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„Hybride Kriegsführung“: Außenpolitiker Norbert Röttgen ist sich sicher, dass der Kremlchef versucht, auf die öffentliche Meinung in Deutschland gezielt Einfluss zu nehmen – mithilfe von Propaganda.

© AFP

Interview mit CDU-Politiker Norbert Röttgen: „Putin wird versuchen, Europa zu spalten“

CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen spricht im Tagesspiegel-Interview über den Ukraine-Konflikt, die Terrorgruppe "Islamischer Staat" und Deutschlands weltpolitische Rolle.

Von Hans Monath

Herr Röttgen, der Bundespräsident, der Außenminister und die Verteidigungsministerin haben auf der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang 2014 für eine aktivere Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands geworben. Ist die deutsche Politik der Aufforderung gefolgt?

Eindeutig ja. Es hat einen Aufbruch in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik gegeben, wir sind auf diesem Feld heute weiter als vor einem Jahr. Die Reden wurden auf der Sicherheitskonferenz vor einem Fachpublikum gehalten und haben ihre eigentlichen Adressaten, die Bürger, zunächst gar nicht erreicht. Aber am Ende des Jahres, werden diese Reden von den meisten verstanden. Die Deutschen denken am Ende des Jahres 2014 anders über das Verhältnis ihres Landes zur Welt als am Jahresanfang.

Was hat sich geändert an der Einstellung der Deutschen?
Wir haben in diesem Jahr ein außerordentliches Phänomen erlebt: Außen- und Sicherheitspolitik war das wichtigste politische Thema in Deutschland. Dazu hat sicher die Gleichzeitigkeit der Krisen beigetragen, denen sich die deutsche Außenpolitik stellen musste. Die intensive Debatte über diese Themen hat dazu geführt, dass es heute viel mehr Verständnis dafür gibt, dass wir uns aktiv in internationalen Krisen engagieren müssen.

Norbert Röttgen (49) ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags. Von 2009 bis 2012 war der CDU-Politiker Bundesminister für Umwelt.
Norbert Röttgen (49) ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags. Von 2009 bis 2012 war der CDU-Politiker Bundesminister für Umwelt.

© dpa

Dafür spricht, dass laut Umfragen heute eine Mehrheit die von der Bundesregierung beschlossenen Sanktionen gegen Russland befürwortet, obwohl die Ukraine-Krise große Ängste auslöst. Waren es die guten Vorsätze oder waren es die Krisen, die das Umdenken ausgelöst haben?
Es war die Veränderung der Wirklichkeit, die eine neue Sichtweise erzwungen hat. Anfangs hätten viele Deutsche den Konflikt mit Russland am liebsten nicht wahrgenommen. Doch die fortgesetzte russische Aggression ließ sich nicht wegdenken. Die Menschen mussten sich damit auseinandersetzen und haben im Laufe des Konflikts immer besser verstanden, dass Deutschland gemeinsam mit seinen Partnern eine Antwort geben musste. Trotzdem bin ich froh, dass die Bekenntnisse zu einem politischen Aufbruch abgegeben wurden, bevor uns die Krisen einholten. Dieser gedankliche Aufbruch hat sicher geholfen.

Sie haben im Frühjahr Sanktionen gegen Russland gefordert, als die Bundesregierung noch nicht so weit war. Wie sehen Sie die Lage heute?
Die Lage scheint festgefahren. Leider kann ich nicht ausschließen, dass Präsident Wladimir Putin trotzdem weiter auf Eskalation setzt, weil seine Motive weiter gelten. Er sieht seine eigene Macht bedroht durch eine demokratische und wirtschaftlich erfolgreiche Entwicklung in der Ukraine. Womöglich hat Putin eine Art „perpetuum mobile“ von Aggression und Nationalismus entfacht, das einerseits seine Macht sichert und andererseits eine eigene Dynamik entfaltet, die er nicht vollständig kontrolliert.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat kürzlich auf die Schwäche der russischen Wirtschaft hingewiesen und gewarnt, ein politisch instabiles Russland sei eine große Gefahr. Zugleich sprach er sich gegen schärfere Sanktionen aus. Mindert er damit die Handlungsoptionen der EU?
Die wirtschaftliche Malaise in Russland hat vor allem Putin selbst herbeigeführt. Er hat es in der Hand, die Situation zu ändern. Ich gehe davon aus, dass Putin im Jahr 2015 vor allem versuchen wird, Europa und den Westen zu spalten. Die Sanktionen sind ein politisches Instrument, eine einheitliche Position Europas auszudrücken. Wir müssen in erster Linie glaubwürdig und berechenbar bleiben – wenn sich die Situation nicht ändert, müssen die Sanktionen ebenfalls bestehen bleiben.

