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Koch

© Mike Wolff

Interview: „Die Wege zueinander sind sehr weit“

Roland Koch spricht mit dem Tagesspiegel über das Abtasten im Hessischen Landtag, sein gelassenes Kabinett und die Ferne zu Frau Ypsilanti.

Am Wahlabend in Hessen waren Sie bis kurz vor Mitternacht der absolute Verlierer, danach der relative Sieger auf Abruf. Was sind Sie eigentlich jetzt?

Das ist keine ganz einfache Frage. Das schwere emotionale Auf und Ab hat an dem Wahlabend eine Zeitlang verdeckt, dass keiner der großen Protagonisten sein Wahlziel erreicht hat. Zweifellos die CDU und ich nicht, aber eben auch die SPD und Frau Ypsilanti nicht. Ich habe jetzt erst einmal die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass in einer schwierigen Situation das Staatsamt, das ich zu vertreten habe, ordentlich wahrgenommen und Hessen ordentlich regiert wird. Zugleich ist die CDU nach wie vor die stärkste Partei und hat damit eine Gestaltungsverpflichtung, auch ein gewisses Gestaltungsrecht. Das kann allerdings nur in Konstellationen ausgeübt werden, an die wir vor der Wahl nicht zu denken gewagt haben.

Bleiben wir kurz noch bei der Vorgeschichte, Ihrem Wahlkampf. Was war daran falsch – dass Sie sich auf das Thema Jugendkriminalität konzentriert haben?

Es ist uns ganz sicher nicht hinreichend gelungen, die Aspekte unserer Politik herauszustellen, mit denen die Bürger eigentlich sehr zufrieden waren. Und es ist uns nicht gelungen zu vermitteln, dass Jugendkriminalität für meine Regierung seit langer Zeit ein wichtiges Thema gewesen ist. Viele Bürger haben den Eindruck bekommen: Das machen die nur, weil Wahlkampf ist.

... und als Sie das gemerkt haben, war es zu spät zum Gegensteuern?

Das Thema ist insofern fast außer Kontrolle geraten, als es in den Medien das ausschließliche Thema war. Dann hat auch noch die Verwirrung der Menschen über Zahlen oder die böse Missinterpretation eines Interviews mit der Behauptung, Koch wolle Kinder ins Gefängnis stecken, zu einer Überdrehung geführt. Diese Gefahr besteht in jeder Debatte – egal ob es um innere Sicherheit geht oder um Wirtschaftspolitik. Dass unser Wahlkampf dieser Gefahr nicht entgangen ist, daran haben wir sicher auch unseren eigenen Anteil gehabt.

Ist das Thema „Innere Sicherheit und Ausländer“ als Wahlkampfthema nicht auf lange Zeit erledigt, weil es zu Missverständnissen geradezu einlädt?

Sicher besteht beim Thema Migration und deren Folgen immer die Gefahr, dass überzogen werden kann oder versucht wird, Probleme zu tabuisieren. Das darf kein Grund sein, sich damit nicht mehr auseinanderzusetzen, auch kontrovers und auch in Wahlkämpfen. Das würde ich nach wie vor für falsch halten. Aber es stimmt, eine solche Diskussion ist besonders schwer kontrollierbar.

Vor uns liegt der 5. April, an dem sich der neue Landtag konstituiert. Es schien lange ein spannender Tag zu werden, jetzt wird er eher ein bisschen langweilig, oder?

Der 5. April wird jetzt in der Tat ein eher berechenbarer Tag – gespannt sind wir Abgeordnete vor allem auf den neuen Plenarsaal, in dem wir erstmals tagen werden.

Auch kein Konflikt über den Landtagspräsidenten?

Über die Wahl des Landtagspräsidenten werden sich die Parteien klugerweise nicht zerstreiten. Es hat übrigens auch niemand in Zweifel gezogen, dass die CDU als nach Stimmen stärkste Partei dieses Amt besetzt.

Dann werden Sie zurücktreten mit Ihrer Regierung ...

... so steht es in der Verfassung ...

... und dann geschäftsführend im Amt bleiben mit der gleichen Regierung.

So ist es.

Zwei Ihrer Minister – Kultusministerin Wolff und Wissenschaftsminister Corts – sind vorzeitig ausgeschieden. Besetzen Sie diese Ämter jetzt noch schnell mit alter Mehrheit im Landtag nach?

Dies ist nicht die Zeit von großen neuen Berufungen. Wir werden dieser Tage entscheiden, wie wir die Verantwortung in beiden Ministerien praktisch regeln. Ich lege aber Wert darauf, am 5. April keinen falschen Eindruck zu erwecken. Wir werden unserem Auftrag nachkommen und solide und seriös die Dienstleistung erbringen, die die Bürger erwarten dürfen. Aber eine geschäftsführende Regierung ist etwas anderes als eine vom Parlament gewählte Regierung.

Unter Holger Börner hat dieser Schwebezustand fast zwei Jahre gedauert. Auf welche Strecke stellen Sie sich ein?

