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Investigativer Journalismus braucht charakterstarke Leute, keine Verfolgertypen, findet Hans Leyendecker.

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Interview mit Hans Leyendecker: „Die Zeit der Einzelkämpfer ist vorbei“

Hans Leyendecker gilt als einer der renommiertesten investigativen Journalisten. Für ihn zählen Sorgfalt, Geduld und Charakter. Sonst werde Recherche schnell zu einer Jagd.

Die Panama Papers haben für Aufsehen gesorgt. Ihre bisherige Bilanz?

Die Leaks haben weltweit eine ganze Menge ausgelöst. Im kleinen Island beispielsweise sind 20.000 Leute auf die Straße gegangen, um gegen den Premierminister zu demonstrieren. Er hatte schließlich zunächst seinen Rücktritt angekündigt. In London kommt Premier Cameron unter Druck, in Buenos Aires ist das Echo enorm.  Bei der Fifa gab es den Rücktritt eines der Mitglieder der Ethikkommission. Am Tag der Berichterstattung über einen vom  heutigen Fifa-Präsidenten Infantino in seiner Zeit bei der Uefa unterschriebenen Vertrag durchsuchte die Berner Bundesanwaltschaft die Uefa-Zentrale wegen dieser Sache. Regierungen im Westen stehen unter Druck, Autokraten reagieren mit Zensur. Man könnte eine lange Liste machen, was die Berichte en detail in den achtzig Ländern ausgelöst haben, in denen Journalisten an diesem Projekt mitgearbeitet haben. Und es werden weitere Geschichten folgen. Wichtig vor allem ist: Die Welt diskutiert darüber, was die Steueroasen, die eine Geißel des Kapitals sind, alles anrichten.

Welche Bedeutung hat Investigativjournalismus für Deutschland?

Das hängt davon ab, wie er eingesetzt wird. Zu häufig gibt es ein Rennen um irgendeine Nachricht oder um Geschichten, die wie eine Nachricht klingen. Geschichten, die gesellschaftliche Missstände aufdecken, sind eher selten. Es ist ein Dilemma: Jeder will und muss eine Marke sein. Gleichzeitig möchte mancher irgendwie bei jeder Story dabei sein. Man aber muss unterscheiden was wichtig ist, und was nicht. Wenn dann Ranglisten erstellt werden, wer angeblich die meisten Exklusivgeschichten hatte, erfahren wir nicht, ob die Geschichten stimmten und ob sie auch wirklich exklusiv waren.

Die New York Times wollte zuerst nicht über die Panama Papers berichten, da die Redaktion die Infos nicht selbst überprüfen konnte.

Die Kollegen haben sich hinterher selbst korrigiert. Es ging um die Frage, warum die New York Times nicht Teil des Investigativteams war. Die Verifizierungsmöglichkeiten waren hier allerdings sehr gut, weil 400 Journalisten aus rund achtzig Ländern beteiligt waren. Es gab einen regen Austausch. Es ging ja auch um eine riesige Datenmenge.

Recherchebüros wie „Correctiv“ sehen Scoops allgemein eher kritisch. Sie wollen Geschichten machen, die für Menschen in ihrem Alltag wichtig sind.

Auf die Panama Papers trifft das nicht zu. Das sehen Sie zum Beispiel an Ländern wie Island, wo gerade der Premier zurückgetreten ist. Dort sind Bürger aufgestanden und haben gesagt: Das wollen wir nicht mehr! In Ländern wie China oder Russland herrscht keine Pressefreiheit. Da ist das Echo anders. 

In den USA sind viele Medienunternehmen gemeinnützig, etwa die Nachrichtenagentur AP. Ist das auch ein Modell für Deutschland?

Ich finde das ganz interessant. Man wird sehen, wie bedroht der Journalismus in Deutschland wirklich ist, und wie viel Unterstützung er durch solche Organisationen braucht. Das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv macht in Deutschland, soweit ich das beurteilen kann, eine gute Arbeit. Ich glaube, die Zeit der Einzelkämpfer ist vorbei. Es ist klug, sich zusammenzuschließen. Dann kann man mit mehr Schlagkraft und mehr Ideenreichtum an Geschichten herangehen.

