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Interview mit Katrin Göring-Eckardt: "Bei den Piraten gibt es eine eher elitäre Beteiligung"

Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt über den Politikstil und die Sprache ihrer Partei, die Herausforderung durch die Piraten und eine mögliche Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl 2013.

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Frau Göring-Eckardt, wählen Ihre erwachsenen Söhne eigentlich noch die Grünen oder schon die Piraten?

Meine beiden Söhne sind engagierte Grünen-Mitglieder. Über die Piraten haben sie sich bisher eher aufgeregt.

Mit den Piraten verlieren die Grünen den Nimbus der Partei, die anders ist. Schadet Ihnen das nicht?

Nein. In der Umweltpolitik haben wir so viel Glaubwürdigkeit wie keine andere Partei auf irgendeinem anderen Themenfeld. Dadurch sind wir anders, in der Tat.

Die Piraten werben mit mehr Beteiligung. Wirken die Grünen da nicht altbacken?

Überhaupt nicht. Bei den Piraten gibt es eine eher elitäre Beteiligung. Wer mitmischen will, muss Zeit und Lust haben, am Computer zu sitzen, jede Äußerung sofort öffentlich machen und zur Not auch Shitstorms und Mobbing ertragen. Die meisten, die von politischen Entscheidungen betroffen sind, bleiben dabei völlig außen vor. Das machen die Grünen anders, etwa in Baden-Württemberg. Dort werden Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen aufgefordert, sich zu beteiligen. Das ist zwar anstrengend, aber menschlicher und direkter.

Kommen wir zur Bundestagswahl 2013: Die SPD träumt vom nächsten rot-grünen Projekt. Teilen Sie die Sehnsucht?

Wir träumen nicht, sondern arbeiten an der Ablösung dieser Regierung. Koalitionen, auch eine rot-grüne, sind keine romantischen Projekte, sondern Bündnisse zwischen politischen Konkurrenten, die sich für eine Wahlperiode auf gemeinsame Ziele verständigen. Wir sind gut beraten, uns nicht an die SPD zu ketten, sondern eigenständig in die Wahlkämpfe zu gehen und um Stimmen aus allen gesellschaftlichen Milieus zu werben.

Auf welche Wähler setzen Sie?

Wir müssen die Interessen unterschiedlicher Milieus und Generationen vereinen. Da geht es neben Umweltpolitik und Energiewende um die Sozialpolitik und eine nachhaltige Finanzpolitik, aber auch um den Umgang mit Neuen Medien. Wir sollten wertegebundene Wähler für die Grünen gewinnen, wie das in Baden-Württemberg gelang. Das ist etwas anderes als Konservative, die wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Wir wollen verändern.

Mit welchen Spitzenkandidaten könnten Sie diese Milieus ansprechen?

Die Grünen werden zuallererst wegen ihrer Inhalte gewählt und nicht wegen bestimmter Personen …

Es ist egal, wer im Wahlkampf vorne steht?

Nein, das ist nicht egal. Aber es ist auch nicht so wichtig, dass die Grünen andere Fragen darüber vernachlässigen könnten. Wichtig ist der Politikstil, mit dem wir auftreten. Es geht nicht darum, allen die Welt zu erklären oder vorzuschreiben, wie man leben soll. Es geht auch nicht darum, den politischen Gegner oder Mitbewerber vorzuführen, sondern zuerst zu sagen, was wir selber wollen. Es geht auch nicht darum, dass wir schon in jedem Fall wissen, wie es richtig ist, sondern zuerst einmal hören wir zu.

"Ehrliche Wahlanalyse muss sein."

Ist der gegenwärtige Politikstil der Grünen verbesserungsfähig?

Alles ist immer verbesserungsfähig. Wir müssen eine Sprache finden, die näher am Lebensalltag der Menschen ist.

Das müssen Sie uns bitte erklären.

Ich denke zum Beispiel an die Sozialpolitik. Da kann man über die Höhe des Hartz- IV-Regelsatzes reden. Ich frage lieber: Wie lebt eine Hartz-IV-Bezieherin eigentlich? Wir reden konkret über Wohnungen und Wohnviertel, über Geld für Kinokarten, über die Nutzung von Verkehrsmitteln und Stromkosten. Wir schauen auf den Alltag der Menschen, auf ihre Möglichkeiten und Perspektiven.

Gehört zu einem anderen Politikstil auch der Umgang der Grünen mit Parteifreunden – etwa mit Renate Künast nach ihrem Scheitern bei der Berlin-Wahl?

Ehrliche Wahlanalyse muss sein. Schade fand ich aber, dass wir Grünen selbst den Eindruck vermittelt haben, wir hätten in Berlin verloren. Wir haben 4,5 Prozent dazugewonnen. Es gab in dieser Debatte auch Äußerungen , die verletzend waren. Wir tun gut daran, uns nicht übereinander zu erheben.

Kommt Renate Künast noch als Spitzenkandidatin für 2013 infrage?

Renate Künast ist Fraktionsvorsitzende, sie ist eine unserer Spitzenfrauen.

Wann soll sie sich denn entscheiden?

Der Fahrplan zur Entscheidung über die Spitzenkandidaturen steht. Im September sehen wir weiter.

