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Integrationspolitik: Mosaik statt Schmelztiegel

Neue Wege der Integrationspolitik: Den Haag verschafft seinen Bürgern konkrete Erlebnisse, statt nur Anpassung zu verordnen.

Das Wort Integration wird in dem Papier "Zusammen Stadt sein" nur einmal erwähnt – mit dem Hinweis, es nicht mehr zu benutzen. Weil seine Bedeutung negativ geworden sei und zu sehr für Anpassung stehe. Die Verwaltung der niederländischen Regierungsstadt Den Haag setzt auf den Begriff "Bürgerschaft": "Ein Bürger fühlt sich als Miteigentümer seiner Straße und seines Viertels. Die Schule seiner Kinder ist seine Schule, der Baum vor seinem Haus ist sein Baum. Der öffentliche Raum ist das Wohnzimmer der Stadt … Ein Bürger versteht, dass soziale Qualität kein Recht und kein Geschenk ist ..." – So steht es im Leitfaden der Stadt für ein besseres Zusammenleben.

Surrendra Santokhi, Manager des Bürgerschaftsprogramms, sagt, dass der 11. September 2001 und die Wahlen in den Niederlanden von 2006 zum Umdenken geführt hätten: "Wir haben die stereotype Diskussion um Integration beendet. Wir haben erkannt, dass die wirtschaftliche Dynamik in Diversität und Toleranz liegt. Mit dem Programm Bürgerschaft investieren wir in eine normale Lebensumgebung für alle Bürger." Wohnen, Arbeiten und Freizeit werden als Einheit gesehen. "Wir haben 8500 ethnische Kleinunternehmer in der Stadt, und denen geht es sehr gut."

Den Haag hat sich zur internationalen Stadt gewandelt

Den Haag hat sich von der beschaulichen Beamtenstadt mit Regierung und Botschaften in den letzten zehn Jahren zu einer internationalen Stadt mit rund 45 Prozent Einwohnern nichtniederländischer Herkunft entwickelt. Zehn Prozent der Bevölkerung haben einen Hindu-Hintergrund, Surinamer, Antillianer, Marokkaner und Türken bilden weitere große Bevölkerungsgruppen. Zugenommen hat vor allem die Asylimmigration. "Bis jetzt lebte jeder in seiner Welt", sagt Santokhi, "der Muslim pendelt zwischen Kaffeehaus, Moschee und Satellitenschüssel, aber auch der weiße Akademiker bewegt sich innerhalb eines abgeschlossenen Zirkels. Den müssen wir aufbrechen."

Der Außenraum der Stadt sei wichtig. Alle Bürger hätten ein Interesse an einer sauberen, sicheren und schönen Umgebung, in der man sich wohl fühle. Nachholbedarf habe man zudem auf den Gebieten Unterricht und Arbeit, vorhandene Einrichtungen würden noch nicht von allen Bürgern genutzt. Helfen soll ein Fonds mit möglichst wenig Bürokratie, der Dialog und Zusammenarbeit im öffentlichen Raum fördert. Die Gemeinde stellt jedes Jahr eine Million Euro zur Verfügung und jedes Projekt, das die Menschen zusammenbringt, kann bis zu 25.000 Euro im Jahr anfordern. Alle Projekte stellen sich einer öffentlichen, demokratischen Bewertung und können mit dem eigens gestifteten Bürgerschaftspreis noch einmal 25.000 Euro für ihr Projekt gewinnen.

Alteingesessene werden "Paten" für Neubürger

Die Neubürger bekommen gratis Eintrittskarten zu den vielen Haager Kulturfestivals: "Die Menschen müssen nur kommen und sich die Karten abholen, das ist die einzige Bedingung, so kommen sie mit uns in Kontakt", sagt Santokhi. Damit die Bürger anderer Kulturen die Schwellenangst überwinden, gibt es die "Haager Begegnungen": Haager Bürger nehmen praktisch als Paten die Neuen mit ins Theater, erklären ihnen beispielsweise, wie das mit der Garderobe funktioniert oder sie lernen gemeinsam Rad fahren – nicht unwichtig in den Niederlanden. "Wir haben uns nicht an den nationalen Diskussionen über das Kopftuch beteiligt, wir bleiben relaxed", sagt Santokhi, der einmal als Sohn hinduistischer Eltern aus Suriname in die Niederlande kam.

So besuchen Schulen sich gegenseitig, die Montessori-Schüler aus dem vorwiegend weißen Vogelwijk fuhren zur Hinduschule im Transvaal-Viertel. Aus dem Besuch entstand ein Skript für einen Film, die Kontakte sind konkret und halten lange. Ein anderes Projekt war „Bei den Nachbarn vor der Glotze“: Was sehen die Marokkaner, Türken, Surinamer mit ihrer Satellitenschüssel? Im Zuiderpark sind dieses Jahr alle religiösen Gruppen eingeladen, ihre Ideen über Bürgerschaft und Gemeinsinn vorzutragen. Mit ihrer Politik sucht die Stadt "differenzierte Solidarität. Jeder soll so sein, wie er ist. Wir sind kein Schmelztiegel, sondern ein Mosaik", sagt Santokhi. Gleichzeitig werde antigesellschaftliches Verhalten direkt angegangen: "Wir reagieren, aber gleichgewichtig. Wer gegen Homos wettert, ob Imam oder christlicher Prediger, muss mit unserem Widerstand rechnen."

Bürgernahe Verwaltung

Ein wichtiges Element des bürgerschaftlichen Ansatzes ist die flexible, aufsuchende Verwaltung: Die Beamten gehen in die Viertel, sprechen mit den Leuten. Der ehemalige Bürgermeister Deetman habe alle religiösen Einrichtungen regelmäßig besucht und bei Problemen direkt angerufen. "Dem hat sich bisher noch niemand verweigert", sagt Santokhi.

Den Haag ist dabei, das Verhältnis zu den Bürgern neu zu definieren und zu stimulieren, statt Probleme von oben herab zu lösen. Beamte, die sich im Dienst am Schalter im Kontakt mit dem Bürger bewähren, werden ausgezeichnet: "Uns gehört gemeinsam Den Haag“" heißt es programmatisch. Santokhi freut sich über das zunehmende Interesse der Ministerien und anderer Städte an seiner Arbeit.

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