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Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP.

© Doris Spiekermann-Klaas

Interview mit Christian Lindner über Griechenland: „Ehrlich wäre ein Schuldenschnitt außerhalb des Euro“

FDP-Chef Christian Lindner über Griechenland, die Chancen einer Rückkehr seiner Partei in den Bundestag und seine Vorstellung von moderner Flüchtlingspolitik.

Von Antje Sirleschtov

Herr Lindner, seit zwei Jahren ist die FDP nicht mehr im Bundestag vertreten. Wie schwer ist es, von der Öffentlichkeit nicht vergessen zu werden?
Gar nicht schwer. Die im Bundestag vertretenen Parteien tun alles dafür, dass eine liberale Stimme vermisst wird. Alle haben sich darauf verständigt, nicht in die Zukunft zu schauen, sondern die Infrastruktur auf Verschleiß zu fahren und mit staatlichen Zwangsmitteln die individuelle Freiheit einzuschränken. Da fehlt es an einer politischen Stimme, die den Einzelnen und nicht den Staat stark machen will.

Das sagen Sie. Die Wähler sind sich da offenbar nicht so sicher. Glaubt man den Umfragewerten, dann gibt es eine große Zufriedenheit mit der Arbeit der Bundesregierung.
Es ist ein bisschen wie im rheinischen Karneval. Wenn Kamelle verteilt werden, gibt es Jubel am Straßenrand. Aber wehe, auf den letzten Metern gibt’s keine Süßigkeiten mehr. Seien wir doch ehrlich: Die Sonderkonjunktur durch den künstlich niedrigen Außenwert des Euro und den Ölpreisverfall sorgt für die Illusion wirtschaftlicher Stärke – und die nimmt die Regierung als selbstverständlich. Schaut man auf die Politik der großen Koalition, dann geht es doch nur noch um die Verteilung des Wohlstands. Dabei müsste Deutschland gerade jetzt zukunftsfähig gemacht werden.

In der Union nennt man Sie neuerdings wieder einen natürlichen Koalitionspartner. Hoffen Sie auf einen neuen schwarz- gelben Anlauf?
Mir geht es gar nicht in erster Linie ums Regieren. Wir sind eigenständig und machen den Wähler unser Politikangebot. Und ich habe es mir abgewöhnt, zu schnell über Siege oder Niederlagen nachzudenken. Nach der Bundestagswahl 2013 hat niemand einen Pfifferling auf uns gegeben. Wenn ich nicht an einen Bedarf für liberale Politik geglaubt hätte, wäre ich nicht ihr Vorsitzender geworden. Und wenn heute schwarz-gelbe Mehrheiten gemessen werden, dann bleibe ich zurückhaltend. Wir haben einen harten Weg absolviert, er ist noch lange nicht beendet. Aber wir sind weiter als der Plan.

Die CDU wird aller Voraussicht nach in der nächsten Woche ihrer Kanzlerin folgen und einen weiteren Milliardenkredit für Griechenland freigeben. Wäre das mit der FDP gegangen?
So kann die Griechenland-Rettung nicht funktionieren. Denn die griechische Regierung, die Reformen umsetzen soll, die sie eigentlich ablehnt, trägt nicht zum Erreichen der Schuldentragfähigkeit bei. Wenn trotzdem ein weiterer Hilfskredit bewilligt wird, dann ist das nichts anderes als ein Geschenk an Athen. Ich halte das für eine Fehlentscheidung. Insbesondere die Abgeordneten der Unionsparteien sollten wissen: Wenn sie dem zustimmen, wird aus der Währungsunion eine Transferunion. Ehrlich wäre ein Schuldenschnitt für Athen außerhalb des Euro. Athen könnte innerhalb der EU bleiben und Strukturhilfen für wirkliche Reformen bekommen. Das würde Griechenland beim Aufbau einer selbsttragenden Wirtschaft helfen und gleichzeitig das Vertrauen in den Euro stärken.

Ein „Grexit“, also ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone, wie Sie ihn beschreiben, ist im Bundestag allenfalls von einer Minderheit erwogen worden. Mehrheitlich stehen die Abgeordneten hinter dem Kurs der Regierung, Athen im Euro zu halten.
Der Weg, den die Bundesregierung einschlägt, bedeutet für Deutschland größte Finanzrisiken. Das muss jeder wissen. Und von der Regierung erwarte ich jetzt, dass sie den finanz- und wirtschaftspolitischen Kurs dieser veränderten Lage anpasst. Allein die schwarze Null zu erreichen, das reicht nun nicht mehr. Deutschland muss mehr investieren, die Unternehmen und die Steuerzahler entlasten und gleichzeitig in den öffentlichen Haushalten solider wirtschaften, um die gewachsenen Risiken aus dem Griechenland-Kurs abfedern zu können.

Herr Lindner, täglich kommen tausende Flüchtlinge nach Deutschland. Wie viele Asylbewerber verkraftet das Land?
Das kann man so pauschal nicht sagen. Denn es gibt einen Unterschied zwischen Flüchtlingen und Asylbewerbern. Wir haben zu viele Asylbewerber, die ohne Aussicht auf Anerkennung zu lange in Deutschland bleiben.

Sie meinen Asylbewerber aus den Ländern des Westbalkan, aus dem Kosovo oder Serbien?
Ja, und die Bundesregierung muss sich um tragfähige Lösungen kümmern, wenn sie die Akzeptanz der Bevölkerung für die Aufnahme von Flüchtlingen nicht aufs Spiel setzen will.

