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Der Direktor des Potsdam-Institutes für Klimafolgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber.

© Soeren Stache/dpa

Interview mit Hans Joachim Schellnhuber: „Die Braunkohle ist am Ende“

Forscher Hans Joachim Schellnhuber spricht über den Klimawandel und die Chancen eines Umbaus der Wirtschaft.

Herr Schellnhuber, Sie haben eine beispiellose wissenschaftliche Karriere gemacht. Eigentlich könnten Sie mit großer Gelassenheit in den Ruhestand gehen …
Meine Antwort ergibt sich am besten aus einem Rückblick: Die mathematische Physik ist ein extrem hartes Brot – man braucht viel Talent und muss sehr arbeiten. Ich habe mir das Studium damals sicher nicht ausgesucht, um später ein ruhiges Leben zu führen. Vielmehr wollte ich mich an der Suche nach der wissenschaftlichen Wahrheit beteiligen, so pathetisch das klingen mag. Und diese Suche hört natürlich nicht einfach mit einem fiktiven bürokratischen Schlussstrich auf.

Sie sagen, dass die Menschheit sehenden Auges in die Katastrophe geht. Ist das nicht etwas übertrieben?

Ein Blick in die Erdgeschichte verdeutlicht vielleicht, was ich meine. Denn frühere geologische Epochenbrüche sind mit der heutigen Situation schlicht nicht mehr vergleichbar, darüber müssen wir uns im Klaren sein. An der Grenze zwischen Perm und Trias zum Beispiel erwärmte sich das Klimasystem um fünf Grad – aber über Zehntausende Jahre hinweg, also sehr viel langsamer als heute. Damals wurde dennoch die ganze Biosphäre umgekrempelt, unzählige Arten starben aus. Was heute – hundertmal rascher – geschieht, gleicht auf unserem überbevölkerten und übernutzten Planeten tatsächlich einem kollektiven Suizidversuch. Das mag drastisch klingen. Viele Jahre lang wurden wir Wissenschaftler am PIK mitunter sogar von Kollegen für einen angeblichen Alarmismus angegriffen. Diese Töne sind leiser geworden. Es breitet sich die Einsicht aus, dass es auch Aufgabe der Forschung ist, unser Wissen über erhebliche Risiken ungeschönt zu kommunizieren.

Ihrer Ansicht nach sollten wir die komplette Dekarbonisierung der Weltwirtschaft schnell auf den Weg bringen. Was wären die Vorteile?

Zusätzlich zur Klimastabilisierung können wir enorm viel gewinnen, wenn wir in eine Welt ohne fossile Energien eintreten. Seit der industriellen Revolution verfeuern wir Kohle, Öl und Gas und ermöglichen damit eine permanente Expansion von Produktion und Konsum. Und doch gibt es immer noch weltweit Hunger, Arbeitslosigkeit und Armut. Die notwendige Transformation zu einer sozial- und umweltverträglichen Gesellschaft sollten wir als Chance verstehen, eine bessere Moderne zu schaffen, die Kreisläufe schließt, regionale Ökonomien unterstützt, Landwirtschaft nachhaltig denkt – also mit dem Wirtschaften auf Kosten der Natur bricht. Spätestens nach der Finanzkrise stehen wir an einem Punkt, an dem niemand mehr wirklich weiß, wie es mit dem alten System weitergehen kann. Ein Systemwechsel ist also nicht nur dringend notwendig, er ist auch unabdingbar, um nachfolgenden Generationen ein gutes Leben zu ermöglichen. Das sind gleich zwei gewichtige Argumente, die hoffentlich auch Gehör in die Kohlekommission der Bundesregierung finden werden ...

... in der Sie Mitglied sind …

Allen Beteiligten und Betroffenen dort sollte eigentlich klar sein, dass die Epoche der Braunkohle unweigerlich zu Ende geht und ein Strukturwandel unvermeidbar ist. Es sei denn, man ignoriert alle Signale, bis der Letzte das Licht ausmacht. Wenn wir global das Pariser Abkommen tatsächlich umsetzen wollen, muss die Kohleverstromung 2030 enden.

