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Internet und Politik: Sprachlosigkeit zwischen Online und Offline

Berlin erwartet die weitaus größte Demonstration des Jahres für digitale Bürgerrechte. Die Netzbürger fühlen sich unverstanden; die Politik reagiert hilflos.

Bis zu Hunderttausend Menschen könnten sich am Samstag in Berlin auf dem Potsdamer Platz zur größten Bürgerrechts-Demo des Jahres versammeln. Sie streiten für Datenschutz und gegen Vorratsdatenspeicherung, gegen Online-Durchsuchung und für digitale Bürgerrechte.

Aufgerufen zum Protest hat die Crème der Internetaktivisten, vom Chaos Computer Club bis zum Bielefelder FoeBud, dazu Datenschützer und Bürgerrechtler, Grüne, Liberale und Piraten, Gewerkschaftler und Jungsozialisten. „Freiheit statt Angst“ fordern sie und wenden sich gegen die etablierte Politik, die aus ihrer Sicht die Selbstentfaltung des Einzelnen gefährdet, staatliche Kontrolle bis in alle Winkel des Privatlebens vorantreibt und so unsere Demokratie untergräbt.

Berechtigte Anliegen. Dennoch fragt sich der Beobachter, warum sie ausgerechnet jetzt eine solche Bedeutung erlangen. Schon seit vielen Jahren kämpfen einige Politiker für einen schärferen digitalen Datenschutz, längst haben Themen wie Vorratsdatenspeicherung ihren Weg in den Bundestag und in Gesetze gefunden.

Was sich in der samstäglichen Demonstration ausdrückt, ist mehr als nur ein Protest gegen Internetsperren und Kontrollgesetze. Manche nennen es schon einen neuen Generationenkonflikt, zwischen den alten Etablierten und den jungen Netzaffinen. Andere sprechen von einem Kulturkampf zwischen jenen, denen die modernen Kommunikationstechniken fremd sind und die das Internet als Bedrohung wahrnehmen, und solchen, für die das Netz längst ein wichtiger Bestandteil ihrer Alltagskultur geworden ist.

Richtig daran ist, dass die etablierten Parteien bislang bis auf wenige Ausnahmen keinen Weg des Dialogs mit politisch interessierten Netzbürgern gefunden haben. Vielmehr schauen die meisten Politiker weg, wenn es darum geht, sich mit den großen Herausforderungen des Internets zu beschäftigen. Selbst die Grünen, die als Mitorganisator der Datenschutz-Demo auftreten, haben kein prominentes Gesicht, das offensiv netzpolitische Forderungen vertritt.

Und man kann es ja verstehen. Denn immer, wenn die Volksvertreter aktiv werden, stoßen sie auf massiven Widerstand jener Netzbürger, deren Interessen sie verteidigen sollen. „Für eine große Zahl der Nutzer ist das Netz ein wichtiger Fluchtpunkt, ein letztes Refugium“, sagt Viktor Mayer-Schönberger, Politologe an der Universität Singapur. „Weshalb der agierende Staat immer als der große Böse angesehen wird.“

Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie geht noch weiter: „Bei vielen Nutzern herrscht ein ganz einseitiger Freiheitsbegriff vor“, sagt er. „Da kombiniert sich die Weltsicht amerikanischer Marktradikaler mit anarchistischer Herrschaftskritik aus Europa.“ Freiheit bedeute dann: Von niemandem gestört werden. Aber wofür diese Freiheitsräume zu nutzen seien, das wüssten die wenigsten.

Nun kann man bezweifeln, dass von 40 Millionen deutschen Internetnutzern auch nur ein bedeutender Teil anarchistisch denkt. Längst ist das Internet zum Mainstream-Medium geworden.  Unverstanden fühlen sich dennoch sehr viele, die es alltäglich benutzen. Die Politik aber reagiert hilflos auf so grundsätzliche Ablehnung. „Wir sind vielleicht technisch keine absoluten Netzexperten und müssen uns manches erarbeiten. Aber die Community hat eben auch noch nicht so viel Erfahrung mit dem politischen Prozess“, beklagt SPD-Netzpolitiker Martin Dörmann.

