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Interview: „Ein mutiger Schritt“

Seltene Anerkennung für Hessens SPD-Chefin Andrea Ypsilanti: Der hessisch-thüringische DGB-Chef Körzell lobt im Tagesspiegel-Interview ihren Umgang mit der Linken. Zudem sieht Körzel bei beiden Parteien große Schnittmengen in der Wirtschafts-, Bildungs- und Sozialpolitik.

Andrea Ypsilanti will mit den Stimmen der Linkspartei hessische Ministerpräsidentin werden. Hat sie dafür die Unterstützung des Gewerkschaftsbundes?

In Hessen sind unter dem Ministerpräsidenten Roland Koch auf brutale Weise soziale Einrichtungen zerschlagen worden. Nach Gutsherrenart wurde mit den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes umgesprungen. Das alles wurde abgewählt. Was zählt, ist eine handlungsfähige Landesregierung zu installieren. Wenn Frau Ypsilanti eine tragfähige, von der Linkspartei tolerierte rot-grüne Minderheitsregierung bilden kann, die unsere Forderungen in der Sozial-, Bildungs- und Wirtschaftspolitik umsetzt, dann begrüße ich das. Wir werden sie genauso kritisch und konstruktiv begleiten wie andere Landesregierungen zuvor.

Schadet es Hessen, wenn die Linken quasi am Kabinettstisch sitzen?

Diejenigen, die heute eine rot-rote Zusammenarbeit verteufeln, sollten mal an 1985 zurückdenken. Damals wollte Holger Börner die erste rot-grüne Landesregierung bilden und die Überschriften waren die gleichen: „Wortbruch“, „SPD macht Politik mit Verfassungsfeinden“. Eine Links-tolerierte rot-grüne Regierung wird dem Land nicht schaden, wenn das Politikangebot stimmt. Wir Gewerkschaften beurteilen eine Regierung allein nach Sachkriterien – jede Regierung.

Es gibt – gerade in Ihrer Partei – Vorbehalte gegenüber den Linken.

Politik ist doch ganz einfach: In einem Fünf-Parteien-System, auf das wir uns selbst in Bayern einstellen müssen, dürfen sich Parteien Koalitionen mit anderen demokratischen Parteien nicht verweigern. Eine SPD, die das tut, wird ewig Juniorpartner der CDU bleiben. Was Frau Ypsilanti jetzt macht – zum ersten Mal im Westen eine Zusammenarbeit mit den Linken – ist ein mutiger Schritt.

Die Linken haben nichts zu befürchten. Nur, wenn es ihnen passt, unterstützen sie die Minderheitsregierung.

In welcher Form SPD, Grüne und Linkspartei miteinander regieren, das müssen die Verantwortlichen entscheiden. Was allerdings nicht geht, ist eine rot-grüne Minderheitsregierung, die sich in jeder Sachfrage neue Mehrheiten sucht.

Soll die hessische SPD eine Koalition mit den Linken prüfen?

Ich bin da ganz offen. Wenn es eine Sozialpolitik gibt, die sich an den Menschen orientiert, sie mitnimmt und nicht große Teile ausgrenzt, dann kann das auch irgendwann zu einer Koalition führen. Mit den Linken zu koalieren, wird in Zukunft zur Normalität gehören – auch im Westen. Und selbst im Bund.

Sind die Hessen-Linken koalitionsfähig?

In der Wirtschafts-, Bildungs- und Sozialpolitik gibt es große Schnittmengen mit unseren Forderungen. Und auch der persönliche Kontakt ist unkompliziert. Viele Linke waren ja schließlich bis vor kurzem noch aktive Sozialdemokraten.

In Thüringen könnte es den ersten linken Regierungschef geben. Ist auch das normal?

Woran wir uns im Westen erst noch gewöhnen müssen, ist im Osten seit fast 20 Jahren Realität. Ein linker Ministerpräsident ist deshalb kein Weltuntergang. Wenn der Souverän entscheidet, dass ihm dieses Politikangebot am attraktivsten erscheint, dann sollten wir das nicht dämonisieren.

Wünscht sich der Sozialdemokrat Körzell einen anderen Umgang seiner Parteiführung mit der Linkspartei?

Was haben uns denn die Regierungsbündnisse der letzten Jahre gelehrt? Doch nur, dass Linke in Verantwortung ganz andere Politik machen als Linke, die nur Papier mit utopischen Forderungen beschreiben. Die SPD muss sich selbstbewusster mit ihrer Sozialpolitik auseinandersetzen und ihre sozialpolitischen Forderungen in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung rücken. Eine SPD, die sich ihrer Werte bewusst ist und sie stolz vertritt, braucht keine Angst vor den Linken zu haben.

Das Gespräch führte Antje Sirleschtov.

Stefan Körzell (45) ist Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Hessen und Thüringen. Der gelernte Maschinenschlosser ist Mitglied der SPD.

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