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Wer darf kommen, wer bleiben? Das versucht die Bundesregierung im neuen Einwanderungsgesetz zu definieren.

© C. Hardt/imago

Interview mit Migrationsexperten: "Der Ruf Deutschlands ist nicht der beste"

Der Soziologe Franck Düvell ist Experte für illegale und Hochqualifizierten-Migration. Das geplante Einwanderungsgesetz sieht er mit gemischten Gefühlen.

Herr Düvell, bisher sind es nur Eckpunkte. Dennoch: Was halten Sie vom geplanten Einwanderungsgesetz?

Der erste Eindruck ist ganz positiv. Man kann den Entwurf aber nicht lesen, ohne sofort den politischen Kontext mitzudenken. Und ich weiß nicht, ob die Autorinnen und Autoren den genügend berücksichtigt haben.

Der wäre?

Deutschland steht in einer weltweiten Konkurrenz um qualifizierte Arbeitskräfte. Alle Industriestaaten sind überaltert und brauchen Nachwuchs. Wer migrieren will, hat folglich Auswahl. Und die Leute stehen derzeit nicht gerade Schlange vor den deutschen Grenzen.

Woran lesen Sie das ab?

Allein auf der Website der Bundesregierung "Make it in Germany" stehen 709.000 offene Stellen für Arbeitsmigranten. Das heißt, wir haben eine enorme Kluft zwischen Angebot und Nachfrage. Alle Welt spricht englisch, aber kaum jemand deutsch, die Gehälter in Großbritannien oder Kanada sind höher und die Steuern geringer - das ist für ältere Migranten kein Problem, aber gerade jüngere schauen eher danach, was ihnen in der Tasche bleibt. Wenn wir da bestehen wollen, muss Deutschland konkurrenzfähiger sein als andere.

Franck Düvell leitet die Migrationsabteilung des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung in Berlin. Zuvor hat er lange am renommierten Center on Migration, Policy, and Society (COMPAS) der Universität Oxford gearbeitet.
Franck Düvell leitet die Migrationsabteilung des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung in Berlin. Zuvor hat er lange am renommierten Center on Migration, Policy, and Society (COMPAS) der Universität Oxford gearbeitet.

© privat

Wie ließe sich das aus Ihrer Sicht erreichen?

Qualifizierte Menschen, die migrieren wollen, fragen sich: Wie sicher ist mein Aufenthaltsstatus dort, dürfen meine Angehörigen, Ehepartnerin oder Partner von Anfang an arbeiten oder müssen sie warten? Das ist ein wichtiges Kriterium für die Entscheidung, aber noch unklar in den Eckpunkten. Wenn die Antworten für Deutschland nicht positiv ausfallen, ziehen die Leute lieber nach Vancouver oder London. Und dann ist der Ruf Deutschlands auch nicht der beste: Man weiß im Ausland über Rassismus und Diskriminierung, die Bilder der brennenden Asylbewerberheime wirken nach, auch wenn die Ereignisse schon etwas zurückliegen. Für ein deutsches Einwanderungsgesetz kann das bedeuten, dass, was auf dem Papier ganz gut aussieht, womöglich keine Chance in der Wirklichkeit haben wird.

Stimmt die Richtung denn sonst?

Einiges in den Eckpunkten ist realitätsfremd, so zum Beispiel die Trennung von Erwerbs- und Fluchtmigration. Die Motive sind oft gemischt, das wissen wir aus der Forschung. Sicher leben zu wollen und eine gute Arbeit zu haben, sind schließlich keine Wünsche, die einander ausschließen. Und es ist diskriminierend, wenn für eigentlich willkommene Arbeitsmigranten auf Jahre erst einmal kategorisch ausgeschlossen wird, dass sie Sozialleistungen erhalten. Was soll jemand tun, der kurzfristig arbeitslos wird? Kann er wenigstens das Land verlassen und dann wiederkommen? Wirklichkeitsfern ist auch die Ausgrenzung von Ungebildeten. Für ihre Arbeit gibt es ebenfalls Nachfrage, wenn man sie ausschließt, drängt man sie in die illegale Migration ab. Insofern sind die Eckpunkte der Koalition zum Teil geprägt von altem Denken, vom Geist konservativer Migrationsskepsis der 1960er und 70er Jahre. Dabei haben sich die Zeiten massiv geändert.

Sie sprachen den Abstand zwischen Papier und Wirklichkeit schon an. Viele Betroffene klagen auch darüber, dass sie trotz guter Qualifikation praktisch keine Chance haben, an ein Visum für Deutschland zu kommen, wenn sie aus dem "falschen" Teil der Welt kommen, zum Beispiel aus Afrika südlich der Sahara.

Das ist in der Tat ein sehr enges Nadelöhr. Es genügt sich anzusehen, dass die Ablehnungsquote von Visa-Anträgen EU-weit bei 50 Prozent liegt, im Falle der Ukraine vor der Visaliberalisierung aber nur bei einem Prozent. Da liegt der Verdacht nahe, dass Staatsangehörige bestimmter Länder unabhängig von ihrer Qualifikation unter Generalverdacht stehen, dass ihre Motive grundsätzlich nicht für glaubhaft gehalten werden, dass man von vornherein davon ausgeht, dass etwas nicht stimmt. Wenn das Gesetz also kommt, wird es damit stehen und fallen, wie Arbeitsagenturen, Botschaften, Konsulate und ihre Visaabteilungen es umsetzen, ob man dort an der Öffnung Deutschlands mitwirken will oder ob der Geist der 60er weiterwirkt. Die Regierung wird also etwas dafür tun müssen - mit Kursen, Aufklärung, Schulung - , dass von oben nach unten eine Art Aufbruchstimmung weitergegeben wird. Wenn man auf der Ebene der Durchsetzung nicht erfolgreich ist, nützen viele schöne Gesetze einfach nichts.

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