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Hubertus Heil

© Thilo Rückeis

Interview: "Der Zeitgeist ist sozialdemokratisch"

Generalsekretär Hubertus Heil über den Wettlauf mit Union und Linkspartei um das sozialste Profil.

Rückt Deutschland nach links, Herr Heil?

Es gibt eine solidarische Mehrheit in Deutschland. Diese Mehrheit will einen Fortschritt, der wirtschaftliche Dynamik mit sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Vernunft vereint. Dafür steht die SPD. Marktradikalismus Marke Thatcher, Koch und Westerwelle ist in unserem Land nicht mehrheitsfähig.

Derzeit konkurrieren drei Kräfte darum, wer am besten für Gerechtigkeit sorgt. Die Linkspartei, die SPD und die CDU der Bundeskanzlerin. Warum steht Ihre Partei in diesem Wettbewerb so schlecht da?

Kann ein Wettbewerb um mehr Gerechtigkeit schlecht sein für unser Land? Natürlich bin ich nicht mit den Umfragen für meine Partei zufrieden. Aber bei der Bundestagswahl 2009 wird die Partei gewinnen, die in der Lage ist, glaubwürdige, konkrete und realistische Antworten auf die sozialen Fragen unserer Zeit zu geben. Deshalb glaube ich, dass die SPD die solidarische Mehrheit gewinnen wird.

Wenn sich die solidarische Mehrheit nach sieben Jahren Rot-Grün und zwei Jahren großer Koalition nicht zur SPD bekennt, warum sollte sie es dann bei den kommenden Wahlen tun?

Umfragen sind keine Wahlergebnisse. Tatsache ist, dass die SPD dieses Land in den letzten zehn Jahren grundlegend erneuert hat. Wir haben in der Außen-, Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik Wegmarken gesetzt, hinter die die CDU nicht zurückkann. Das erkennt man zum Beispiel daran, dass die Union jetzt schon unsere sozialdemokratischen Slogans nachspricht.

Offenbar mit Erfolg.

Die Menschen haben ein feines Gespür dafür, wer es ernst meint und wer lediglich versucht, sich rhetorisch anzupassen. Tatsache bleibt: Die SPD ist die prägende Kraft in der großen Koalition. Der Zeitgeist in unserer Republik ist sozialdemokratisch.

Dann ist ja alles gut.

Es gibt Grund für mehr Selbstbewusstsein in der SPD. Nicht aber zu Selbstzufriedenheit. Wir haben mit unserer Reformpolitik die Grundlagen für einen kräftigen Wirtschaftsaufschwung geschaffen. Aber der Aufschwung geht heute noch an vielen Menschen vorbei. An Langzeitarbeitslosen, an Menschen, die von Arbeit nicht leben können, an Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz haben, und an Kindern und Familien, die in Armut leben. Wir wollen Aufschwung für alle.

Das sagt Frau Merkel auch.

Den Worten folgen aber zu wenige Taten. Wer so spricht und sich nicht unglaubwürdig machen will, muss zum Beispiel auch bereit sein, Mindestlöhne einzuführen. Stattdessen formiert sich in der Union schon wieder Widerstand gegen die beschlossenen Mindestlöhne bei der Post. Aber Menschen, die hart arbeiten, müssen davon auch leben können.

Wenn es mit dieser Bundeskanzlerin ganz gut läuft, warum sollten die Wähler Experimente wagen?

Frau Merkel macht das nicht ungeschickt. Wenn man aber genauer hinschaut, drängen sich Fragen auf: Für was steht sie wirklich? Hat sie eine grundsätzliche Überzeugung? Eine Idee für Deutschlands Zukunft? Bei der Bundestagswahl 2009 wird entschieden, wie es nach der großen Koalition weitergeht. Die Mehrheit der CDU-Funktionäre will zu den marktradikalen Rezepten zurück, die vor der Bundestagswahl in Leipzig beschlossen wurden: Sozialabbau, Kopfpauschale, Abbau von Arbeitnehmerrechten. Die alten und jungen Konservativen wünschen sich, überkommene gesellschaftliche Strukturen zu restaurieren. Im Zweifelsfall steht die Union immer auf der Seite der Privilegierten.

Reicht der Mindestlohn denn aus, um die SPD als das Gerechtigkeitsoriginal auszuweisen?

Es geht nicht nur um Mindestlöhne, sondern um gute Arbeit. Es geht nicht nur um die Menschen am unteren Ende der Lohnskala, sondern um alle, die unter den Unsicherheiten von prekären Arbeitsverhältnissen leiden oder den Abstieg fürchten. Wir wollen Flexibilität und Sicherheit verbinden. Mehr Menschen in gute Arbeit zu bringen, ist gerecht und wirtschaftlich vernünftig. Deutschlands Zukunft in der Globalisierung liegt nicht in Billigarbeit. Wir brauchen mehr Menschen in qualifizierter Arbeit, um hochwertige und innovative Güter und Dienstleistungen zu produzieren.

