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Nahles

© Mike Wolff

Interview: "Man wird Kurt Beck noch dankbar sein“

Andrea Nahles über den neuen Umgang mit der Linken, Rüttgers Rentenvorschläge und Schröders Reformen.

Frau Nahles, wie lange stehen Sie noch zu Kurt Beck?

Ich stehe vor ihm – und auch hinter ihm, wenn es nötig ist. Am liebsten stehe ich neben ihm.

Hält er als SPD-Chef durch?

Was ist das überhaupt für eine Frage – ja, natürlich. Die schwierige Diskussion um die Frage der Öffnung zur Linkspartei ist durchgestanden. Bei der Bahnreform haben wir gezeigt, dass Regierungs-SPD und Partei gemeinsam Erfolg haben können. Ich bin sehr zufrieden damit, wie sich die Dinge zurechtgerüttelt haben.

Bei vielen Mitgliedern der SPD-Bundestagsfraktion löst der Gedanke an eine Kanzlerkandidatur Becks Angstzustände aus. Dutzende Abgeordnete würden dann ihre Mandate verlieren, heißt es. Wie können Sie da zufrieden sein?

So ein Quatsch! Und ich glaube auch nicht alles, was in manchen Zeitschriften steht.

Aber Sie wissen schon, dass etliche SPD-Abgeordnete eine Kanzlerkandidatur Becks fürchten?

Nein, davon weiß ich nichts, und solche Befürchtungen wären auch nicht angebracht. Wer immer die Stichworte für solche Behauptungen liefert, will der SPD schaden.

Zur Unruhe in der Fraktion trägt auch die anhaltend große Kluft zwischen SPD und Union in den Umfragen bei. Wie lange kann die SPD das aushalten, ohne personelle Konsequenzen zu ziehen?

Es geht nicht um personelle Konsequenzen, sondern um gute Politik. Wir müssen in den nächsten Monaten mehr Offensivgeist zeigen. Jetzt gilt es nach vorne zu schauen und enger zusammenzustehen. Die Union ist weit weniger gefestigt, als viele glauben.

Worauf gründet Ihre Hoffnung, dass die SPD-Führung künftig geschlossener auftreten wird?

Es gab eine Phase, die ihren Höhepunkt während der Linkspartei-Debatte hatte, in der es zu viel Misstrauen unter Sozialdemokraten gab.

Und dieses Misstrauen ist jetzt weg?

Es wurde abgebaut, ja. Beim Kompromiss zur Teilprivatisierung der Bahn haben alle Beteiligten gemerkt, dass sie sich aufeinander verlassen können.

Die Kurskorrektur im Umgang mit der Linkspartei hat auch der Glaubwürdigkeit von Kurt Beck geschadet. Ist dieser Schaden reparabel?

Ich sage voraus, dass ihm die strategische Öffnung noch gedankt werden wird. Er hat der SPD neue Handlungsoptionen geöffnet.

Wie will Beck im Bundestagswahlkampf noch glaubhaft machen, dass es im Bund keine Zusammenarbeit mit der Linken 2009 gibt?

Ich sehe das nicht als Problem. Wir beurteilen Kooperationen mit der Linken wie solche mit anderen politischen Gegnern, das heißt nach Inhalten und Personen. Beides passt im Bund noch lange nicht zusammen. Die Linkspartei selbst organisiert sich hin auf eine reine Protestpartei. Daraus lässt sich keine stabile Koalition zimmern.

Frau Nahles, auch die Union hat den Wettbewerb um das Soziale aufgenommen. CDU-Vize Jürgen Rüttgers verlangt jetzt, langjährigen Beitragszahlern eine höhere Rente zu gewähren. Was ist daran falsch?

Wir nehmen das Thema Altersarmut ernst. Es ist aber nicht unser Stil, unausgegorene Vorschläge wie Jürgen Rüttgers zu machen. Die Union fordert ja gleichzeitig, im Gegenzug für die Basisrente für langjährig Versicherte die soziale Grundsicherung abzuschaffen. Das heißt: Die Union will zurück in die verschämte Altersarmut. Das würde bedeuten, dass viele Ältere wieder auf Sozialhilfe angewiesen sind. Das ist für diese Menschen demütigend.

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Unsere erste Antwort auf die drohende Altersarmut sind Mindestlöhne. Einer der Hauptgründe für niedrige Renten sind niedrige Löhne. Deshalb sollte Herr Rüttgers lieber unsere Bundesratsinitiative zur Einführung von Mindestlöhnen unterstützen. Sein jetziger Vorschlag geht an den eigentlichen Problemgruppen – Frauen, kleine Selbständige, viele Ostdeutsche – vorbei. Rüttgers Vorschlag zielt lediglich auf eine Gruppe: westdeutsche Männer, die lange Beiträge gezahlt haben, aber kein hohes Einkommen hatten.

