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Charlotte Knobloch spürt ein "Klima der Angst" unter den Juden in Deutschland.

© dpa

Interview mit Charlotte Knobloch: "Der alltägliche Antisemitismus muss thematisiert werden"

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über ein "Klima der Angst" unter Juden, muslimischen Antisemitismus und ihre Erwartungen an die deutschen Sicherheitsbehörden.

Frau Knobloch, Sie warnen nach den Vorfällen der vergangenen Tage und Wochen, insbesondere nach der Attacke auf Zentralrats-Generalsekretär Stephan Kramer, vor einem "Klima der Angst". Das klingt dramatisch. Handelt es sich also nicht nur um Einzelfälle, sondern um eine Tendenz?

Noch sind es Einzelfälle, aber sie häufen sich in ihrer Frequenz und ihrer Qualität. Es geht mir darum, zu sensibilisieren. Nur wer in der Gegenwart rechtzeitig die Alarmsignale wahrnimmt und frühzeitig reagiert, steht auf der richtigen Seite der Geschichte.

Welche Rolle spielt die Beschneidungsdebatte für ein mögliches "Klima der Angst"?

Die Beschneidungsdebatte hat weniger bewirkt als sie zu Tage gefördert hat. Wir konstatieren seit langem einen spürbaren Zuwachs an antisemitischen Einstellungen. Diese wurden in der Vergangenheit vor allem beim Thema Israel geäußert. Sogenanntes Israel-Bashing steht hier exemplarisch für einseitige unsachliche Kritik am jüdischen Staat als Jude unter den Staaten. Der Text von Günter Grass war insofern nur die Spitze des Eisbergs. Im Rahmen der Beschneidungsdebatte kamen nun Argumentationsmuster zum Vorschein, anhand derer einige leidenschaftliche Protagonisten sich am Judentum unmittelbar reiben beziehungsweise abarbeiten konnten – ohne das Vehikel Israel. Was wir in diesem Zusammenhang in den letzten Wochen an Anfeindungen erleben mussten, hätte ich mir so vorher in meinen kühnsten Albträumen nicht vorgestellt.

Bilder: Solidaritätsdemo für Rabbiner Daniel Alter

In Berlin wurde nach einigen Übergriffen geraten, die Kippa zu verbergen. Finden Sie das richtig? Wie sollen Juden aus Ihrer Sicht auf diese Vorfälle reagieren und sich im Alltag verhalten?

Ich wünsche mir, dass wir im täglichen Miteinander die Grundsätze unserer freiheitlichen Demokratie mit Leben füllen. Das bedeutet, dass wir uns als Menschen begegnen. Da darf es keine Rolle spielen, welcher Konfession jemand angehört, welcher Abstammung er ist, welche Hautfarbe er hat oder was auch immer an vermeintlichen Unterscheidungskriterien angeführt wird. Unser Grundgesetz basiert darauf, dass sich niemand verstecken muss und dass jeder nach seiner Fasson, seinen Vorstellungen nach Glück streben darf. Das ist die Prämisse unserer Verfassung - und dies sollte auch die Prämisse unseres Zusammenlebens sein. Jüdische Menschen müssen die Möglichkeit haben, sich frei zu bewegen und ihre Religion frei auszuüben, sichtbar oder nicht sichtbar. Eine Gesellschaft, in der das nicht möglich ist, in der Toleranz und Liberalität verloren gehen, kann und will ich mir nicht vorstellen.

Bilder: Kippa-Flashmob in Berlin

Immer wieder werden jüdischen Repräsentanten in Deutschland bedroht - per Email, in Briefen, durch Anrufe, auch auf offener Straße. Aus welcher Ecke kommen diese Drohungen vorwiegend?

Aus unterschiedlichen Ecken. Aus dem rechtsextremen Spektrum, dem linksextremen und immer mehr aus dem islamistischen.  

Wie schätzen Sie die Gefahr des muslimischen Antisemitismus ein?

Hoch. Die Gefahr ist erkannt. Und ich vertraue den Sicherheitsbehörden, dass hier alles getan wird um die Gefahr zu bannen. Das erwarte ich allerdings auch. Es wäre verheerend, wenn Blindheit und Patzer in ähnlicher Weise kumulieren wie es – das wissen wir nun – jahrelang bei der Verfolgung und Beobachtung der rechtsterroristischen Szene der Fall gewesen ist.  

Reagieren islamische Repräsentanten angemessen auf diese Bedrohung?

Das kann ich nur hoffen.

Besteht andererseits die Gefahr, dass der alltägliche Antisemitismus vieler Deutscher dadurch zu wenig Beachtung findet?

Unsere Gesellschaft, die Politik und das Bürgertum sind klug, mündig und verantwortungsvoll genug, um alle Missstände anzugehen, die erkannt werden. Der alltägliche Antisemitismus muss als sozialgesellschaftliches Problem auf unterschiedlichen Ebenen thematisiert werden. Bildung spielt hier eine wichtige Rolle. Aber auch der ständige Dialog. Nach wie vor bestehende Missverständnisse können nur so ausgeräumt werden. Ich gebe die Hoffnung nicht auf.

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