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Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach den gescheiterten Sondierungen.

© Michael Kappeler/dpa

Update

Internationale Presse zum Jamaika-Aus: "Das System Merkel ist gescheitert"

"Nur die Schadenfrohen werden sich über die Nachricht freuen", heißt es aus Italien. In der Schweiz wird Merkel schon angezählt. Weitere Stimmen aus der internationalen Presse.

Auch in der europäischen Presselandschaft ist das Scheitern der Jamaika-Sondierungen Anlass für zahlreiche Kommentare und Analysen. Im besonderen Fokus steht dabei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Von einem "Anfang vom Ende der Ära Merkel" spricht die schwedische Zeitung "Dagens Nyheter". "Wenn Deutschland Neuwahlen abhält, dann möglicherweise ohne sie in der Hauptrolle. Nach der Wahl vor zwei Monaten, bei der die CDU das schlechteste Ergebnis seit sechs Jahrzehnten einfuhr, ist ihre Autorität intern und extern geschwächt. Nur wenige glauben, dass Merkel die gespaltene CDU durch einen weiteren Wahlkampf führen kann und will ... Diese dramatische Nacht könnte der Anfang vom Ende der Ära Merkel sein."

Am Ende profitiert die AfD

Die italienische Zeitung "La Stampa" sieht keinen Grund zur Freude und sorgt sich um Aufwind für die "rechtsextreme AfD": „Nur die Schadenfrohen werden sich über die Nachricht freuen. Allen anderen hingegen, die glauben, dass ein stabiles Deutschland eine Stütze für Europa ist, bleibt die Hoffnung, dass man in Berlin noch zu einem positiven Ergebnis kommt und dass die Deutschen, trotz aller Kompromisse, nicht das Vertrauen in die Politik verlieren. ... Ein Kurzschluss wäre jetzt ein großes Geschenk für die antisystemische Kraft, die schon auf der Lauer liegt: die neopopulistische, rechtsextreme Partei Alternative für Deutschland (AfD), die bereits auf 92 von 709 Abgeordneten im neuen Bundestag zählen kann.“

Jetzt braucht es Neuwahlen

"Das System Merkel ist gescheitert: Die Kanzlerin schafft es erstmals nicht mehr, durch stille Diplomatie und politischen Pragmatismus eine Machtbasis für sich zu schaffen. Das Land sollte jetzt in aller Ruhe neue Wege gehen", kommentiert die "Neue Zürcher Zeitung" (NZZ). Es habe zwischen den verhandelnden Parteien "ideologische Differenzen" gegeben. "Diese waren die Parteichefs nicht bereit, auf dem Altar der Machtpolitik zu opfern, aus Sorge um die Zukunft der Partei." Weiter spricht die Zeitung von "Merkels Entzauberung".

Die niederländische Zeitung "de Volkskrant" konzentriert sich auf Christian Lindner (FDP). Dieser habe früher gesagt, wo ein Wille sei, sei auch ein Weg. Es sei überraschend, dass es die Liberalen seien, die sich zurückziehen. Es sei aber erklärlich. "Aber Lindner ließ auch öfter durchblicken, dass seine Partei in einer solchen Koalition am wenigsten zu gewinnen hätte. Innerhalb der Partei ist die Angst groß, dass sie für die Teilnahme an einer Kompromissregierung bei der nächsten Wahl von den Wählern mindestens so schwer abgestraft werden würde wie 2013."

"Guardian" fragt nach Merkels Zukunft

Die französische Zeitung "Le Figaro" hat sich für ein Szenario entschieden: "Es gibt nur eine wahrscheinliche Lösung: Die mittelfristige Durchführung von Neuwahlen." Der britische "Guardian" stellt schon die Frage nach Merkels zukünftiger Rolle. In Deutschland hätte sich die Diskussionen in den vergangenen Wochen vor allem um programmatischen Differenzen zwischen den Parteien gedreht. Nun werde sich der Fokus auf die Person Merkel richten. "Es stellt sich die Frage, ob sie immer noch über genügend Macht verfügt, um eine starke Regierung zusammenzuhalten."

"Nie dagewesene Krise"

„Les Echos“ aus Frankreich: „Dieses Scheitern droht, das seit den deutschen Wahlen vom 24. September bereits gelähmte Europa in eine nie da gewesene Krise zu stürzen. In den vergangenen Jahren war die Europäische Union (EU) von der Führung Angela Merkels geprägt, die gleichzeitig vom wirtschaftlichen Erfolg ihres Landes und dem Mangel an politischen Figuren auf ihrem Level profitierte. Emmanuel Macron, der Europa mit Angela Merkel neu ankurbeln wollte, findet sich so in der ersten Linie wieder, aber ihm droht ein Schlüssel-Partner für seine Projekte zu fehlen.“

Demokratie in Deutschland kaputt?

„Kurier“ (Österreich): „Wahrscheinlich sind am Ende aber Neuwahlen, die kann der Bundespräsident ausrufen. Da wird dann jedenfalls die rechtspopulistische, und auch zerstrittene AfD profitieren. Nicht nur stimmenmäßig, auch stimmungsmäßig. Sie wird argumentieren, dass diese Demokratie schon so kaputt ist, dass es radikale Kräfte wie die AfD brauche. Die braucht natürlich niemand, noch dazu, wo die AfD selbst stets sagte, sie wolle gar nicht regieren.“

„Die Presse“ (Österreich): „Die FDP pokert hoch. Denn es ist völlig unklar, ob der Wähler sie beim nächsten Urnengang für ein parteitaktisches Spiel bestraft oder für Prinzipientreue belohnt. Schon jetzt zeigen die Finger der Moralisten vorwurfsvoll auf die Liberalen. Doch die haben das gleiche Recht, sich einer Koalition zu verweigern, wie die SPD, die sich schon am Wahlabend auf die Oppositionsrolle festgelegt hatte. Der FDP kann man zugutehalten, dass sie wenigstens versucht hat, eine Regierung zu bilden. Die SPD hat sich von Anfang an aus der Verantwortung gestohlen.“

„Der Standard“ (Österreich): „Vor allem für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist das Scheitern eine schwere Niederlage. Es zeigt ganz deutlich, dass sie nicht mehr die Kraft und Autorität hat, eine Regierung für Deutschland zu bilden. Während der Verhandlungen schon wirkte sie wie eine Moderatorin, aber nicht wie die gestaltende Kraft. Über weite Strecken wurde die Debatte von den Grünen und der CSU dominiert, die in vielen Punkten so weit auseinander lagen.“ (mit dpa)

Alle aktuellen Ereignisse nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen können Sie in unserem Liveblog unter diesem Link lesen.

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