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Die Herausforderungen für Deutschland und die EU werden immer größer.

© Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa

Internationale Politik: Deutschland muss in der EU mehr Konsens organisieren

Der Bestand der liberalen Ordnung ist ein deutsches Kerninteresse. Das geht nur, wenn Europa in prinzipiellen Fragen mit einer Stimme spricht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Europa könnte eine Weltmacht sein. Die EU ist der größte Binnenmarkt der Erde. Sie schafft es aber nicht, ihr ökonomisches und politisches Potenzial in internationalen Einfluss umzusetzen. Warum? Dafür muss man sich nur ansehen, wie sich Europa in einem prinzipiellen Konflikt um Werte wegduckt.

Ein autoritäres Regime, Saudi-Arabien, übt massiven Druck auf Kanada aus, um die Kritik der Außenministerin Chrystia Freeland an der Menschenrechtslage im Königreich zu unterbinden und andere Länder prophylaktisch abzuschrecken. Riad weist Kanadas Botschafter aus, unterbricht die Flugverbindungen, fährt den Wirtschaftsaustausch zurück.

Alle müssten sich auf Kanadas Seite stellen

In dieser Lage müssten sich alle Demokratien auf Kanadas Seite stellen und das saudische Vorgehen zurückweisen, um das Signal zu senden: Wer sich in Wertefragen mit einem Land der westlichen Gemeinschaft anlegt, legt sich mit allen an. Bei Menschenrechten lassen wir uns weder mundtot machen noch auseinander dividieren.

Alle EU-Staaten müssten saudische Diplomaten einbestellen und sagen, dass der Westen in solchen Konflikten zusammensteht. Das Eintreten für die liberale Ordnung ist ein so wichtiges gemeinsames Langzeitinteresse, dass jede westliche Demokratie ihre nationale Sonderbeziehung zu den Saudis zurückstellt.

Doch was macht die EU? Sie diskutiert tagelang über eine Erklärung zur Menschenrechtslage in Saudi-Arabien, die aber keine ausdrückliche Solidarität mit Kanada vorsieht. Briten, Franzosen und Deutsche wollen ihre Geschäfte mit und ihren Einfluss auf die Saudis nicht riskieren.

Saudi-Arabien ist ein Machtfaktor im Mittleren Osten

Die Bundesregierung sagt, dass sie das Verhältnis von „Drittstaaten“ untereinander nicht kommentiere – als stünden die Beziehungen zu einem engen Verbündeten wie Kanada auf einer Stufe mit denen zu Saudi-Arabien. Das geht so nicht!

Dieser Appell wird auf Widerspruch treffen. Die Einen werden höhnen: „Westen“ und „Wertegemeinschaft“? Die gibt’s doch gar nicht mehr, schon gar nicht mit Trumps Amerika! Andere werden auf die Notwendigkeit zu einem realpolitischen Umgang mit Saudi-Arabien verweisen. Es ist Mitglied der G20 und ein Machtfaktor im Mittleren Osten.

Nur: Wird nicht umgekehrt ein Schuh daraus? Was bleibt vom Westen, wenn Werte, die zu seinem Fundament gehören, der Realpolitik geopfert werden: die Menschenrechte und die Kritik an unmenschlichen Zuständen, die nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht ist? Und wer Trumps USA nicht zur westlichen Wertegemeinschaft zählen mag, kann doch nicht ernsthaft den Schluss ziehen: Dann verteidigt eben niemand mehr die liberale Ordnung.

Vielmehr kommen, je weniger Verlass auf die USA ist, umso mehr Aufgaben auf Deutschland und Europa zu. Das sagt auch Ex-Außenminister Sigmar Gabriel. Und: Europa ist ein größerer Teil des Westens als die USA , betont der Spitzendiplomat Wolfgang Ischinger.

Wie will Deutschland Wohlstand und Sozialstaat sichern?

Die Bundesrepublik verdankt ihren Aufstieg zur viertgrößten Wirtschaftsmacht der Erde dieser liberalen Ordnung. Wie will Deutschland Wohlstand und Sozialstaat sichern, wenn niemand für diese Ordnung eintritt? Der Test durch die Saudis, wie es um den Zusammenhalt des Westens und Europas steht, ist ja nur eines von vielen Beispielen.

China investiert sehr strategisch in Südosteuropa. In Paris warnen die Planungsstäbe davor, dass Peking versuche, sich eine ausreichende Zahl von EU-Regierungen zu Dank zu verpflichten, damit diese demnächst als Sperrminorität China-kritische Beschlüsse der EU verhindern können.

Eigene Wirtschaftsinteressen hintanzustellen

Die Welt wird illeberaler, die Konflikte werden zunehmen. Der Bestand der liberalen Ordnung ist ein deutsches Kerninteresse. Also muss Deutschland mehr tun, um Konsens in so prinzipiellen Fragen in der EU zu organisieren. Es muss bereit sein, eigene Wirtschaftsinteressen hintanzustellen. Wenn die EU sich nicht mal im Konflikt mit den Saudis an Kanadas Seite stellt, wie will Europa bestehen, wenn mächtigere Staaten wie China oder Russland den Zusammenhalt testen?

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