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Inselrepublik vor Präsidentschaftswahl: Zyperns Zeit wird knapp

Russisches Schwarzgeld, Briefkastenfirmen, wankende Banken – Zypern braucht dringend Hilfskredite, doch die EU misstraut der Inselrepublik. Die Präsidentschaftswahl an diesem Sonntag gilt als Weichenstellung.

Schade, dieser Regen, sagt Yuri Pianykh und schaut auf die verlassene Terrasse hinaus. Der russische Geschäftsmann sitzt in der Lobby des Hotels Four Seasons in Limassol. Kühl ist es heute, etwas zu kühl, um draußen zu sitzen. Pianykh hat sich eine Strickjacke übergezogen, lehnt sich in seinem Sessel zurück und redet über die Liebe. Die Liebe zur Inselrepublik Zypern. Obwohl die gerade heute ein wenig eingetrübt ist. „Sonst scheint hier fast immer die Sonne“, sagt Pianykh. Das ist nur einer der zahlreichen Vorteile.

Vor 25 Jahren gab Pianykh seinen Job als Sowjet-Diplomat auf und ließ sich als Geschäftsmann auf der Insel nieder. Heute ist er Vorsitzender des Verbandes russischer Unternehmer in Zypern. Etwa 20 000 russische Staatsbürger leben hier, sagt Pianykh. Wer mindestens 300 000 Euro in eine Immobilie investiert, bekommt eine Aufenthaltsgenehmigung.

Wie sich die Zeiten ändern. Wenn Zypern den europäischen Nachbarn früher Probleme bereitete, ging es fast immer um die Folgen der Teilung nach der türkischen Invasion 1974. Davon redet beinahe niemand mehr. Jetzt wird um Briefkastenfirmen gestritten, um Steuerdumping und Geldwäsche. Es geht um wankende Banken, die die Volkswirtschaft in den Abgrund reißen könnten. Und um russische Milliarden, die der Insel erst einen wirtschaftlichen Boom bescherten – und ihr dann zum Verhängnis wurden.

Der seit fünf Jahren amtierende Kommunist Dimitros Christofias tritt bei der Präsidentschaftswahl an diesem Sonntag nicht mehr an, er hätte wohl auch nicht die geringste Chance auf eine Wiederwahl. Als Favorit gilt der Konservative Nikos Anastasiadis. „Wir haben keine Zeit zu verlieren“, sagt der Kandidat. Zypern brauche dringend Hilfskredite, „ich spreche von Wochen, nicht von Monaten“. Als neuer Staatschef stünde Anastasiadis vor einem Dilemma: Einerseits muss er die Geldwäschevorwürfe entkräften, den aufgeblähten Bankensektor stutzen und mehr Transparenz herstellen, um an Kredite der EU zu kommen. Andererseits darf er das Geschäftsmodell des Niedrigsteuerstandorts Zypern, wo auf 850 000 Einwohner rund 300 000 Firmen kommen, nicht gefährden.

Viele der Villen in den Hügeln über der Küste von Limassol gehören reichen Russen. Nicht nur die gemeinsame Religion verbindet Russen und Zyprer. Schon im Kampf gegen die britischen Kolonialherren wussten die Insulaner die Sowjetunion an ihrer Seite. Und dann gibt es da noch das Doppelbesteuerungsabkommen, erklärt Pianykh. Großkonzerne wie Gazprom, Lukoil oder Severstal und russische Banken sind mit ihren Niederlassungen auf Zypern sichtbar. Wie viele russische Eigentümer sich hinter den hunderttausenden GmbHs verbergen, weiß aber niemand genau.

Auch Michalis M. nicht. Der Mittfünfziger ist Mitinhaber einer Wirtschaftskanzlei in Limassol. Seinen vollen Namen möchte er nicht nennen, „wegen der Diskretion“, die seine Mandanten erwarten, wie er sagt. Viele der Firmen, die Michalis betreut, gehören Russen. Die Geldströme erklärt er so: „Unternehmen in Russland führen ihre Gewinne an zyprische Holdinggesellschaften ab. Dafür werden in Russland fünf Prozent Steuern fällig, in Zypern werden die transferierten Dividende gar nicht besteuert – so sieht es das Doppelbesteuerungsabkommen vor.“ Von Zypern fließen die meisten Gelder zurück nach Russland. Auf dem Papier ist Zypern der größte ausländische Investor in Russland. „Alles völlig legal“, versichert Michalis M.

Russisches Schwarzgeld?

Russisches Schwarzgeld? Der Vorwurf steht nicht erst im Raum, seit ein Bericht des Bundesnachrichtendienstes aufgetaucht ist. Demnach haben russische Oligarchen und Mafiosi bei zyprischen Banken 20 Milliarden Euro gebunkert. Schon in den 90er Jahren soll der damalige serbische Staatschef Slobodan Milosevic große Summen über Zypern in Sicherheit gebracht haben. Jetzt ermittelt die griechische Justiz gegen den früheren Verteidigungsminister Akis Tsochatzopoulos. Ihm wird zur Last gelegt, bei Rüstungsaufträgen Millionen-Schmiergelder kassiert zu haben. Ein Teil davon floss über Zypern – „Torcasso“ hieß die Briefkastenfirma.