Die Ukraine-Krise löst in Deutschland sehr emotionale Reaktionen aus. Auf welche Weise nimmt Russland Einfluss auf die deutsche Debatte?
Putin treibt diesen Konflikt auf eine neue Art voran, manche sprechen von „hybrider Kriegsführung“. Dazu gehört ganz klar auch der Versuch, die öffentliche Meinung in Russland selbst, in der Ukraine, aber auch in Deutschland zu beeinflussen – auch durch Propaganda, durch Manipulation von Meinung. Dafür gibt Russlands Regierung sehr viel Geld aus.

Wo sehen Sie das in Deutschland?
Russland baut mit dem deutschsprachigen Angebot von „Russia today“ ein eigenes Forum auf. Es gibt massiven Druck auf deutsche Journalisten, die im öffentlich-rechtlichen Rundfunk unparteiisch aus der Ostukraine berichten und Russlands Beteiligung beim Namen nennen. Nach jeder russlandkritischen Berichterstattung gehen bei vielen Medien eine Masse ähnlich lautender Leserbriefe ein oder es folgt im Internet ein „Shitstorm“ von Angriffen auf die Journalisten. Das baut Rechtfertigungsdruck auf, die Journalisten sollen verunsichert werden.

Was kann Politik dagegen tun?
Unser Kollege Andreas Schockenhoff hat kurz vor seinem Tod eine Anhörung des Auswärtigen Ausschusses zu diesem Phänomen angeregt. Wir sollten diesem Vorschlag folgen. Wir müssen das Phänomen öffentlich machen und Transparenz herstellen. Wenn es ein Bewusstsein für diese getarnte, organisierte Einflussnahme gibt, verliert sie an Wirkung. Wir haben in Deutschland noch nicht einmal angefangen, uns mit dieser Propaganda auseinanderzusetzen, geschweige denn, auf sie zu antworten.

Eine zweite Krise, auf die Deutschland reagieren musste, war der Vormarsch des „Islamischen Staats“ (IS). Markiert die Entscheidung der Bundesregierung, Waffen an die Kurden zu liefern, eine neue Stufe der Außen- und Sicherheitspolitik?
Nein. Aber wir haben mit der jahrzehntelang geltenden Tradition gebrochen, in Spannungsgebiete keine Waffen zu liefern. Das sehe ich nicht als neue Stufe des außen- und sicherheitspolitischen Engagements. Ich hatte befürchtet, dass sich die Bundesregierung mit dieser Entscheidung gleichsam freikauft von weiterem deutschen Engagement gegen den „Islamischen Staat“. Ich bin froh, dass meine Befürchtung durch die Entscheidung für die Entsendung von Bundeswehr-Ausbildern in den Nordirak widerlegt worden ist.

Sie haben für ein UN-Mandat für den Kampf gegen den IS geworben, die Bundesregierung hält das nicht für notwendig. Ist Ihr Vorschlag damit überholt?
Nein. Ich bin immer noch der Meinung, dass wir alles versuchen müssen, ein Mandat des UN-Sicherheitsrates für den Kampf gegen den „Islamischen Staat“ zu erreichen. Wir müssen auch versuchen, Russland zu einer konstruktiveren Haltung in der UN zu bewegen, auch wenn der Erfolg dieser Bemühung nicht sehr wahrscheinlich ist. Wenn wir mit Russland im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ erfolgreich zusammenarbeiten, kann das positive Rückwirkungen auf den Konflikt um die Ukraine haben. Deutschland sollte es Russland nicht abnehmen, im Sicherheitsrat Nein zu sagen zu einer Lösung, die den „Islamischen Staat“ zurückdrängt und hilft, den Bürgerkrieg in Syrien zu beenden.

Was sagen Sie zu Befürchtungen, wonach die Ausbildungsmission nur der Einstieg in eine dauerhafte Bundeswehr-Beteiligung im Kampf gegen den IS ist?
Diese Gefahr sehe ich nicht. Solange in diesem Konflikt so unterschiedliche Interessen, Ethnien, religiöse Überzeugungen aufeinandertreffen, wird es keine westlich geführte militärische Intervention gegen den IS am Boden geben. Dafür bräuchte es ein politisches Konzept. Deutschland wirbt dafür, dass etwa Saudi-Arabien und der Iran ihre gemeinsamen Interessen erkennen, statt gegeneinander zu arbeiten. Von entscheidender Bedeutung ist, dass es gelingt, sunnitische Dschihadisten und sunnitische Bevölkerung voneinander zu trennen.

Das Gespräch führte Hans Monath.

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