mehr: ein „Frühwarnsystem“ für den voraussichtlichen Behandlungsbedarf in einer Region. Dafür sollten anonymisierte Informationen über aktuell infizierte Patienten mit Daten zu typischen Krankheitsverläufen kombiniert werden, fordert Vizepräsidentin Gitter. Dies, so hofft sie, würde dann „unter anderem eine effizientere Personalplanung und Allokation von Schutzausrüstung ermöglichen“.

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