In diesem Fall hat auch Eva Rossidou Papakyriakou ermittelt. Sie sitzt im dritten Stock an der Perikles-Straße in Nikosia. Papakyriakou ist Staatsanwältin und Chefermittlerin bei der Bekämpfung von Geldwäsche. „Schwarzgeld ist überall“, sagt sie. „Dagegen gibt es kein perfektes System auf der Welt.“ Aber der in Deutschland erhobene Vorwurf, Zypern sei eine Geldwaschmaschine, „ist schlichtweg falsch“, sagt Papakyriakou. Untersuchungsberichte von Moneyval, des Anti-Geldwäsche-Komitees des Europarats, hätten Zypern immer wieder gute Noten erteilt.

Ob sauber oder schmutzig: Es waren die russischen Milliarden, die Zypern zum Verhängnis wurden. Zwischen 1995 und 2011 wuchs der Finanzsektor um 240 Prozent – fast viermal so schnell wie die Gesamtwirtschaft. Einlagen von 70 Milliarden Euro türmten sich bei den Banken, fast das Vierfache des Bruttoinlandsprodukts. Mehr als ein Drittel davon stammte von ausländischen Kunden, vor allem Russen. Die zyprischen Banker hatten ein Problem: Wohin mit dem vielen Geld? Erst vergaben sie Kredite, oft ohne sorgfältige Prüfung der Bonität. Dann expandierten sie ins benachbarte Griechenland, verteilten auch dort großzügig Darlehen und legten die Milliarden in griechischen Staatsanleihen an.

Als die privaten Gläubiger 2012 beim griechischen Schuldenschnitt zur Kasse gebeten wurden, sah es für die Banken schlecht aus. Am schlimmsten traf es die Laiki-Bank, die rund die Hälfte ihrer Bilanzsumme in Griechenland erwirtschaftete. Die Hauptverwaltung des Instituts an der Limassol-Allee in Nikosia, ein futuristischer Turm aus Stahl und Glas, ist ein Monument aus besseren Tagen. Vergangenes Jahr war die Laiki praktisch pleite, musste mit 1,8 Milliarden Euro vom Staat gerettet werden. „Der Schaden ist riesig“, sagt Takis Phidia. Er soll als kommissarischer CEO das Institut sanieren. „Wir haben einen Verlust von fast 90 Prozent“, sagt Phidia. Jetzt muss die Bank schrumpfen, vor allem im verlustreichen Auslandsgeschäft.

Die Zeit für die Rettung Zyperns wird knapp. Im Juni muss die Insel Staatsanleihen von 1,4 Milliarden Euro refinanzieren – sonst ist Zypern pleite. Bis zuletzt hoffte Präsident Christofias auf russische Hilfsgelder, um seinen Landsleuten unbequeme Auflagen der EU zu ersparen. Bereits Ende 2011 stand Russland den Zyprern mit einem Notkredit von 2,5 Milliarden Euro bei. Aber jetzt zeigt es Christofias die kalte Schulter. Die Risiken in Zypern seien zu groß, als dass sie ein Kreditgeber allein tragen könne, heißt es im russischen Finanzministerium. Deutsche Politiker wollen Russland an der Zypernhilfe beteiligen – schließlich geht es auch um die Rettung russischer Guthaben. Doch kann der EU daran gelegen sein, Moskau mit ins Boot zu holen? „Russland hat ein großes politisches und ökonomisches Interesse an Zypern“, warnt Commerzbank-Analyst Christoph Weil.

Zypern weckte seit jeher Begehrlichkeiten der Eroberer

Tatsächlich hat die Mittelmeerinsel seit jeher Begehrlichkeiten der Eroberer geweckt, von den Assyrern über die Ägypter, die Perser, Römer und Türken bis zu den Briten. Großbritannien unterhält zwei exterritoriale Militärbasen auf der Insel, die als „unsinkbarer Flugzeugträger“ gilt und eine wichtige Rolle für den Afghanistaneinsatz spielt. Auch die USA nutzen die britischen Stützpunkte im Krisenfall, wie beispielsweise den Golfkriegen. „Russland hätte auf der Insel sicher gerne einen Anlaufpunkt für seine Kriegsflotte, wenn es seinen Stützpunkt in Syrien, dem einzigen im Mittelmeer, verlieren würde“, glaubt Weil. Auch die vor Zypern vermuteten großen Erdgasvorkommen sind für Moskau interessant. Wenn die EU Zypern helfe, werde Russland sich beteiligen, signalisierte Premier Dimitri Medwedew bereits.

Zyperns Staatschef hat noch ein anderes Eisen im Feuer. Wenn die Not am größten ist, besinnt sich offenbar selbst ein hartgesottener Kommunist auf den Beistand höherer Mächte. So ließ Christofias kürzlich bei seiner Heiligkeit Erzbischof Chrysostomos II. vorfühlen, dem Oberhirten der zyprisch-orthodoxen Kirche: Ob er nicht in Moskau ein gutes Wort einlegen und einen dringend benötigten Rettungskredit locker machen könne. Der Erzbischof griff zum Telefon und ließ sich mit seinem Kollegen Kirill I. verbinden, dem Patriarchen von Moskau. Dieser habe versprochen, das Anliegen Präsident Putin vorzutragen, sagt Chrysostomos. Eine Antwort aus dem Kreml steht noch aus.

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