Von Altersarmut bedroht sind die kleinen Selbstständigen ohne Angestellte, die nicht in die Rentenkassen einzahlen. Was wollen Sie für diese Personengruppe tun?

Wir schlagen eine Erwerbstätigenversicherung vor. Auch kleine Selbstständige müssen in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, damit sie im Alter nicht auf die Grundsicherung angewiesen sind. Mit der SPD ließe sich das bis 2009 umsetzen.

Viele kleine Selbstständige legen heute kein Geld fürs Alter zurück, weil sie keins übrig haben. Wieso sollten sie künftig in die Rentenversicherung einzahlen, wenn dies freiwillig und nicht verpflichtend ist?

Wir wollen ihnen ein Angebot machen, das für sie auch finanzierbar ist.

Wer Arbeitslosengeld II bezieht, für den zahlt der Staat Rentenbeiträge. Für jedes Jahr Arbeitslosigkeit entsteht aber nur ein monatlicher Rentenanspruch von 2,18 Euro. Ist das genug?

Darum geht es doch gar nicht. Negativ betroffen sind doch vor allem Langzeitarbeitslose. Hier hilft nur eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt.

Rüttgers fordert, dass Langzeitarbeitslose mehr von dem Geld behalten dürfen, das sie für ihre Altersvorsorge zurückgelegt haben. Ist das vernünftig?

Wenn er das Vermögen meint, das für die Altersvorsorge zurückgelegt wurde, dann trifft er mit so einem Vorschlag auf offene Ohren.

Den heutigen Rentnern geht es vergleichsweise gut. Warum führt die Politik jetzt eine Debatte über Altersarmut?

Altersarmut lässt sich am besten vermeiden, wenn man rechtzeitig vorbeugt. Genau um die richtigen Antworten darauf geht es in der Auseinandersetzung mit Rüttgers. Und ich erlaube mir den Hinweis, dass akut 2,5 Millionen Kinder in Deutschland in Armut leben. Das Dringendste ist daher, dass wir etwas gegen Kinderarmut tun.

Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier meint, die Hauptanstrengungen der SPD müssten der Bildung gelten, weil nur dann die Jungen die Renten der Alten werden zahlen können. Können Sie das unterschreiben?

Natürlich muss Bildung die Zukunftsinvestition Nummer eins und die zentrale Priorität für die SPD sein. Dazu gehört Bildung und Ausbildung der Kinder, aber auch die Weiterbildung der Arbeitnehmer. Bildungspolitik ist vorsorgende Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Was wir in Bildung investieren, müssen wir später nicht für Reparaturen verwenden. Arbeitsminister Scholz wird deshalb erstmalig einen Rechtsanspruch auf einen Hauptschulabschluss in der Arbeitsmarktpolitik verankern.

Ist das rechtlich möglich?

Tatsächlich ist das neu. Aber ohne Hauptschulabschluss geht es heute gar nicht mehr, das ist einfach das Minimum, ohne das andere arbeitsmarktpolitische Hilfen oft doch keinen Erfolg haben. Wir setzen hier Bundesmittel ein, obwohl eigentlich die Länder zuständig wären. Aber die Realität ist, dass die Länder seit Jahren das Angebot für nachholende Hauptschulabschlüsse zurückfahren, obwohl der Bedarf steigt. Die Menschen brauchen ein Recht auf eine zweite Chance, da hilft ordnungspolitischer Purismus nicht weiter, da hilft nur ein Angebot.

Geht es der SPD wirklich um eine nationale Kraftanstrengung zur Verbesserung der Bildung oder um ein Wahlkampfthema unter vielen?

Bildung ist für uns ganz oben auf der Tagesordnung, das habe ich doch schon gesagt.

War es nicht SPD-Chef Kurt Beck, der als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz bei der Föderalismusreform I mit dafür gesorgt hat, dass der Bund noch weniger Einfluss auf die Bildungspolitik erhält und jedes Land machen kann, was es will?

Rheinland-Pfalz ist insbesondere bei der frühkindlichen Bildung führend in Deutschland. Trotz Föderalismusreform hat der Bund massiv in den Ausbau von Kindertagesstätten investiert und das läuft jetzt auch in vielen anderen Ländern gut an. Im Übrigen: Wir müssen mit dieser Föderalismusreform leben, es gibt keine Mehrheiten, um dem Bund mehr Einfluss auf die Schul- und Hochschulpolitik der Länder zu verschaffen.

Dann ist es schwer für die Bundes-SPD, sich als Partei der Bildung zu profilieren.

Wir haben andere Möglichkeiten. Neben Sprachförderung und Hauptschulabschluss ist in Bundesverantwortung das Thema Berufs- und Weiterbildung. Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, dass wir nach dem Vorbild des Meister- Bafögs ein Erwachsenen-Bafög einführen. Damit könnte Weiterbildung finanziert werden. Der Ausbau der Weiterbildung wird einer der Schwerpunkte unserer Arbeit in den nächsten zwei, drei Jahren werden.

