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Händewaschen vor dem Unterricht. Diese Kinder im Kongo haben wenigstens Wasser, Millionen Afrikaner verfügen noch nicht einmal über diese Möglichkeit der einfachsten Hygiene.

© Mark Naftalin/Unicef/dpa

„International weit abgefallen“: Die Corona-Impfung naht? Am Kap gibt es kaum Hoffnung

Der afrikanische Kontinent ist beim Wettrennen um den Impfstoff wieder einmal abgehängt. Kritiker sagen, das sei nicht nur unethisch, sondern auch dumm.

Afrikaner, die dieser Tage die Nachrichten internationaler Fernsehsender verfolgen, werden von einem unangenehmen Gefühl beschlichen. Dort laufen ständig Bilder von europäischen oder US-amerikanischen Pharma-Firmen, die Tausende von Glasfläschchen abfüllen, verpacken und verladen: Schon werden die ersten Dosen des Impfstoffs gegen das Coronavirus in hellhäutige Oberarme gespritzt.

Zum ersten Mal in diesem Jahr zeigen sich Fachleute wieder hoffnungsvoll: Das Serum soll endlich die Wende im unglücklichen Kampf gegen den Krankheitserreger bringen. Zumindest in einem Teil dieser Welt.

Afrikas Fernsehzuschauer ahnen bereits, dass sie beim Wettrennen um die lebensrettenden Impfstoffe wieder einmal abgehängt wurden. Nach Recherchen der „Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health“ im US-Staat Maryland haben die Regierungen der Industrienationen bereits 7,5 Milliarden Impfstoff-Dosen bestellt und bezahlt – mehr als die Hälfte aller Vakzine, die im günstigsten Fall in den nächsten Monaten produziert werden können. Damit vermögen Industrienationen ihre gesamte Bevölkerung im Lauf des kommenden Jahres mindestens dreimal „durchzuimpfen“.

Wo der Rest der Welt – immerhin 85 Prozent der Menschheit – bleibt, ist noch immer ungewiss. Nach Afrika, wo mittlerweile 1,3 Milliarden Menschen leben, wird das Serum frühestens Mitte des kommenden Jahres kommen, prognostizieren die Forscher der Johns-Hopkins-Universität. Bis Oktober könnten dann womöglich 60 Prozent der Afrikaner geimpft sein. Erst dann kann mit der einsetzenden Herdenimmunität die Ausbreitung des Virus gestoppt werden.

Mehr als ein Viertel der Weltbevölkerung wird aller Wahrscheinlichkeit nach selbst Ende 2021 noch nicht geimpft sein. Sie sind so gut wie all auf der südlichen Erdhalbkugel beheimatet.

„Das ist nicht nur ethisch skrupellos, sondern auch dumm“, sagt Lawrence Gostin, Direktor des Instituts für nationales und globales Gesundheitsrecht an der Washingtoner Georgetown Universität: „Solange nicht die ganze Welt gesichert ist, wird es auch in den reichen Ländern immer wieder zu neuen Epidemie-Ausbrüchen kommen“, warnt er.

„Impfstoff-Nationalismus“ wird als eines der Schlagworte des Schreckensjahres 2020 in die Geschichte eingehen: Regierungschefs wie Donald Trump und Boris Johnson haben Milliarden an Steuergeldern in die Forschung investiert, um ihren Staaten einen vorrangigen Zugriff auf die Impfstoffe zu sichern.

Staatengruppe wollte besseren Impfzugang erreichen - das scheiterte

Auf Initiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurde zwar schon im April die „Covid-19 Vaccine Global Access Facility“ (Covax) gegründet. Das ist ein Zusammenschluss von 187 Staaten, mit dem auch ärmste Länder der Zugang zu Impfstoffen ermöglicht werden soll. Bisher wurden zwei Milliarden US-Dollar in den Finanzierungsmechanismus der Gruppe – der die USA nicht angehören – einbezahlt. Damit können in den kommenden sechs Monaten gerade mal drei Prozent der Bevölkerung der südlichen Erdhalbkugel geimpft werden.