Das ist außerordentlich schwer zu prognostizieren. Für Holger Börner gab es eine vorhersehbare neue Konstellation, nämlich Rot-Grün. Das war zwar lange Zeit auch noch nicht ausgemacht, aber es lag doch in der Luft. Das ist in Hessen heute anders. Die Wege, die die Parteien jetzt aufeinander zugehen müssen, sind sehr weit und sehr unerwartet. Es ist deshalb ein Gebot der Seriosität, den Bürgern offen zu sagen: Wir reden sicher nicht über einen Zeitraum von Wochen, sondern von Monaten.

Aber wie soll durch Zeitablauf möglich werden, was jetzt so ganz und gar unmöglich scheint?

Man muss neue Wege eher über parlamentarische Arbeit wachsen lassen als dadurch, dass Parteivorstände miteinander reden. Ich glaube, es wird nicht als Erstes einen Beschluss über Koalitionsverhandlungen geben, sondern zunächst einmal ein Abtasten im Landtag: Wer kann mit wem eigentlich welche Anträge und Gesetze beschließen? Wo sind Kompromisse möglich? Wer nimmt dort was in Kauf? Aus dieser Erfahrung wird sich herausschälen, welche Konstellationen denkbar sind.

Es sieht ja zunächst so aus, als ob eine rot-rot-grüne Mehrheit eine Reihe von Vorhaben in der Schublade hat, mit denen sie den geschäftsführenden Ministerpräsidenten zu ungeliebter Politik zwingt.

Dieses Bild wird sich sehr schnell relativieren. Ich glaube, dass der Grad an umsetzbarer inhaltlicher Übereinstimmung zwischen SPD, Grünen und Linkspartei überschätzt wird – insbesondere wenn es vom Hoffen und Wünschen ans Bezahlen geht. Es ist leicht zu sagen: Studienbeiträge schaffe ich ab! Aber mit den Beiträgen haben die Hochschulen Personal eingestellt, Gebäude angemietet, verbessern sie die Ausstattung der Bibliotheken. Wenn ich die Qualität der Ausbildung erhalten will, muss ich sagen, ob die Staatsverschuldung steigen oder ob an anderer Stelle gespart werden soll. Da wird die Diskussion dann rasch nüchterner.

Am Ende bleibt es bei den Studiengebühren, weil alles andere zu teuer wird?

Na ja, die Frage der Studienbeiträge ist inzwischen zu einem Symbolthema geworden. Da will die linke Seite einfach zeigen, dass sie zu etwas in der Lage ist. Aber Landespolitik ist am Ende mehr als das Abarbeiten von Wahlplakaten. Und wenn die SPD meint, verantwortungsbewusste Politik durch „Regierung-Piesacken“ ersetzen zu können, wird sie sich wundern.

Könnten Sie nicht auch versuchen, rot-rot-grüne Beschlüsse einfach im Vollzug ins Leere laufen zu lassen?

Eine geschäftsführende Regierung ist nicht der Gegner des Parlaments. Sie wird die parlamentarische Verantwortung immer respektieren und zugleich ihre eigene Verantwortung mit Rechten und Pflichten wahrnehmen. Genau weil es diese eigene Verantwortung gibt, hat die hessische Verfassung ja diese nachgerade brutale Struktur geschaffen, dass ein Ministerpräsident nicht mal dann beiseitetreten darf, wenn er selbst es wollte. Meine Vorgabe an mein Kabinett wird sein, dass wir uns unserer Aufgabe mit einer gewissen Gelassenheit widmen.

Aber muss der Schwebezustand nicht enden, sobald im nächsten Jahr ein neuer Haushalt beschlossen werden muss?

Man sollte da zwischen Recht und Politik unterscheiden. Rechtlich geht es auch ohne neuen Etat. Finanzminister sind sogar glücklich, wenn Parlamente keinen neuen Haushalt beschließen, weil sie endlich mal auf Status-quo-Niveau sparen dürfen. Aber politisch glaube ich schon, dass die Frage nach dem Haushalt für 2009 als Katalysator wirken wird. Da wird sich jeder die Frage stellen müssen, ob nicht die Zeit des Provisoriums ein Ende finden muss.

Wenn wir mal den Korridor bis dahin ausleuchten: CDU und FDP haben eine Präferenz für Jamaika, die Grünen winken ab.

Im Augenblick ist die Frage erst einmal, ob man sich darauf einlassen kann, überhaupt darüber zu sprechen. Es ist weder Faulheit noch Feigheit, wenn alle Beteiligten sich dieser Konstellation nur über eine mittlere Zeitachse annähern können. Wenn wir das CDU-Programm und das der Grünen nebeneinanderlegen, dann gibt es bei allen Unterschieden durchaus Schnittmengen. Aber es reicht eben nicht, Programme abzugleichen. Beide müssten an der Frage arbeiten: Wieweit sind wir bereit, unsere Anhänger zu Kompromissen mitzunehmen, bei denen beide bei zentralen Fragen ihr Profil dennoch erhalten können?

Aber ist Jamaika nicht, in Hessen und nach diesem Wahlkampf, bloß ein theoretischer Traum?