Frau Nahles, die Berichte über hohe Managergehälter und der Fall Zumwinkel haben bei vielen Wählern das Gefühl verstärkt, es gehe nicht mehr gerecht zu in Deutschland. Nun erwarten gerade SPD-Wähler von ihrer Partei, dass sie ein Mindestmaß an Gerechtigkeit garantiert. Kann die SPD diesen Anspruch in einer globalisierten Welt noch erfüllen?

Ich bin sicher, dass wir das können.

Was muss die SPD in dieser Wahlperiode noch erreichen, damit die Wähler das glauben?

Ich will im Wahlkampf 2009 auf den Marktplätzen mit Fug und Recht behaupten können, dass der Aufschwung bei allen angekommen ist.

Das ist er doch schon, wenn man der Kanzlerin glaubt.

Das entspricht aber noch nicht der Wahrheit. Es sind viele neue Arbeits- und Ausbildungsplätze entstanden, aber die Reallöhne sind in den letzten drei Jahren gesunken. Wenn die Arbeitnehmer dann hören, dass Manager wie Porsche-Chef Wiedeking ein 60-Millionen-Jahressalär beziehen, dann empfinden sie das zu Recht als ungerecht.

Was will die SPD dagegen tun?

Die Gewerkschaften sorgen mit ihren Tarifabschlüssen dafür, dass die Löhne an die Teuerung angepasst werden. Die SPD wird in der Koalition darauf pochen, dass Konzerne die Vergütung von Managern nicht mehr von der Steuer absetzen können. Derzeit übernimmt der deutsche Steuerzahler unfreiwillig bis zu 25 Prozent der Managervergütungen. Das muss sich ändern.

Zum Gefühl wachsender Ungerechtigkeit trägt auch der Umstand bei, dass viele der neuen Jobs in der Leiharbeitsbranche entstanden sind. Auch Stammbelegschaften wurden abgebaut und durch schlechter bezahlte Leiharbeiter ersetzt. War es ein Fehler der Regierung Schröder, die Leiharbeit derart zu regulieren?

Nein. Wir konnten allerdings nicht vorhersehen, dass kurz nach dem Beschluss ein Gericht kleine Gewerkschaften wie die christlichen für repräsentativ erklären würde, die prompt damit begonnen haben, Niedrigstlöhne salonfähig zu machen. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ darf nicht länger unterlaufen werden. Das muss ohne Ausnahme gelten. Wir werden im kommenden Jahr auf 900 000 Leiharbeiter kommen. Die brauchen unseren Schutz.

Der neue Armuts- und Reichstumsbericht der Bundesregierung wird voraussichtlich feststellen, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergegangen ist. Wie will die SPD, die seit zehn Jahren regiert oder mitregiert, mit einer solchen Bilanz vor die Wähler treten?

Ich kenne den Bericht noch nicht. Sicher scheint zu sein, dass die Kluft zwischen Arm und Reich auch in den letzten Jahren größer geworden ist.

Wer ist dafür verantwortlich?

Rot-Grün hatte nur zwei Jahre, in der die wirtschaftliche Entwicklung gut war. Es folgte eine der längsten Stagnationsphasen in der Geschichte der Bundesrepublik. Dass in dieser Zeit hohe Arbeitslosigkeit nicht signifikant gesenkt werden konnte, ist leider wahr. Genau so wahr ist, dass die Reformpolitik die Grundlage ist für den massiven Aufbau von neuen Arbeitsplätzen seit 2005. Man kann über manches streiten. Aber 900 000 Menschen wurden durch ALG II aus der Sozialhilfe geholt. Das bedeutete für sie: mehr Geld und bessere Jobvermittlung.

Sind Sie am Ende doch noch stolz auf die Ära Schröder?

Es gibt jedenfalls keinerlei Grund, sich für die Reformpolitik zu entschuldigen. Es gibt aber auch keinen Grund, stehen zu bleiben. Die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit ist noch lange nicht geschafft.

JUSO-CHEFIN

Holger Börner und Gerhard Schröder sind ihre Vorgänger, als sie 1995 gewählt wird. Nahles besucht lieber Startrek-Conventions als Juso-Flügeltreffen.

LINKER FLÜGEL

Im Erwachsenenleben wird sie zur Galionsfigur der SPD-Linken. SPD- Chef Franz Müntefering tritt zurück, als eine Präsidiumsmehrheit Nahles zur Generalsekretärin machen will.

VIZE

Unter Kurt Beck wird Nahles, Jahrgang 1970, stellvertretende SPD-Vorsitzende, neben den Bundesministern Steinmeier und Steinbrück.

Das Interview führten Tissy Bruns, Cordula Eubel und Stephan Haselberger. Das Foto machte Mike Wolff.

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