Manche Grüne wünschen sich, dass Sie neben Trittin Spitzenkandidatin werden.

Das weiß ich. Andere haben andere Vorstellungen.

Wann werden Sie sich erklären?

Noch einmal. Es gibt einen Verfahrensvorschlag des Bundesvorstands, die Frage der personellen Aufstellung zum 2. September zu entscheiden. So soll es auch sein.

Wir nehmen mit, dass Sie eine Kandidatur nicht ausschließen.

Das ist Ihre Interpretation. Ich bin mir sicher, dass wir eine überzeugende Aufstellung hinbekommen. Und das wird auch gelingen. Es geht ja zuerst mal nicht um einzelne Personen, sondern um ein gutes Wahlergebnis, mit dem wir viele unserer Inhalte auch umsetzen können.

Verkörpern Sie selbst den anderen, menschennäheren Politikstil, den Sie den Grünen empfehlen?
Ich hoffe, dass ich zu denen gehöre, die das können.

Wofür stehen Sie innerhalb der Grünen?

Ich stehe für eine Sozialpolitik, die sowohl Kinder wie auch die Ärmsten in den Blick nimmt, die, die draußen sind und die echte Lobby brauchen, auch in die Zukunft hinein. Ich stehe dafür, dass wir die Vielfalt nutzen und von Migrantinnen lernen. Ich will von den Erfahrungen profitieren, die Menschen gemacht haben, die gescheitert sind, zum Beispiel weil sie sich erfolglos selbstständig gemacht haben. Und ich plädiere für einen anderen Wachstumsbegriff. In diesem Zusammenhang müssen sich andere Werte nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Wirtschaft durchsetzen. Nicht etwa weil wir Wachstum ablehnen sollten. Aber wir dürfen und müssen schon fragen, welches Wachstum wir wollen.

Sie waren Fraktionschefin. Jetzt sind Sie Bundestags-Vizepräsidentin. Liegt Ihnen das Moderieren mehr als das Angreifen?

Zu meinem Politikstil gehört sicher, dass ich erst einmal zuhöre, bevor ich urteile. Aber ich streite auch gern, notfalls auch laut. Wer zum Beispiel mitten in der Krise mal eben 1,5 Milliarden Euro für das Betreuungsgeld verschleudert, weckt meine Angriffslust. Und zwar täglich neu.

"Claudia Roth hat leidenschaftliche Fans."

Darf Politik verletzend sein – etwa der Begriff Herdprämie für das Betreuungsgeld?

Menschen, die für die Betreuung ihrer kleinen Kinder gern und freiwillig zu Hause bleiben, empfinden den Begriff mitunter verletzend. Ich verwende ihn daher nicht.

Bei Ihrer Warnung vor überzogenen Attacken müssen wir an Claudia Roth denken. Meinten Sie damit die Parteichefin?

Nein. Claudia Roth hat keinen überzogenen Konfrontationsstil, sondern eine eigene Sprache. Sie hat leidenschaftliche Fans, weil sie leidenschaftlich für die Sache kämpft. Sie kann zuhören und Probleme aufnehmen wie nicht viele andere Politikerinnen.

Was halten Sie von der Idee einer Urwahl der Spitzenkandidaten?

Ich beobachte hierzu in den Landesverbänden einiges an Skepsis. Das kann ich gut verstehen. Der Wunsch ist bei vielen stark, jetzt vor allem über Inhalte in die Offensive zu kommen und hierüber mitzubestimmen.

Bedeutet Grün für Sie eigentlich nur Politik oder auch Lebenskultur?

Ich persönlich finde es stressfreier, Zug zu fahren als Auto. Und wenn Auto sein muss, dann bei mir lieber ein kleines. Auch das strengt weniger an, weil es eben eher ein Gebrauchsgegenstand ist. Ich genieße gutes Essen und das sind eben jetzt Erdbeeren von nebenan und nicht an Weihnachten, da schmecken sie eh nicht. Und dass faire Bedingungen für Kaffeebauern etwas mit meinem Genuss zu tun haben, ist eine Einsicht, die ich gern achte.

Lautet Ihre Botschaft: Man kann auch mit weniger genießen?

Meine Botschaft heißt: Man kann mit weniger mehr genießen! Oder kennen sie jemanden, der ein Zehn-Gänge-Menü als Lieblingsessen hat?

Das Gespräch führten Cordula Eubel und Hans Monath. Das Foto machte Doris Spiekermann-Klaas.

POLITIKERIN

Katrin Göring-Eckardt (46) ist seit 2005 Vizepräsidentin des Bundestags. Zuvor leitete sie als eine von zwei Vorsitzenden die

Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

CHRISTIN

Die Thüringerin studierte vor der Wende in Leipzig Theologie, schloss das Studium aber nicht ab. Die mit einem Pfarrer verheiratete Politikerin, die gern von werteorientierter Politik spricht, ist Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland.

ANWÄRTERIN

Nach dem Rücktritt von Christian Wulff als Bundespräsident galt die Politikerin als mögliche Nachfolgrerin. Auch bei der Suche nach einer Spitzenkandidatin der Grünen für 2013 neben Jürgen Trittin wird ihr Name häufig genannt.

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