Der Investigativjournalist - ein neues Berufsbild?

Auf dem Markt haben sie derzeit gute Chancen. Leider ist nicht alles, was so genannt wird,  wirklich echt. Auch Krawalljournalisten und  Verschwörungsjunkies geben sich gern investigativ. Am schlimmsten finde ich die „rasenden Verfolger“, die einfach nur irgendjemanden zu Fall bringen wollen.

Wie arbeitet denn ein guter Investigativjournalist?

Da gibt es unterschiedliche Typen. Man braucht in der Regel ein Netzwerk von Informanten, man muss etwas wissen, man muss was können, man muss zäh, geduldig und fleißig sein. Oft wird ja darüber diskutiert, ob man unter seinem Namen oder manchmal inkognito auftreten soll. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Journalist unter seinem Namen auftreten und sich zu erkennen geben muss. Da kann es schon mal  Ausnahmen geben, beispielsweise bei Fernsehreportagen über Missstände in der Fleischindustrie. Da lassen sich manche Geschichten nur verdeckt machen. Aber Im Regelfall gilt: Der Journalist arbeitet unter seinem Namen. Auf der anderen Seite sind Leute wie Günter Wallraff. Wallraff ist für mich eine literarische Figur. Ich schätze seine Arbeit sehr, er hat viel aufgedeckt. Aber seine Methoden würde ich anderen Journalisten nicht empfehlen.

Was macht er falsch?

Gar nichts. Schauen Sie sich seine Recherchen zu Griechenland an, oder seine „Hans Esser“-Geschichte über die „Bild“-Zeitung. Das waren großartige Geschichten, die für die Gesellschaft wichtig waren. Gleichwohl glaube ich nicht, dass wir dieses Muster auf den Journalismus generell übertragen sollten. Wallraff ist Wallraff. Ein eigenes System.

Einigen Journalisten wird vorgeworfen, die Grenze zum Aktivismus zu überschreiten.

Man muss sich immer auch fragen: Lasse ich mich instrumentalisieren, versuche ich, andere zu instrumentalisieren? Das ist kein Problem des Investigativjournalismus, sondern des Berufs an sich. Ich kenne Wirtschaftsjournalisten, Politikjournalisten, Sportjournalisten, die  eigentlich Aktivisten sind. Manchmal für eine angeblich gute, manchmal für eine anerkannt schlechte Sache. Aber Aktivismus gehört sich für Journalisten nicht.  

Viele Verlage gründen zur Zeit Investigativabteilungen. Warum dieser Boom?

Die Gründe sind sehr unterschiedlich. Die Modelle auch. Nicht in jedem Fall geht es den Akteuren um einen gründlichen, sorgfältigen Journalismus. Nicht selten handelt es sich um Marketing. Man möchte mit irgendeiner exklusiven Nachricht vorne sein.  Investigativjournalismus mag wichtig sein, aber es ist nur ein Feld unter vielen. Und es ist nicht einfach, dafür gute Leute zu finden und keine Leute, die andere fertig machen wollen. Nehmen Sie die Berichterstattung über Christian Wulff. Das war eine Jagd.

Der ehemalige Bundespräsident ist über die Finanzierung seines Eigenheims gestolpert. Sie hätten die Story nicht gemacht?

Wir haben ja auch berichtet, wir haben Fehler gemacht, aber Gott sei Dank waren sie nicht ganz so groß wie die Fehler anderer Blätter. Als wir nachher die Ermittlungsakten einsehen konnten, wurde uns klar, was das für ein wahnwitziges Ermittlungsverfahren war. Da haben Journalisten versucht, mit der Polizei gegen Wulff zusammenzuarbeiten. Da wurden den Behörden Hinweise gegeben: gehen Sie doch dieser Spur mal nach und rufen Sie mich an, wenn Sie etwas herausgefunden haben. Noch mal: Investigativer Journalismus braucht charakterstarke Leute, keine Verfolgertypen.

Das Gespräch führte Martin Niewendick.

HANS LEYENDECKER deckte zahlreiche politische Affären auf, darunter die CDU-Spendenaffäre um Kanzler Helmut Kohl. Er ist Leiter des Investigativressorts der „Süddeutschen Zeitung“.

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