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Um die Herdenimmunität zu erreichen, müssten die 54 Staaten Afrikas weitere zwölf Milliarden Dollar aufbringen, hat die Weltbank errechnet - eine unerfüllbare Zumutung angesichts der von der Pandemie ohnehin schwer angeschlagenen Volksökonomien der armen Nationen.

Kein Entgegenkommen bei Patentrechten

Die Regierungen Südafrikas und Indiens hatten deshalb versucht, bei der Welthandelsorganisation (WTO) eine vorübergehende Aufhebung der Patentrechte der Impfstoffe zu erreichen. Auf diese Weise könnten auch andere Pharma-Unternehmen – ohne ausdrückliches Einverständnis der Serum-Entwickler – den Impfstoff herstellen. Dadurch würden die Kosten gesenkt und die Produktion in die Höhe getrieben.

Südafrikaner kommen derzeit nur an eine Corona-Impfung, wenn sie wie Thabisle Khlatshwayo an einer Studie von AstraZeneca teilnehmen. Bei der Freiwilligen wurde vor ihrer zweiten Impfung in Sowesto ein Abstrich genommen.
Südafrikaner kommen derzeit nur an eine Corona-Impfung, wenn sie wie Thabisle Khlatshwayo an einer Studie von AstraZeneca teilnehmen. Bei der Freiwilligen wurde vor ihrer zweiten Impfung in Sowesto ein Abstrich genommen.

© Jerome Delay/AP/dpa

Der Vorstoß stieß in den westlichen Nationen allerdings auf Kritik. Sie sehen dadurch den Schutz des geistigen Eigentums unterhöhlt, der für die kostspielige Entwicklung neuer Pharmaka unabdingbar sei. Das Argument ist allerdings umstritten – auch angesichts der Tatsache, dass an der Entwicklung des Covid-19-Serums Steuergelder in Milliardenhöhe genutzt wurden. Washington pumpte insgesamt mehr als zehn Milliarden Dollar in die Impfstoff-Forschung, Berlin ließ der Pfizer-Biontech-Kooperation fast eine halbe Milliarde Euro zukommen.

[Mehr zum Thema: Britische Nadelprobe - Lesen Sie hier, was die Welt von Großbritannien lernen kann. (T+)]

Obwohl weit über 100 Staaten den Vorschlag einer vorübergehenden Aufhebung des Patentrechts unterstützten, scheiterte die Initiative schließlich am Widerstand des Westens. Die Chance sei verspielt worden, „in einem entscheidenden Augenblick der Geschichte das Wohl der Menschheit über die Profite von Unternehmen zu stellen“, klagte die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“.

"Wir sind in der internationalen Hackordnung weit abgefallen"

Dass Südafrika noch vor April die erste Impfstoffdosis erhalte, sei eher unwahrscheinlich, glaubt der Johannesburger Vakzinologe Shabir Mahdi: „Wir sind in der internationalen Hackordnung weit abgefallen.“ Und das, obwohl auch Südafrika derzeit von einer zweiten Ansteckungswelle heimgesucht wird: Täglich werden bis zu 10.000 neue Infektionsfälle gemeldet.

Die Lage im Land wird aktuell noch dadurch verschärft, dass - wie auch in Großbritannien - eine neue Mutation des Coronavirus entdeckt worden ist. Nach Angaben südafrikanischer Ärzte haben sich während der zweiten Welle mehr jüngere Menschen als zuvor infiziert. In der Regel tritt dabei auch ein schwererer Verlauf der Lungenkrankheit Covid-19 auf. 

Selbst wenn im April die ersten Dosen am Kap der Guten Hoffnung landen würden, wären noch immer nicht alle Hürden aus dem Weg geräumt. Denn zumindest im Fall des Gemeinschaftsprodukts von Biontech und Pfizer muss dann auch noch dafür gesorgt werden, dass der auf minus 70 Grad zu kühlende Impfstoff überall verteilt werden kann. In weiten Teilen Afrikas wird es so gut wie ausgeschlossen sein, den Vertrieb des unterkühlten Serums überhaupt zu ermöglichen.

Johannes Dieterich

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