Ihr Szenario für eine Lausitz ohne Kohle?

Die Lausitz steht leider unter den Braunkohleregionen vergleichsweise schlecht da, insbesondere was Lage und Infrastruktur angeht. Düster sieht es auch bei Investitionen in Forschung und Entwicklung aus. Deswegen würde man bei unveränderten Rahmenbedingungen die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit ohnehin irgendwann einbüßen. Also muss der Wandel kommen, aber so, dass Menschen vor Ort mit ihren Sorgen aufgefangen werden. Und es bedarf konkreter Hilfen: Neue erfolgversprechende Geschäftsmodelle müssen identifiziert werden, vor allem rund um erneuerbare Energien, Digitalisierung, ökologische Landwirtschaft, nachhaltigen Tourismus, Wiederbelebung der früher bemerkenswerten Kulturszene et cetera et cetera. Es gibt zahlreiche Innovationsmöglichkeiten im ländlichen Raum.

Inwiefern sehen Sie auch den Einzelnen in der Pflicht, wenn es um Klimaschutz geht?

Eine langsam, aber stetig ansteigende CO2-Steuer wäre natürlich eine wichtige Maßnahme, um einen solchen Wandel anzustoßen. Doch noch ist eine solche Steuer nicht in Sicht, jedenfalls nicht im überregionalen Maßstab. Jeder Einzelne kann jedoch schon heute Entscheidungen treffen, die einen deutlichen Unterschied bewirken. Etwa weniger fliegen, bei der Ernährung verstärkt auf Gemüse statt auf Fleisch setzen, klimafreundlich produzierte Produkte kaufen, usw. Das sind vor allem Entscheidungen, die sofort einen Effekt erzielen – ohne Gesetze und die Transformation ganzer Industriesektoren. Impulse aus der Öffentlichkeit können zudem auf die Politik einwirken und sie bestärken, das Problem endlich richtig anzugehen. Ein echter Wandel kann am Ende nur dann gelingen, wenn er von der Gesellschaft eingefordert wird.

Sie sagen, wegen des Klimawandels könnten weite Teile der Erde für den Menschen unbewohnbar werden. Warum?

Bei ungebremstem Klimawandel würden in manchen Weltgegenden Temperatur und Luftfeuchte in einem für den Menschen unerträglichen Maße zusammenwirken. Da geht es nicht ums Wohlfühlambiente, sondern um das nackte Überleben außerhalb klimatisierter Räume. Körperliche Arbeit auf dem Bau oder in der Landwirtschaft würde dann ganz unmöglich.

Welche Gebiete wären betroffen?

Traurige Ironie: Gerade einige der arabischen Öl-Länder, die mit der Ausbeutung der fossilen Ressourcen reich geworden sind, könnten aufgrund ihrer geografischen Lage und der örtlichen Gegebenheiten schwer betroffen sein. Das wird noch nicht in den nächsten Jahrzehnten geschehen, aber wenn wir weiter unvermindert Treibhausgase ausstoßen, wird irgendwann die Schwelle zum Unerträglichen dort und in vielen Tropenregionen überschritten. Der wirklich wichtige Teil in dieser Aussage ist aber: wenn wir weiter unvermindert Treibhausgase ausstoßen! Wir haben es also noch in der Hand. Wir können die Risiken begrenzen, wenn wir CO2-Emissionen rasch reduzieren.

Wie können Sie optimistisch bleiben?

Vielleicht liegt das an meinem Sportsgeist. Ich habe früher mit Begeisterung Fußball gespielt und Berge bestiegen. Herausforderungen nahm ich immer gerne an. Auf der anderen Seite ist es aber tatsächlich so, dass wir unserem Klimaschicksal nicht hilflos ausgeliefert sind. Wenn wir wollen, können wir uns aus unseren TV-Sesseln erheben und aktiv eine nachhaltige Zukunft gestalten. Erst wenn sich abzeichnen würde, dass alle kleinen und großen Möglichkeiten ungenutzt blieben und wir unseren Planeten schulterzuckend links liegen ließen – dann wäre ich auch persönlich niedergeschmettert. Aber heute bin ich weiter unverdrossen.

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