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Interview mit David McAllister: "Im Wahlkampf kämpft jede Partei für sich alleine"

Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister über die Chancen von Schwarz-Gelb im Januar, einheitliche Lohnuntergrenzen und seinen Freund Philipp Rösler.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Antje Sirleschtov

Herr McAllister, Sie kennen den FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler seit langem. Wie eng ist der Kontakt heute noch?

Philipp Rösler und ich waren viele Jahre zeitgleich Fraktionsvorsitzende in einer erfolgreichen Koalition in Niedersachsen. Wir haben uns jeden Dienstag früh im Koalitionsausschuss getroffen. Das schafft eine persönliche Verbindung, die bis heute hält. Unser Kontakt ist jetzt aufgrund unserer unterschiedlichen Aufgaben natürlich nicht mehr so eng. Aber eine SMS haben wir zuletzt am Donnerstagabend ausgetauscht.

Hat Berlin Ihren Freund verändert?

Man kann den politischen Betrieb im Bund und in einem Bundesland nur bedingt vergleichen. In Berlin Politik zu machen, ist komplizierter und härter. Das prägt auch die Menschen. Vor allen, die wie Philipp Rösler in Berlin Verantwortung übernehmen, habe ich großen Respekt, und ich maße mir aus Hannover keine Ratschläge an.

Glaubt man den Meinungsumfragen der letzten Monate, dann wird die FDP am 20. Januar nicht in den Landtag einziehen und Ihnen damit die Chance nehmen, Ministerpräsident zu bleiben.

Diese Einschätzung teile ich nicht. Umfragen spiegeln nur aktuelle Stimmungen und sagen noch nichts über das tatsächliche Wahlverhalten in fünf Wochen. Die Umfragen in Niedersachsen belegen: Die CDU ist eindeutig die stärkste politische Kraft. Es gibt keine Wechselstimmung im Land. Die Menschen sind zufrieden mit der Arbeit der Landesregierung. Mein Ziel ist es, die CDU in Niedersachsen mit deutlichem Abstand zur SPD zur stärksten Fraktion im Landtag zu machen. Die FDP kann und wird den Sprung in den Landtag schaffen. Da bin ich mir sicher.

Könnten Sie Ihrem Partner dabei nicht ein bisschen unter die Arme greifen?

CDU und FDP sind politische Partner. Im Wahlkampf kämpft gleichwohl jede Partei für sich alleine. Das war so, das ist so und das wird auch so bleiben.

Was bedeutet es eigentlich, Testwahlkämpfer für die Kanzlerin zu sein?

Das betrachte ich eher nüchtern. Natürlich spielt in einem Superwahljahr in einem Flächenland wie Niedersachsen die Bundespolitik eine Rolle. Aber am Ende interessiert die Menschen eben doch, was vor ihrer Haustür geschieht. Angela Merkel genießt bei den Menschen hohes Ansehen. Sie gibt uns Rückenwind. Es steht viel auf dem Spiel am 20. Januar. Deshalb wird die gesamte CDU mit uns zwischen Ems und Elbe kämpfen. Und Horst Seehofer wird auch dabei sein.

Keine Sorge, dass er da plötzlich über Ihre charakterlichen Schwächen spottet?

Ich komme mit Horst Seehofer gut klar. Man kann sehr viel von ihm lernen.

Was denn so zum Beispiel?

Er ist Ministerpräsident einer christlich-liberalen Koalition in einem großen Flächenland. Wenn wir uns in Berlin treffen, sprechen wir über die gleichen Themen. Und weil Horst Seehofer sehr viel Erfahrung hat, sind solche Gespräche für mich immer von großem Gewinn. Er ist mit seinem trockenen Humor und seiner feinsinnigen Ironie ein belebendes Element in der deutschen Politik.

"Die FDP sollte sich bewegen."

Erahnen wir da eine Seelenverwandtschaft zweier Bergvölker – hier der Bayer, da der halbe Schotte?

Ich bin ein geborener Berliner, der mit elf Jahren in Niedersachsen erfolgreich integriert wurde. Diese Mischung mit den schottischen Wurzeln macht vielleicht meine Art von Humor aus.

Was sagen Sie im Wahlkampf den Niedersachsen, die ihr hart verdientes Geld nicht länger in südeuropäische Länder stecken wollen, während die Reichen dort ihre Millionen steuerfrei in der Schweiz parken?

Es gibt solche Stimmen an den Wahlkampfständen. Die Menschen sehen mit Sorge auf die Entwicklung in Europa. Dazu sage ich, dass die Europäische Union vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte steht. Wir Deutschen haben ein ureigenes Interesse an einem stabilen Europa und einer stabilen gemeinsamen Währung. Wir haben in Europa die stärkeren Schultern und müssen jetzt eine größere Last tragen. Aber entscheidend ist, in allen Staaten der EU eine klare und konsequente Politik der Haushaltskonsolidierung vorzunehmen und die strukturelle Wettbewerbsfähigkeit herzustellen. Dies gilt insbesondere für die Länder, die sich zurzeit in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden. Es gilt auch hier der Grundsatz „Fördern und Fordern“.

Apropos Fördern: Die CDU hat schon voriges Jahr beschlossen, dass sie einheitliche Lohnuntergrenzen einführen will. Wann kommt der Mindestlohn denn nun endlich?