Was soll Ihrer Meinung nach geschehen?
Der ungeordneten Zuwanderung aus den Westbalkan-Ländern muss rasch entgegengewirkt werden. Zuerst müssen diese Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt und eine Visapflicht wieder eingeführt werden. Dann können potenzielle Asylbewerber bereits an den Außengrenzen der EU abgewiesen werden, wenn sie kein Visum haben. Denkbar wäre auch die Begrenzung auf Sachleistungen für Asylbewerber aus diesen Ländern, um es unattraktiv zu machen, nur deshalb nach Deutschland zu kommen.

"Die große Koalition muss sich zu einem Einwanderungsgesetz durchringen"

Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP.
Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP.

© Doris Spiekermann-Klaas

Die Menschen, die aus diesen Ländern nach Deutschland fliehen, zum Beispiel Roma, flüchten vor Diskriminierung oder wollen der wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit in ihrer Heimat entkommen und sich hier ein besseres Leben aufbauen.
Ich habe für diese Motive großes Verständnis. Aber wirtschaftliche Wünsche sind kein Asylgrund. Wir wollen diesen Menschen durch ein neues Einwanderungsrecht eine Chance geben, wenn sie fleißig und qualifiziert sind. Dann sucht Deutschland sich allerdings aus, wen wir in unserem nationalen Interesse in den Arbeitsmarkt einladen. Deshalb ist es so wichtig, dass sich die große Koalition endlich zu einem Einwanderungsgesetz durchringt. Denken Sie an die Bereiche der Pflege oder der Bauwirtschaft, wo es einen erheblichen Fachkräftebedarf gibt. Was spricht dagegen, dass Menschen aus dem Westbalkan, die eine Ausbildung in diesen Bereichen nachweisen können, geregelt durch ein Einwanderungsgesetz zu uns kommen und hier arbeiten können?

Wie stellen Sie sich die Zuwanderungsregeln für den Arbeitsmarkt vor?
Ähnlich dem kanadischen Modell wollen wir die individuelle Qualifikation der Menschen in den Mittelpunkt stellen. Wer gut ausgebildet ist, Sprachkenntnisse hat und jung ist, soll die Chance haben, über ein Punktesystem eine Einwanderungsberechtigung zu erhalten. Auf diese Weise kann Deutschland jedes Jahr seinen Arbeitskräftebedarf festlegen und die Einwanderung der qualifiziertesten Bewerber entsprechend zulassen. So stellen wir sicher, dass Einwanderung geordnet und in unserem Interesse geschieht, was auch die Akzeptanz in der Bevölkerung stärkt.

Auch Flüchtlinge aus Kriegsgebieten warten mittlerweile zunehmend in Zeltstädten und Containerdörfern quer durch Deutschland auf den Abschluss ihrer Verfahren. Ist Deutschland, das ja zu den reichsten Ländern der Erde zählt, überfordert mit der Flut der Anträge?
Es gibt derzeit fast eine Viertelmillion unbearbeiteter Anträge. Ich halte das für einen Skandal. Dieser Antragsstau muss abgebaut werden. Dabei werden beispielsweise Anträge von Flüchtlingen aus dem Irak, Syrien oder Eritrea zu rund 99 Prozent positiv beschieden. Um die Behörden zu entlasten, schlage ich deshalb vor, für Menschen aus diesen drei Ländern ein pauschales Asylverfahren für einen bestimmten Zeitraum durchzuführen. Nach einer Sicherheitsprüfung gäbe es dann sofort einen Asylbescheid. Nach Abschluss dieses Pauschalverfahrens können die Menschen dann rasch in den Kommunen integriert werden und Arbeit aufnehmen. Ebenso wichtig ist es, eine zentrale Management-Plattform des Bundes für die Flüchtlingsfrage einzurichten. Der Bund muss außerdem das gesamte Verfahren komplett finanzieren. Er entscheidet über den Aufenthaltsstatus der Flüchtlinge, also muss er auch die Zeit finanzieren, in der die Menschen darauf warten, dass ein Bundesamt ihren Status geklärt hat.

Welches Bild geben Containerdörfer und Zeltstädte in deutschen Kommunen ab?
Die Kommunen stoßen augenscheinlich an Grenzen. Deshalb dürfen wir keine Zeit mehr verlieren. Die Bundesregierung und die verantwortlichen Stellen müssen sich rasch auf praktikable Lösungen verständigen. Stattdessen wird über den Termin für einen Flüchtlingsgipfel diskutiert. Das ist blamabel. Von der größten Volkswirtschaft Europas kann man etwas anderes erwarten.

Zur Person: Seit Dezember 2013 ist Christian Lindner (37) Vorsitzender der FDP. Er übernahm das Amt, nachdem seine Partei im Herbst zuvor nicht wieder in den Bundestag gewählt wurde. Zuvor war Lindner Generalsekretär unter den Vorsitzenden Guido Westerwelle und Philipp Rösler, warf das Amt jedoch im Streit unter Letzterem hin. Lindner hat seiner Partei ein neues Logo und neue Farben gegeben und die Führung breiter aufgestellt. Liberale Inhalte – das Misstrauen in den Staat und die Forderung der Entlastung von Steuerzahlern – sind geblieben. Das Ziel: der Wiedereinzug in den Bundestag 2017. Umfragen zeigen neuerdings: Es könnte klappen, knapp.

Das Gespräch führte Antje Sirleschtov.

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