Nehmen nicht gerade Ihre treuesten Anhänger die neue „Linke“ als das Original wahr?

Die Linkspartei bietet keine konkreten Lösungen, sondern flüchtet vor der Wirklichkeit. Die SPD muss eine größere Integrationsleistung erbringen als andere Parteien. Zur solidarischen Mehrheit gehören sozialliberale Zukunftsoptimisten genauso wie die Arbeitnehmermitte, die Angst vor sozialem Abstieg hat. Allen gemeinsam ist der Wunsch nach einer modernen und gerechten Gesellschaft, in der Leistung und gute Arbeit anerkannt werden und in der Sicherheit und Teilhabe gewährleistet sind.

Die SPD beschäftigt sich derzeit vor allem mit der Frage, ob man als Sozialdemokrat auf die Schröder’schen Reformen stolz sein darf. Darf man?

Diese Reformpolitik ist eine große Leistung. Sie ist die Grundlage für das kräftige Wachstum, den Rückgang der Arbeitslosigkeit und eine wettbewerbsfähige deutsche Wirtschaft. Wir haben soziale Sicherung erneuert, Staatsfinanzen konsolidiert und mehr in Bildung, Forschung und Infrastruktur investiert. In der großen Koalition wird dieser Kurs fortgesetzt.

Klingt ziemlich stolz.

Trotz aller Erfolge können wir noch nicht zufrieden sein. Wir haben noch große soziale Probleme in Deutschland zu bewältigen. Ich kann auch alle verstehen, die mit dem Begriff Stolz vorsichtig sind, weil Teile der Agenda 2010 mit einer Reihe von notwendigen Zumutungen verbunden waren. Die SPD sollte keine rückwärtsgewandte Debatte führen. Wir wollen klarmachen, wie es weitergeht.

Also haben Außenminister Steinmeier und Finanzminister Steinbrück der SPD geschadet, als sie die Partei dazu aufgerufen haben, Stolz auf die Agenda zu entwickeln?

Nein. Es ist richtig, sich zu dem zu bekennen, was wir gemacht haben. Es ist aber auch richtig festzustellen: Für die Überwindung von Kinderarmut, dafür, dass mehr Menschen in gute Arbeit kommen und dass sozialer Aufstieg möglich ist, bleibt noch verdammt viel zu tun.

Vielleicht geht es Steinbrück und Steinmeier ja darum, die Partei vor der Abkehr vom Reformkurs zu bewahren.

Die SPD hat sich nicht vor Verantwortung gedrückt, und sie wird es auch zukünftig nicht tun. Wir müssen unsere Politik aber weiterentwickeln, gerade angesichts neuer sozialer Fragen. Also: Keine rückwärtsgerichteten Debatten.

Die Debatte wird aber geführt. Liegt das daran, dass die SPD noch immer nicht mit den Reformen im Reinen ist?

Richtig ist, dass wir in den neunziger Jahren viele Fragen im Zusammenhang mit der Globalisierung, dem fundamentalen Wandel in der Arbeitswelt, dem veränderten Altersaufbau in Deutschland und der neuen außenpolitischen Lage nicht rechtzeitig programmatisch geklärt haben. Diese Klärungen gab es erst, nachdem wir 1998 in Regierungsverantwortung kamen. Das hat unbestreitbar auch zu Verunsicherungen und Orientierungsverlusten in der Mitgliedschaft und in unserer Anhängerschaft geführt. Aber die SPD blickt nach vorn. Wir haben viel riskiert, der Weg war richtig und verantwortungsvoll.

Nach unserem Eindruck neigt die SPD zu folgender Sicht: Die Agenda musste vielleicht sein. Jetzt ist sie Vergangenheit, nun wird neu verteilt. Ja zum Mindestlohn, Nein zu Zumutungen wie der Rente mit 67.

Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit, die schrittweise bis 2029 erfolgt, ist nicht nur in unserer Anhängerschaft unpopulär. Aber sie ist notwendig. Sie muss allerdings ergänzt und flankiert werden. Es geht darum, Beschäftigungschancen für Ältere zu schaffen. Es muss auch flexible Übergänge geben, um soziale Härten zu verhindern.

Wird die SPD die Reichen stärker an der Finanzierung solcher Reformen beteiligen?