Tatsächlich haben jene Netzbürger andere Erfahrungen damit gemacht, wie sie ihren Lebensraum gestaltet können. In der Frühzeit des Internets entsprangen die noch heute gültigen grundlegenden Standards nicht demokratischen Abstimmungen, sondern einer anspruchsvollen Form des Konsens, schreibt Jeanette Hofmann, die am Zentrum für Risikoanalyse und Regulierung der London School of Economics forscht. Später setzten Nutzer und Unternehmen auf Selbstregulierung „als angemessene Antwort auf die proklamierte Unregierbarkeit und Andersartigkeit des Netzes“.

Doch die Selbstregulierung stößt an ihre Grenzen. Ein Beispiel: Netzbetreiber wie die Deutsche Telekom entscheiden, welche Daten wie schnell über ihre Leitungen transportiert werden. Eigentlich könnte jeder, der ein Handy mit Datenflatrate besitzt, für wenige Cent nach Übersee telefonieren, indem er den Internettelefonie-Anbieter Skype nutzt. Könnte. Denn die deutschen Mobilfunkanbieter, auch T-Mobile, sperren den freien Zugang zu diesem Dienst und verlangen für seine Nutzung eine gesonderte Gebühr. Ihr Argument: Das Telefonieren über das Netz verursache eine gewaltige Datenflut, die die Leitungen verstopfe. Aber natürlich wollen die Mobilfunker auch selbst an den Gesprächen verdienen.

Anhänger der Selbstregulierung könnten argumentieren: Na und – dann wechseln die Kunden eben zu dem Anbieter, der ihnen die Internettelefonie ermöglicht. Wenn sich aber alle Mobilfunkbetreiber einig sind, entsteht auch im mobilen Internet ein Kartell. Wohin sollte sich eine Massenflucht unzufriedener Kunden denn richten? Deshalb, schreibt Hofmann, verliere das einstmalige Leitmotiv, die Vermeidung staatlicher Intervention, langsam seine Überzeugungskraft.

Umso wichtiger ist es, die Sprachlosigkeit zwischen Politik und Netzbürgern zu überwinden. Doch dazu fehlt es an Werkzeugen. Da schlägt Grünen-Parteivorstand Malte Spitz beispielsweise vor, einen Bundesbeauftragten für Neue Medien einzusetzen oder eine Enquête-Kommission zur digitalen Zukunft. Politikwissenschaftler Leggewie denkt noch größer: „Eigentlich müssten sich dafür sämtliche Stiftungen mit Rang und Namen zusammentun und eine Art öffentlich-rechtliche Plattform schaffen.“ So könnten Nutzer und Unternehmen ihre Expertise wirksam in den politischen Prozess einbringen.

Inspirierend klingt das nicht – eher altväterlich. Moderne Formen der Partizipation funktionieren anders. Tausende Programmierer haben schon in freiwilliger Arbeit Grundlagen-Software wie das Betriebssystem Linux entwickelt, mit der sie die Marktmacht einiger Monopolisten ernsthaft bedrohen. Warum nicht ebenso Gesetzesvorhaben frühzeitig online zur Diskussion stellen? So fern, wie es im ersten Moment wirkt, liegt ein solches Verfahren dem repräsentativen Gesetzgebungsprozess nicht. Auch dort werden Fachleute angehört, wird die Meinung von Verbänden und Interessengruppen eingeholt, um möglichst große Expertise zu erlangen. Entschieden wird am Ende dennoch im Parlament.

Oft wird solchen Ideen entgegengehalten, die Masse interessiere sich nicht fürs Detail, kaum jemand werde sich an einer Diskussion über komplexere Fragen als „Netzsperren ja oder nein“ beteiligen. Doch es geht gar nicht darum, den Diskurs auf Millionen von Internetnutzer zu verbreitern. Viel wichtiger ist es, all jenen Zugang zu verschaffen, die tatsächlich etwas von der Sache verstehen, aber kein Parteibuch, Abgeordnetenmandat oder eine Verbandsmitgliedskarte besitzen. Und unter den Demonstranten vom Samstag gibt es davon eine ganze Menge.

Quelle: ZEIT ONLINE

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