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"Es muss endlich damit aufhören, bei euch im Osten war alles schlecht, und bei uns im Westen war alles gut." Psychoanalytiker Dr. Hans-Joachim Maaz.

© dpa

Interview mit Hans-Joachim Maaz: "Die Krise könnte auch eine neue Identität stiften"

Der Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz erläutert im Interview, warum viele Ostdeutsche über ihre DDR-Vergangenheit schweigen und welches politische Potential in der so genannten "Dritten Generation Ost" stecken könnte.

Unter dem Namen "Dritte Generation Ostdeutschland" rufen 25- bis 35-Jährige zum Dialog mit Gleichaltrigen aus dem Westen und mit den Eltern auf. Was denken Sie über die Initiative und wie bewerten Sie die kritischen Fragen, die vorrangig an die Elterngeneration gestellt werden?

Ich bin insgesamt positiv überrascht von dieser Initiative. Die Idee dahinter imponiert mir, die kritische Auseinandersetzung mit den Eltern, dass Fragen gestellt werden nach Mitläufertum, Mittäterschaft und wie habt ihr die DDR mitgestaltet.

Die Kinder hinterfragen und kritisieren das Schweigen der Eltern über ihr Leben in der DDR. Welche Gründe gibt es für diese Sprachlosigkeit der Älteren?

Wie häufig bei grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen ist die Mehrheit der ersten und der zweiten Generation belastet durch Schuld. Aber darüber denkt man nicht gerne kritisch nach und fragt sich auch nicht gerne selbst, was habe ich falsch gemacht. Die Anpassung an äußere Verhältnisse ist auch immer ein Spiegelbild der inneren Verfassung. Damit meine ich, dass nicht nur die DDR die Menschen geprägt hat, sondern dass vor allem auch die Menschen die DDR ausgestaltet haben. Wenn man anfängt, kritische Fragen zu stellen, muss man auch sein individuelles Leben hinterfragen. Das ist schwer und schmerzhaft. Man kann es dann nicht mehr nur auf die politischen Verhältnisse schieben. Aus diesem Grund schweigen lieber viele.

Hinzu kommt der gesamte Wendeprozess. Fast alle DDR-Bürger, mich eingeschlossen, hatten eine naive und überbewertete Vorstellung vom Westen, die genährt wurde durch Pakete, Kleidungsstücke und Westfernsehen. Wir hatten ein naives Verkennen der wirklichen Verhältnisse im Westen – dass man, wenn man ärmer ist, trotz eines Rechtsstaates weniger Chancen auf eine gleichwertige Behandlung auf dem Arbeits- und Bildungsmarkt hat oder auf eine gleichwertige medizinische Versorgung.

Was aber auch ein sehr entscheidender Punkt ist, viele haben ihre Arbeit verloren und ihre Lebensleistung ist entwertet worden. Viele mussten um ihre Existenz kämpfen, mussten sich nachbilden, neu bilden, für viele war die neue Lebenssituation im Westen auch eine Bedrohung. Ich bin davon überzeugt, dass die allermeisten Menschen hier im Osten glaubten, im Westen ist alles besser. Nur hat man eben nicht den Preis des Wohlstandslebens mitgedacht - Arbeitslosigkeit und Benachteiligung.

Nach Jahren der Mangelwirtschaft war für viele verständlicherweise aber auch der Konsum wichtig.

Natürlich, viele möchten auch nicht wahrhaben, dass erst einmal die Kaufhäuser gestürmt wurden und wir unsere Revolution verschenkt und verkauft haben. Das Versprechen der blühenden Landschaften war zu verlockend. Wir sind selbst dran Schuld und naiv geglaubt zu haben, es bequem gemacht zu bekommen. Und das ist bis heute schwer auszuhalten. Die Masse war immer verklärt, von den materiellen Dingen und von der Reisefreiheit. Diese profanen Dinge haben dominiert, aber das ist ein rein menschliches Bedürfnis. Jeder andere wäre in der gleichen Situation dieser Glitzerwelt wohl auch verfallen.

Wieso fällt es vor allem älteren Ostdeutschen mehr als zwanzig Jahre nach der Wende immer noch schwer, sich als Bundesbürger zu fühlen?

Viele Ostdeutsche wurden nach der Wende nicht abgeholt in ihrem bisherigen Leben. Ihr ostdeutsches Leben wurde entwertet und die DDR zu einem Unrechtsstaat erklärt, als wenn damit alles Leben unrecht gewesen wäre. Die Entwertung des bisherigen Lebens und die Konfrontation mit der Wirklichkeit hat bei vielen zu einer Enttäuschung geführt. Dabei wäre eine kritische Auseinandersetzung in Ost- und in Westdeutschland nötig gewesen.

Die „Dritte Generation“ sucht gezielt den Dialog mit den Eltern. Ist das der klassische Kind-Eltern-Konflikt?

Ja, das gehört in die Entwicklungspsychologie eines jeden Menschen, dass man fragt, wo komme ich her. Das ist aber auch ein anstrengender und schmerzlicher Prozess über die Eltern und die eigenen Fehlentwicklungen. Das sind zum Teil heikle Themen, die da miteinander geklärt werden müssen. Diese Auseinandersetzung und kritische Reflektion führt zu entscheidenden Fragen: Was fange ich jetzt mit gewonnen Erkenntnissen an? Was davon muss ich bewahren und weiterentwickeln, wo muss ich mich verändern, und wo muss ich dazu beitragen, dass die Bedingungen sich verändern? An dem Punkt beginnt im Grunde genommen die Politisierung. Aber diese Generation muss auch die westdeutschen Eltern kritisch über die Vor- und Nachteile ihres Lebens befragen. Es muss endlich damit aufhören, bei Euch im Osten war alles schlecht, und bei uns im Westen war alles gut.

Wie bewerten Sie das heutige Zusammenleben der Ost- und Westdeutschen?

Man muss diesbezüglich immer noch sehr zwischen den einzelnen Generationen differenzieren, aber was alle mittlerweile gemeinsam erleben, ist die Finanzkrise. Da sitzen wir Deutsche auf einmal alle in einem Boot. Wir sind jetzt alle betroffen, und vielleicht ist das auch der historische Hintergrund. Jetzt ist der Druck da, das System kritisch zu hinterfragen. Und dafür ist meiner Meinung nach die "Dritte Generation Ostdeutschland" wunderbar geeignet, zu vereinen und zu fragen, wie kann es zusammen weitergehen. Das könnte wirklich eine Generation wie die 68er werden, die die Gesellschaft fragt, wie wollen wir gemeinsam unsere Zukunft gestalten. Die Krise könnte auch eine neue Identität stiften. In 20 Jahren werden ihre Kinder auch fragen, was habt ihr damals eigentlich während der Finanzkrise gemacht.

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