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Bsiky

© Thilo Rückeis

Interview mit Lothar Bisky: "Die Feindseligkeit ist unbegründet"

Linkspartei-Chef Lothar Bisky spricht mit dem Tagesspiegel über eine Annäherung an die SPD, Kritik an Lafontaine – und Ruhe vor der Politik.

Herr Bisky, in diesem Jahr jährt sich der Mauerfall zum 20. Mal. Muss sich die Linkspartei 2009 ihrer eigenen Geschichte neu bewusst werden?


Geschichte kann man nicht aufarbeiten und dann zur Seite legen. Deshalb begleitet uns die kritische Auseinandersetzung mit der DDR von Anfang an und wird uns auf längere Sicht beschäftigen. Zumal es ja auch neue Generationen gibt, die einen ganz anderen Bezug zum Thema haben.

Gibt es nicht gerade im Westen Linke, die mit der SED-Geschichte nichts mehr zu tun haben wollen?

Das mag sein. Ich kann niemanden zwingen, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Wir Ossis müssen uns auch mit den historischen Bewegungen im Westen auseinandersetzen. Da ist ja nach 1968 einiges passiert. Umgekehrt wäre es gut, wenn man in Westdeutschland die DDR etwas differenzierter sieht als das Geschichtsbild, dass das Konrad-Adenauer- Haus propagiert. Gesamtdeutsch wird man nicht durch Beschluss, sondern nur durch Austausch von Erfahrungen.

Rechnen Sie im Wahljahr mit einer neuen Rote-Socken-Kampagne, so ähnlich, wie sie 1994 der damalige CDU-Generalsekretär Peter Hintze gegen die PDS geführt hat?

Peter Hintze ist allgegenwärtig, er kriecht überall hervor – und das Schöne ist, dass er wirkungslos bleibt.

Solche Debatten verfangen überhaupt nicht mehr?

Diese plumpe Art, die an SED-Geschichtspropaganda erinnert, kommt nicht an. Eine differenzierte, auch deutliche Auseinandersetzung, das geht in Ordnung. Aber einfach zu sagen, im Westen gibt es nur weiße Schwäne und alle schwarzen Schafe kommen aus dem Osten, ist einfältig und blöd. Halten wir mal fest: Im Osten kennen uns die Leute, und wir haben gute Chancen, dort in diesem Jahr stärkste Partei zu werden.

Wo sehen Sie im Wahljahr 2009 Chancen auf eine Regierungsbeteiligung?

Zum Beispiel in Thüringen und im Saarland. Ich kann nicht glauben, dass die Sozialdemokraten am Ende keinen linken Ministerpräsidenten akzeptieren und lieber Anhängsel der CDU werden. Das wäre albern. Ich kann mich außerdem gut erinnern, wie Reinhard Höppner 1994 am Wahlabend in Sachsen-Anhalt erklärte, dass er nicht mit der PDS zusammenarbeiten wird. Um Mitternacht erhielten wir einen ersten Anruf. Und dann bezweifle ich natürlich, dass Matthias Platzeck in Brandenburg noch große Lust hat, weiter mit der CDU zu regieren.

SPD-Chef Franz Müntefering wirft Ihrer Partei „nationale soziale Politik“ vor. Was halten Sie davon?

Das ist eine Entgleisung. Ich hätte Franz Müntefering nie zugetraut, so tief zu sinken. Das war unter der Gürtellinie.

SPD und Linkspartei haben ein schwieriges Verhältnis zueinander. Sehen Sie es als Aufgabe an, für eine Annäherung zu sorgen?

Ja. Ich halte es für historisch erforderlich, dass sich die Linke und die SPD in einer vernünftigen Weise mit ihrer Geschichte befassen – und dann versuchen, abzuklopfen, was man gemeinsam durchsetzen kann. Das geschieht auf Landesebene in Berlin, das war der Fall in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt. Das geschieht in vielen Städten und Gemeinden, und so ist es vernünftig. Die Bundespolitik kann von den klugen Kommunalpolitikern noch viel lernen.

Für wie lernfähig halten Sie die Bundes- SPD?

Die Feindseligkeit der SPD-Führung ist unbegründet. Das Nichtverhältnis zwischen unseren beiden Parteien auf Bundesebene hat viel mit Scheuklappen und wenig mit Denkleistung zu tun. Das ist das Problem.

Wäre nicht ohne Oskar Lafontaine eine Entkrampfung deutlich leichter?

Wo leben wir denn? Lafontaine hat sich frei entschieden.

Er war Parteivorsitzender der SPD.

Ja, und? Die Sozialdemokratie hat sich verändert, nicht Lafontaine. Ich habe seine Bücher gelesen, er ist bei seinen Ansichten geblieben. Wenn die Sozialdemokratie darüber erschrocken ist, ist das ihr Problem. Die SPD muss endlich weg von der Arroganz, mit der sie sagt, wir bestimmen, ab wann die Linke verhandlungswürdig ist.

In der Finanzkrise laufen die Wähler der FDP zu, während die Linke überhaupt nicht profitiert. Woran liegt das?

Ich finde das unlogisch. Die Hohepriester des Neoliberalismus, die die Bankenkrise ideologisch herbeigebetet haben, sind jetzt die Profiteure der Finanzkrise.

Der FDP trauen die Wähler Wirtschaftskompetenz zu, im Gegensatz zur Linken.

