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Nicolas Sarkozy ist abgewählt. Politikforscher Lüder Gerken sieht Risiken für Europa.

© dpa / promo

Interview: "Frankreich kommt auf eine schiefe Bahn"

Lüder Gerken, der Leiter der Denkfabrik "Centrum für Europäische Politik", befürchtet, dass Frankreichs Wettbewerbsfähigkeit weiter nachlassen könnte - und die Lage für das Land ähnlich problematisch werden könnte wie für Spanien und Italien.

Frankreichs neuer Präsident François Hollande will den EU-Fiskalpakt neu verhandeln. Bedeutet das, dass er den Pakt zur Schuldenbegrenzung grundlegend verändern will?

Unmöglich ist gar nichts. Ich halte es aber für eher unwahrscheinlich, dass man den Fiskalpakt noch einmal aufschnürt. Griechenland und Portugal haben ihn bereits ratifiziert. Es wird zu einer ganz erheblichen Verunsicherung an den Märkten, aber auch in der Politik führen, wenn man jetzt von vorne anfängt.

Im Wahlkampf hat Hollande aber gesagt, dass er die im EU-Fiskalpakt vorgesehene Bestrafung von Schuldenländern durch den Europäischen Gerichtshof ablehnt. Er hat ein derartiges Verfahren als einen Eingriff in die nationale Budgethoheit bezeichnet.

Das ist letztlich ein Streit um des Kaisers Bart. Es wird nach Lage der Dinge in einem realistischen Szenario nicht dazu kommen, dass der Europäische Gerichtshof jemals über Defizitsünder urteilen wird.

Will Hollande den von Nicolas Sarkozy eingeschlagenen Sparkurs verlassen?

Wenn man sich Hollandes 60-Punkte-Wahlprogramm ansieht, dann stellt man fest, dass auch er ein Verfechter von haushaltspolitischer Stabilität ist. Er möchte die Neuverschuldung bis 2013 auf drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes senken und bis 2017 auf Null herunterfahren. Allerdings fordert er auch, dass es neben der vereinbarten Haushaltsdisziplin Wachstumsimpulse geben muss. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich Deutschland und Frankreich auf diesem Weg treffen können.

Sehen Sie hier Bilder des Wahltags in Frankreich:

Hollande hat die Einführung gemeinsamer EU-Projektbonds zur Förderung grenzüberschreitender Infrastrukturmaßnahmen vorgeschlagen, etwa im Energiebereich. Was halten Sie davon?

Das hängt sehr stark davon ab, wie sie ausgestaltet werden. Gerade im Bereich der Infrastruktur lassen sich private Investoren nur sehr schwer finden. Projektbonds könnten da eine Möglichkeit darstellen, privates Kapital anzulocken. Allerdings müssen Vorkehrungen getroffen werden, dass die Finanzierungsquelle sachgerecht eingesetzt und nicht von nationaler Politik missbraucht wird. Deshalb müsste eine europäische Institution wie die Europäische Investitionsbank über Projektbonds wachen. Damit könnte verhindert werden, dass die nationalen Regierungen nach Belieben schalten und walten können.

Könnte Hollande im Kampf gegen die Euro-Krise neben der Partnerschaft mit Deutschland auch eine Allianz mit den Krisenländern im Süden der Euro-Zone suchen?

Das halte ich für sehr wahrscheinlich. Es ist besorgniserregend, dass im Wahlprogramm von Hollande mit keinem Wort etwa realwirtschaftliche Strukturreformen am Arbeitsmarkt oder bei Sozialversicherungen erwähnt werden. Hollande strebt offenbar in diesem Bereich keine Reformen an. Das führt dazu, dass die Wettbewerbsfähigkeit in Frankreich, die in den letzten Jahren ohnehin schon arg gelitten hat, weiter nachlassen dürfte. Dies wiederum bringt auch Frankreich auf eine schiefe Bahn in Richtung Spanien und Italien. Insofern ist die Bildung einer Allianz der insolvenzgefährdeten Staaten im Süden Europas mit Frankreich ein Szenario, das durchaus Hollandes begrenztem Reformeifer gerecht werden könnte.

Könnte der Euro-Rettungsschirm ESM seine Top-Bonität verlieren?

Lüder Gerken, der Leiter der Denkfabrik "Centrum für Europäische Politik".
Lüder Gerken, der Leiter der Denkfabrik "Centrum für Europäische Politik".

© promo

Hollande plant zusätzliche öffentliche Ausgaben in Höhe von 20 Milliarden Euro bis zum Jahr 2017. Könnte er damit sein eigenes Ziel eines ausgeglichenen Haushalts bis 2017 gefährden?

In seinem Wahlprogramm steht, dass nur Ausgaben verbucht werden, die durch Einsparungen an anderer Stelle gegenfinanziert werden. Er will insbesondere Steuervergünstigungen und an einigen Stellen Ausgaben streichen, die aus seiner Sicht nicht notwendig sind – etwa Subventionen für Unternehmen, die im Ausland im großen Stil Werke betreiben. Nach seinem Wahlprogramm will er auch die Firmen dazu bringen, wieder vermehrt in Frankreich zu produzieren.

Er hat eine dirigistische, interventionistische Politikvorstellung: Bestimmte Branchen sollen gefördert werden, in der Hoffnung, dadurch eine innovativere Wirtschaftsstruktur zu schaffen – etwa in der Umweltbranche oder der Automobilindustrie. Unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten ist das problematisch und in der Vergangenheit oft schief gegangen.

Was bedeutet Hollandes Versprechen einer Rente mit 60 für all diejenigen, die 41,5 Jahre in die Versicherung eingezahlt haben?

Damit würden die notwendigen Reformen in Frankreich auf den St. Nimmerleinstag verschoben. Frankreich hat zwar nicht so große demographische Probleme wie Deutschland, weil auf der anderen Seite des Rheins die Bevölkerung wächst. Dennoch ist die französische Rentenversicherung reformbedürftig.

Sehen Sie hier Bilder des französischen Wahlkampfs:

Droht mit einem Wahlsieg Hollandes ein Anstieg der Risikoprämien für französische Staatsanleihen?

Wenn er so vorgeht , wie er im Wahlprogramm angekündigt hat und keine grundsätzlichen Reformen einleitet, dann wird Frankreichs Wettbewerbsfähigkeit weiter nachlassen – und damit auch die Kreditfähigkeit. Und das führt zur höheren Risikoprämien. Die Herabstufung Frankreichs durch die Ratingagentur Standard & Poor’s im Januar war gerechtfertigt. Und wenn Frankreich nicht schleunigst Reformen einleitet, dann geht es mit dem Land bergab – mit allen Konsequenzen für die Rettung des Euro.

Erwarten Sie, dass in einem solchen Fall auch der dauerhafte Euro-Rettungsschirm ESM, der Anfang Juli starten soll, seine Top-Bonität verlieren könnte?

Im Grunde setzt der ESM darauf, dass Frankreich an den Märkten über die Bestnote Triple A verfügt. Wenn weitere Rating-Agenturen dem Schritt von Standards & Poor's folgen, dann wird das bedeuten, dass auch ESM-Anleihen nicht mehr das das Triple-A-Rating bekommen.

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