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Integration: Wo ist der deutsche Traum?

Yes, they can: Millionen Amerikaner jubeln Barack Obama als erstem schwarzen Präsidenten zu. Der Rest der Welt schaut fast neidisch auf Washington. Und wir? Schwerfällig bastelt Deutschland an seinem Problem der "Menschen mit migrantischem Hintergrund" herum.

Von Caroline Fetscher

Aus seiner Kindheit berichtete Martin Luther King einmal ein Schlüsselerlebnis. Beim Spielen mit weißen Kindern hatten die ihn als „Nigger“ beschimpft. Das gekränkte Kind flüchtete auf den Schoß seiner Mutter, der Lehrerin und Pastorentochter Alberta Williams King. Mit der Ruhe, die aus tiefer Überzeugung kommt, tröstete sie ihn. Sie sagte: „Du bist ganz genauso gut wie jedes andere Kind.“ So vermittelte sie ihm das Gefühl für sein unerschütterlich gültiges Dazugehören, jenseits von Hautfarbe und Herkunft. Weil der Junge ihre Überzeugung merkte, konnte er auf die Aussage vertrauen und sie sein Leben lang fruchtbar werden lassen.

Amerika hat jetzt einen farbigen Harvard-Absolventen zum Präsidenten gewählt, der in seinem Selbstvertrauen, seiner Integrität gern mit King verglichen wird, als dessen später Erbe – und dessen Ernte. Millionen Amerikaner jubelten Barack Obama zu. Begeistert, fast neidisch schaut die Restwelt auf Washington. Ausgefochten, dann ausgehandelt werden bei ihnen die heftigen Spannungen zwischen politischem Pioniergeist und konservativer Neigung zum Beharren. Wenngleich Finanzkrisen, Kriege und Naturkatastrophen an diesem Wahlsieg ihren Anteil hatten, zu sehen ist: Yes, they can.

Aber wir hier? Schwerfällig bastelt Deutschland an seinem Problem der „Menschen mit migrantischem Hintergrund“ herum, deren Status zu definieren schon linguistisch ein Kraftakt zu sein scheint. Jahrzehnte hat es gedauert, bis sich ein wackliger Konsens darüber etablieren konnte, dass Deutschland – wie alle Staaten der Erde – nun mal ein Einwanderungsland ist, und nicht das Territorium eines genetisch, mythisch festgeschriebenen Stammes. Dieses Faktum zu belegen berief Innenminister Schily (SPD) im Jahr 2000 eine Einwanderungskommission mit Rita Süssmuth (CDU) an der Spitze ein, sehr zum Ärger ihrer Partei. Inzwischen laden Unionspolitiker wie Innenminister Wolfgang Schäuble und Kanzlerin Angela Merkel die „Menschen mit Migrationshintergrund“ zum nun dritten Integrationsgipfel ins Kanzleramt. Türken als Gäste im Kanzleramt – das geht. Einen türkischstämmigen Kanzler kann sich die Gesellschaft gleichwohl noch nicht vorstellen. Wir hinken hinterher. Und das ist keine Überraschung. Von Beginn ihrer Gründung an definierten sich die Vereinigten Staaten ausdrücklich als Hafen für Einwanderer. Jeder, der sich freiwillig dort ansiedelte, war Immigrant. Für die Rechte der aus Afrika verschleppten Zwangsarbeiter fochten im Bürgerkrieg 1860 bis 1865 Hunderttausende amerikanischer Föderalisten. Ohne Pause hat sich die US-Bürgerrechtsbewegung seit damals weiterentwickelt – bis nun bald Familie Obama ins Weiße Haus einzieht.

Europa hat nicht nur den ungeheuerlichen Zivilisationsbruch der Schoah hinter sich. Seine Nationalstaaten haben Zuwanderungsdruck meist als Bedrohung aufgenommen. Im deutschen Euphemismus vom – konjunkturbedingt angeworbenen – „Gastarbeiter“ lauerte ja bereits der erwartete Abschied. Gäste gehen irgendwann. Doch die Gäste sind Bürger geworden, sie fordern mit Recht Teilhabe. Kenan Kolat, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinden, erklärte zum Integrationsgipfel, Empathie und Partizipation seien die Lotsen dieses Prozesses. Sich in den anderen einfühlen, den anderen einladen, ermutigen, das war die Botschaft der Mutter King an ihren Sohn. Anders gesagt: „Ich verstehe dich, ich akzeptiere dich, dies Land ist auch dein Land, mein Kind“, eine Paraphrase des American Dream. Dass wir eine Bevölkerung haben, und nicht ein „Volk“, lernt Deutschland eben erst verstehen. Mit Recht fordern türkische Verbände mehr Anstrengung für die Schulbildung der Kinder mit „Migrationshintergrund“. Doch Bildung allein reicht nicht. Entstehen muss ein Modell von Staatsbürgersinn und Verfassungspatriotismus, das die so prekäre wie fatale Attraktivität der Parallelgesellschaften ablöst. Ein Modell, das türkische, arabische, ex-jugoslawische oder russische Eltern stolz darauf macht, wenn ihre Töchter und Söhne einen „German Dream“ entwickeln, einen Traum, den sie verwirklichen wollen und können. Bis zum Kanzleramt.

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