Diesen Beschluss habe ich sehr begrüßt. Das ist auch in Niedersachsen ein Thema, das die Menschen bewegt. Wir haben in bestimmten Branchen und Regionen inakzeptable Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt. Bezahlung von Arbeit hat auch etwas zu tun mit der Würde von Arbeit und der Menschen, die sie leisten. Deshalb ist es richtig, wenn die CDU sagt: Wir sind für verbindliche Lohnuntergrenzen. Dort, wo es keine Tarifbindung gibt, soll eine Kommission der Tarifparteien eine entsprechende Grenze festlegen. Unser Parteitagsbeschluss liegt jetzt ein Jahr zurück. Es wäre angebracht, wenn wir ihn jetzt tatsächlich umsetzen. Die Beschlusslage von CDU und CSU in dieser Frage ist klar. Und die FDP sollte sich bewegen.

Solange sich Ihr Partner FDP in Berlin weigert, könnten Sie aus Hannover ein Zeichen setzen: Per Landesvergabegesetz könnten Sie Firmen zwingen, bei öffentlichen Aufträgen Mindestlöhne zu zahlen.

Das Landesvergabegesetz in Niedersachsen hat sich – bisher – bewährt. Es muss und wird im kommenden Jahr evaluiert werden. Ich möchte, dass bestimmte soziale Mindeststandards stärker berücksichtigt werden. Und wir müssen darauf achten, dass die kleinen und mittleren Unternehmen nicht derart mit Bürokratie belastet werden, dass sie an öffentlichen Ausschreibungen gar nicht teilnehmen können.

Noch mal, Klartext: Wird in Zukunft Mindestlöhne zahlen müssen, wer vom Land Niedersachsen einen Auftrag haben will?

Wir wollen keinen Mindestlohn, der politisch festgesetzt wird und für alle Branchen gilt. Deswegen planen wir derzeit nicht, in unserem Landesvergabegesetz Mindestlöhne einzuführen. Wir wollen stattdessen unangemessen niedrige Angebote bei öffentlichen Vergaben ausschließen. Und wir wollen soziale und tarifliche Standards besser verankern. Das habe ich für die nächste Wahlperiode angekündigt.

McAllister wäre der einzige Ministerpräsident mit Migrationshintergrund.

Wenn Sie sich selber einstufen sollten – sind Sie mehr bei den Konservativen oder Modernen in Ihrer Partei?

Das sind platte Etiketten in einem beliebten Spiel – da ist ein CDU-Politiker, bei dem ziehen wir mal drei Schubladen auf, konservativ, liberal, christsozial, und dann stopfen wir ihn rein. Ich passe nicht in eine Schublade. Ich bin deutscher Christdemokrat. Wir heißen eben nicht deutsche Konservative oder deutsche Liberale oder deutsche Anhänger der christlichen Soziallehre. Ich bin eher konservativ in Themen der Außen- und Innenpolitik sowie in der Finanzpolitik. Bei anderen Themen empfehle ich meiner Partei, sich gesellschaftlichen Veränderungen weiter zu öffnen – bei Familie, Integration, Umwelt. Also bin ich ein liberaler Konservativer oder ein konservativer Liberaler, immer mit einem starken Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft. Reicht Ihnen das?

Ihr Vorgänger hätte es vielleicht genauso gesagt. Kommt Christian Wulff in Ihrem Wahlkampf noch vor?

Unsere Erfolgsbilanz beginnt im Jahre 2003. Niedersachsen hat sich seither enorm nach vorne entwickelt: mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren und mit der höchsten Zahl an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Im vorigen Jahr hatten wir das zweithöchste Wachstum aller deutschen Bundesländer. Von 2003 bis 2010 hat Christian Wulff eine sehr erfolgreiche Politik gemacht. In jeder meiner Reden im Wahlkampf werde ich unsere Zukunftsvision, unsere Bilanz und unsere Mannschaft hervorheben. Die staatsanwaltlichen Ermittlungen laufen noch. Auf den Marktplätzen in Haselünne oder Buxtehude spielen diese Fragen keine Rolle mehr. Die Menschen sind mit dem Thema durch.

Wenn Sie am 20. Januar die Wahl gewinnen würden, hätten Sie ein Alleinstellungsmerkmal als …

… der einzige Ministerpräsident mit Migrationshintergrund.

… der einzige seit langem, der für die CDU ein westdeutsches Flächenland gewinnt.

Da sag’ ich Ihnen eines: Wir in Niedersachsen wissen, dass wir im Januar eine seltene Aufmerksamkeit in den Medien weltweit bekommen werden. Bis zum 20. Januar wird das Interesse riesengroß sein. Aber schön ist doch: Am 21. Januar zieht die mediale Karawane weiter. Ich trete an, um eine ganze Wahlperiode niedersächsischer Ministerpräsident sein zu dürfen. Das ist mit Anfang 40 eine riesengroße Ehre und Auszeichnung. So, und jetzt schauen wir mal.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Antje Sirleschtov. Das Foto machte Mike Wolff.

Seine Partei mag doppelte Staatsbürgerschaften nicht. Aber dem Sohn eines schottischen Ex-Soldaten, geboren 1971 in der Vier-Mächte-Stadt, standen zwei Pässe nun mal einfach zu. In Bad Bederkesa im Landkreis Cuxhaven lebt er seit dem elften Lebensjahr. Christian Wulff holte sich den Jung-Abgeordneten 2002 als Generalsekretär. Wulff baute McAllister danach zum Nachfolger auf: erst Fraktions-, dann zusätzlich Parteichef. Mit seinem Freund Philipp Rösler hatte er sich verschworen, zum politischen Berlin Distanz zu halten. Aber in der CDU seiner Generation sind Talente rar. Wenn Angela Merkels Zeit zu Ende geht, könnte der hochgewachsene Kerl aus der Provinz rasch zum Hoffnungsträger avancieren.

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