Leicht wird das nicht. Aber leicht wird gar nichts mit diesem Wahlergebnis. Auf kommunaler Ebene haben wir im Land sehr viel Erfahrung mit Bündnissen von CDU, FDP und Grünen, nicht nur in Frankfurt oder Wiesbaden. Wenn Sie mich heute fragen: Wo ist eine Win-Win-Konstellation zwischen CDU und Grünen im Land – da muss ich antworten: Ich weiß es nicht. Die Grünen sind in Hessen sehr gefestigt in ihrer Haltung gegen die CDU, so wie es die CDU gegen die Grünen ist. Aber der Versuch ist nicht aussichtslos.

Es geht bei solchen Prozessen immer auch um Personen. Es steht im Raum: Wenn Jamaika, dann nur ohne Koch.

Wenn vor Beginn eines Gesprächs die eine Partei die andere erst einmal destabilisieren will, dann führt das zu nichts. Ich glaube sogar, dass die Grünen wie die CDU auf die Personen Tarek Al-Wazir und Roland Koch angewiesen sind, wenn es überhaupt zu Gesprächen kommen soll. Es geht dabei weniger um die handelnden Personen als um die, von denen diese Personen unterstützt werden.

Und wenn die Person des Roland Koch für die Grünen doch eine zu hohe Hürde darstellt?

Jeder Tag der parlamentarischen Arbeit wird die Frage nach den Personen zurückdrängen. Denn die eigentliche Frage ist doch, ob Schwarz, Gelb und Grün einen Kompromiss finden können, der es allen möglich macht, Politik mitzugestalten, ohne die eigene Anhängerschaft auseinanderzutreiben. In der Opposition kann man die eigenen Reihen gut zusammenhalten, nur gestalten kann man wenig. Auf der anderen Seite sind Ministerposten gefährlich, wenn man dabei die eigene Partei verliert. CDU, FDP und Grüne könnten Kooperationspartner werden, aber nicht von heute auf morgen. Sie brauchen das Vertrauen ihrer Wähler, auf das Frau Ypsilanti mit ihrem versuchten Wahlbetrug so schnell verzichtet hat. Mit nachhaltigem Schaden nicht nur für sie persönlich und die SPD.

Aber warum eigentlich nicht die einfachste Lösung: die große Koalition?

Frau Ypsilanti ist ja nicht nur am handwerklichen Teil ihrer Politik gescheitert. Sie hat die SPD auch programmatisch in eine Grundaufstellung getrieben, die ihre Partei in eine große Distanz zur CDU gebracht hat. Unter solchen inhaltlichen Voraussetzungen wäre 2005 im Bund eine große Koalition unmöglich gewesen. Das Energieprogramm der Grünen ist realistischer als das der SPD! Es mag ja seltsam klingen, aber aus Sicht der CDU ist es leichter, mit der Programmatik der Grünen zu arbeiten als mit dieser SPD. Das ist das Werk von Frau Ypsilanti. Zugleich stehen Emotionen im Weg. Das lange Gefühl des Wahlabends, Sieger zu sein, macht der SPD den Weg in die Rolle des Juniorpartners sehr schwer. Sie behauptet ja sogar heute noch in einem Anflug von Autosuggestion, die Wahl gewonnen zu haben. Adam Riese wird immer noch außer Kraft gesetzt.

Nach den drei Wahlen in Hessen, Niedersachsen und Hamburg: Ist mit Ihrer Niederlage auch ein Modell gescheitert – das eines konservativen, polarisierenden CDU-Wahlkampfes?

Es gibt nicht die eine Art von Wahlkampf, die erfolgreich ist, und andere sind es nicht. Das hängt von den Zielgruppen ab, dem Gegner, den Verhältnissen, in denen Wahlkämpfe stattfinden. Wichtig ist in jedem Fall, die eigenen Wähler zu mobilisieren. Das erfordert immer auch präzise Abgrenzungen, also ein Stück Kampf. Es gibt zwischen den Parteien nicht nur Verbindendes, sondern auch viel Trennendes, über das Wähler Bescheid wissen müssen, weil sie darüber zu entscheiden haben. Es wird also auch künftig eine Mixtur geben müssen aus den Elementen, die präsidial genannt werden, und harter Auseinandersetzung.

Die Präsidialen – Wulff in Hannover, von Beust in Hamburg – haben es geschafft, der Kämpfer Koch nicht.

In Hessen haben wir es fast geschafft, die Linke aus dem Landtag herauszuhalten, weil bei uns die Wahlbeteiligung deutlich höher war als anderswo. Das ist die Folge von Polarisierung. Die Grenze zwischen Erfolg und Fehlschlag ist überall nicht so deutlich gewesen, dass man vom Scheitern eines Modells reden kann, denn bei gut 2000 Stimmen weniger für die Linke käme am 5. April eine solide Regierung aus CDU und FDP ins Amt.

Das Gespräch führten Tissy Bruns und Robert Birnbaum. Das Foto machte Mike Wolff.

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