Mit Vernunft hat das nichts zu tun. Die FDP sagt: Steuern runter, weg mit dem Staat, nur der Markt kann es richten. Diese Thesen werden im Moment gerade ad absurdum geführt.

Warum traut man der Linken keine Wirtschaftskompetenz zu?

Wir sind die Partei des Sozialen. Und im Westen wird die Linke immer noch mit einer gewissen Skepsis beäugt. Da hilft es im Moment auch wenig, wenn wir auf die erfolgreiche Arbeit unseres Berliner Wirtschaftssenators verweisen, oder auf unsere wirtschaftlich erfolgreichen Bürgermeister in den ostdeutschen Kommunen.

Ihr Kovorsitzender Lafontaine sagt, wenn die Leute erst einmal ihre Jobs verlieren, wenden sie sich auch wieder der Linken zu.

Fakt ist, die große Koalition hat versagt. Das heißt nicht, dass die Linke automatisch gewinnt, wenn es den Leuten schlechter geht. In Wirtschaftskrisen hat die Linke noch nie profitiert. Dabei war es die Linke, die frühzeitig eine Regulierung der Finanzmärkte gefordert und als Erste ein Konjunkturprogramm vorgeschlagen hat.

Herr Bisky, Ihr Kandidat für die Bundespräsidentenwahlen, Peter Sodann, ist nicht sonderlich gut angekommen. Haben Sie den Schauspieler und Theatermann mit der Berufung überfordert?

Peter Sodann ist ein Mann, der uns gut zu Gesicht steht. Vielleicht war nicht jeder Medienauftritt perfekt. Aber dass er ungewöhnlich denkt und unbequem ist, wussten wir vorher. Sodann ist eine Querdenkerinstitution. Gerade deswegen schätze ich ihn.

Die SPD-Kandidatin Gesine Schwan zählt in der Bundesversammlung auf die Stimmen der Linken im dritten Wahlgang. Können Sie ihr die garantieren?

Ich gehe davon aus, dass Gesine Schwan schon im ersten Wahlgang um die SPD-Stimmen bangen muss. Ihr größtes Problem ist doch die eigene Partei.

Zu Ihrer Partei: In den vergangenen Wochen war viel von Quertreibern die Rede, die einen nannten sie „Spinner“, die anderen sprachen von „lustigen Vögeln“. Beim West-Aufbau hapert es ganz schön?

Begriffe wie „Spinner“ …

… immerhin Gysi hat das so gesagt …

… aber anders gemeint, gehören nicht zu meiner Ausdrucksweise. Ich gehöre nicht zu denen, die amateursoziologische Theorien aufstellen und die Mitgliedschaft unentwegt in Gruppen einsortieren.

Gysi sagt, gegen Mitglieder, die der Linken schaden wollen, müsse offensiver vorgegangen werden. Die PDS war mit Blick auf die SED-Geschichte sehr zurückhaltend, wenn es um Parteiausschlussverfahren ging. Tragen Sie den neuen Kurs mit?

Das Statut kennt die Möglichkeit eines Ausschlusses. Aber das bleibt der extreme Einzelfall. Säuberungen sind immer verheerend gewesen, sie bringen nur Ärger und Verdruss. Sie haben immer auch Unschuldige getroffen. Ich bin der Wende 1989 in einem Punkt richtig verbunden: Sie hat uns von diesem Blödsinn der innerparteilichen Feindbilderproduktion befreit.

Herr Bisky, Sie selbst haben keine großen Karriereabsichten mehr. Verliert die Linkspartei an Balance, wenn ihr ab 2010 Lafontaine allein vorsteht?

Nein. Die Linkspartei besteht nicht nur aus Vorsitzenden. Sie hat genug Widerstandsgeist, um zwei Vorsitzende jetzt oder auch künftig nur einen abzubürsten. Wer das sein wird, entscheidet ein Parteitag. Lafontaine ist Demokrat. Er kann damit umgehen, dass ihm auch mal widersprochen wird.

André Brie hat ihm widersprochen – jetzt fliegt er aus dem Europaparlament.

Das ist Unfug. Brie kann auf dem Bundesparteitag in zwei Wochen in Essen kandidieren wie jeder andere. André Brie hat historische Verdienste um die PDS und um die Linke. Von ihm übrigens stammt die Idee, mit Lafontaine zusammenzugehen. Da war er der Erste. Damals war ich noch zögerlich, weil ich mit der PDS genug zu tun hatte.

Als die Linke 2005 wieder in Fraktionsstärke in den Bundestag einzog, wünschten Sie sich von Ihrer Partei „endlich Ruhe“. Bekommen Sie die, wenn Sie im Juni als Spitzenkandidat der Linken ins Europaparlament gewählt werden?

Als ich 2003 noch einmal den Parteivorsitz übernommen habe, musste ich meine Professur an den Nagel hängen. Dann kam die Fusion zur neuen Linkspartei und hat ihre Zeit gebraucht. Bis 2010 bleibe ich Parteichef. Ich will mich ja nicht davonstehlen. Nach Europa will ich gehen, weil mir Europapolitik Spaß macht. Ich bin ja auch Vorsitzender der Europäischen Linkspartei. Für mich ist das keine Arbeit, sondern eine vergnügliche Aufgabe bis zum Abgang aus der Politik.

Das Gespräch führten Cordula Eubel und Matthias Meisner.

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