Jeder muss nach seiner Leistungsfähigkeit seinen angemessenen Beitrag leisten. Das gilt auch für die, die durch ein hohes Einkommen oder Vermögen Vorteile genießen. Wir müssen unseren Sozialstaat weiterentwickeln. Es gilt, die großen Lebensrisiken auch weiterhin verlässlich abzusichern. Es gilt aber auch, gleiche Lebenschancen zu eröffnen. Wir wollen einen vorsorgenden Sozialstaat, der nicht nur versucht zu reparieren, sondern präventiv wirkt. Beispielsweise durch gleiche Bildungschancen.

Wie wollen Sie die Reichen zur Kasse bitten?

Steuerentlastungen, wie sie Teile der CDU für Wohlhabende fordern, werden nicht mehr möglich sein. Wir haben Steuerschlupflöcher dicht gemacht und die Reichensteuer eingeführt. Wir wollen auch eine angemessene Besteuerung wirklich großer Erbschaften.

Herr Heil, befindet sich eine Partei, die sich den „demokratischen Sozialismus“ als Ziel setzt, auf der Höhe der Zeit?

Die SPD hat keinen Grund, sich von ihrer Geschichte und ihrer Tradition zu distanzieren. Wir halten fest an unserer Vision einer freieren, gerechteren und solidarischen Gesellschaft. Der praktische Einsatz für diese Werte ist eine dauernde Aufgabe. Die konkreten Maßnahmen und Instrumente dafür müssen auf der Höhe der Zeit sein.

Es geht also nicht um eine andere Gesellschaftsordnung jenseits der sozialen Marktwirtschaft, sondern um Traditionspflege?

Wir wollen unsere Gesellschaft verbessern. Die SPD kämpft für ein selbstbestimmtes Leben aller Menschen, frei von Armut und Angst – unabhängig von Herkunft und Geschlecht. Dazu gehören soziale Sicherheit und gleiche Lebenschancen. Diese Ziele sind gerade heute hochaktuell: So entscheidet bei uns die soziale Herkunft zu stark über die Lebenschancen von Kindern. Unser Prinzip heißt Realitäten anzuerkennen, um sie zu verbessern.

Die soziale Marktwirtschaft ist eine ständig zu reformierende?

Sie muss durch eine Politik erneuert werden, die ökonomische Vernunft, soziale Sicherheit und Verantwortung für die Umwelt nicht als Gegensätze, sondern als wechselseitige Bedingungen begreift. Auch international stehen wir vor großen Aufgaben: Die wirtschaftliche Globalisierung, die zusammenwachsende Welt steckt voller Möglichkeiten und Gefahren. Es geht auch um die Frage, ob wir den europäischen Weg behaupten können, Demokratie, Sozialstaatlichkeit und Marktwirtschaft zu verbinden. Schließlich konkurrieren wir auch mit Ländern, die zwar erfolgreich Marktwirtschaft betreiben, aber weder sozial noch demokratisch sind.

Und wer trägt dieses programmatische Banner? Allen voran Kurt Beck?

Natürlich. Der SPD-Vorsitzende ist unsere unbestrittene Nummer eins.

Darüber gibt es in der Öffentlichkeit sehr verschieden Ansichten.

Kurt Beck ist in hohem Maße glaubwürdig. Er hat großen Rückhalt in der Partei. Seine Art zu führen tut der SPD gut, weil er zuhört, entscheidet und handelt. Kurt Beck ist kein kalter Technokrat und hat klare Überzeugungen. Er führt die Partei zusammen und nach vorn. Auf dem Hamburger Parteitag Ende Oktober stellt er sein Team neu auf. Er hat erfolgreich dafür gesorgt, dass die Grundsatzdebatte jetzt in ein zeitgemäßes sozialdemokratisches Programm münden wird. Das alles schafft neue Orientierungskraft und wird die SPD zu neuer Stärke führen.

Das Gespräch führten Tissy Bruns und Stephan Haselberger. Das Foto machte Thilo Rückeis.

Zur Person:

NETZWERKER

Als führender Kopf des „Netzwerks“ jüngerer Sozialdemokraten zählte Hubertus Heil in der vergangenen Wahlperiode zu den entschiedensten Unterstützern der Reformpolitik von Bundeskanzler Gerhard Schröder.

GENERALSEKRETÄR

SPD-Chef Matthias Platzeck entschied sich nach der Bundestagswahl auch auf Empfehlung Schröders für den Abgeordneten aus Peine.

WUNSCHKANDIDAT

Nach dem Willen von Platzecks Nachfolger Kurt Beck soll der 34-jährige Heil auf dem SPD-Bundesparteitag Ende Oktober in Hamburg in seinem Amt bestätigt werden.

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