zum Hauptinhalt

Interview mit Rainer Brüderle: "Schwarz-Gelb wird nur bestehen, wenn spürbar wird, dass wir uns mögen"

FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle über die Rettung des Euro, die Existenzkrise seiner Partei und die Erwartungen der Wähler an ein bürgerliches Regierungsbündnis.

Von

Herr Brüderle, wann haben Sie zuletzt mit Hans-Dietrich Genscher gesprochen?

Wir sprechen regelmäßig miteinander.

Genscher ist offenbar in Sorge, dass die FDP sein europapolitisches Erbe verspielt.

Vertrauensvolle Gespräche zeichnen sich dadurch aus, dass ihr Inhalt vertraulich bleibt.

Dann lassen Sie uns so fragen: Wo verläuft die Trennlinie zwischen berechtigter Skepsis gegenüber ausufernden Hilfen für europäische Schuldenländer und der Instrumentalisierung von Ressentiments gegen Europa?

Für die FDP ist Europa Staatsraison. Das ist eine Frage, die sich aus unserer Geschichte ergibt. Deutschland darf sich nie wieder isolieren. Jetzt geht es darum, Europa vernünftig und vor allem marktwirtschaftlich zu entwickeln. Dazu wird es Anfang des nächsten Jahres den Stabilitätspakt II mit dem dauerhaften Rettungsmechanismus ESM geben. Die Partei Hans-Dietrich Genschers wird für diesen Prozess gebraucht, an ihrem europapolitischen Kurs gibt es keinen Zweifel.

Der Anti-Euro-Wahlkampf der FDP in Berlin hat aber sehr wohl Zweifel an der europapolitischen Zuverlässigkeit Ihrer Partei geweckt.

Für den Wahlkampf in Berlin war die Berliner FDP verantwortlich. An der Grundorientierung der gesamten Partei ändert das nichts: Europa ja, aber mit klareren Regeln.

Aber Ihr Parteichef Philipp Rösler hat den Anti-Euro-Wahlkampf doch zumindest billigend in Kauf genommen.

Unsere Kreis- und Landesverbände sind eigenständig und entscheiden autonom, wie sie ihren Wahlkampf führen. Wir sind keine Kaderpartei.

Entspringt die vom FDP-Finanzexperten Frank Schäffler angestrebte Mitgliederbefragung zum dauerhaften Euro-Schirm ESM einer gesunden Skepsis oder ist sie bereits antieuropäisch?

Frank Schäfflers Analyse der Situation teile ich sogar in Teilen, aber er bietet keinen Lösungsansatz. Deshalb bin ich sicher, dass es eine breite Mehrheit für den Gegenantrag der Parteiführung geben wird, in dem wir einen Lösungsvorschlag anbieten werden.

Bei der Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm EFSF am Donnerstag hat die schwarz-gelbe Koalition einen Sieg davongetragen. War das der Auftakt für einen Neustart?

Wir haben den EFSF II mit einer satten Kanzlermehrheit beschlossen. Das zeigt, dass die Regierung handlungsfähig ist. Wir haben alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche zweite Hälfte der Legislaturperiode. Hohe Wachstumsraten, niedrige Arbeitslosigkeit: Das Land ist in einem sehr guten Zustand. Unsere Halbzeitbilanz kann sich sehen lassen …

… was die Wähler bisher aber nicht honorieren. Was wollen Sie tun, damit diese Koalition 2013 überhaupt noch eine Chance hat, vom Souverän bestätigt zu werden?

Die nächsten Wahlen finden 2013 statt. Wir müssen in der zweiten Hälfte nach außen geschlossen auftreten und weiter Teamgeist zeigen. Dazu gehört auch, dass wir einander mehr zuhören und vertrauen. Wir werden vor den Menschen nur bestehen, wenn auch nach Außen spürbarer wird, dass wir uns selbst als bürgerliches Bündnis mögen. Nehmen Sie das Verhältnis zwischen Wolfgang Schäuble und der FDP. Natürlich gibt es in der Zusammenarbeit gewisse Diskussionspunkte. Das ist auch zwischen Koalitionspartnern normal. Dennoch brauchen wir Vertrauen zueinander, um so schwierige Aufgaben wie die Euro-Stabilisierung gemeinsam meistern zu können. Der Finanzminister ist ein ehrenwerter Politiker, der mit viel Umsicht und politischem Weitblick die europäische Sache vorantreibt. Dabei hat er die FDP an seiner Seite.

Ist eigentlich allen Beteiligten bewusst, dass Schwarz-Gelb mit der Euro-Rettung vor einer historischen Aufgabe steht?

Die Antwort lesen Sie auf der nächsten Seite.

Das hoffe ich sehr! Wir dürfen nicht vergessen: An den entscheidenden Wegmarken dieser Republik gab es bürgerliche Koalitionen. Das ist ein Auftrag an uns. Denn auch jetzt stehen wir an einer solchen Wegmarke. Denken Sie nur, Deutschland würde jetzt von Rot-Grün regiert: Dann hätten wir mit Sicherheit schon Euro-Bonds und würden für die Schulden ganz Europas einstehen.

Die Akzeptanz in der Bevölkerung für Europa und die Euro-Rettung würde wahrscheinlich steigen, wenn die Banken einen größeren Beitrag leisten müssten. Warum wehrt sich die FDP so vehement gegen die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, notfalls begrenzt auf die Euro-Zone?

Ich warne davor, das Problem nur scheinbar zu lösen. Es ist eine Illusion zu glauben, mit einer solchen Steuer würde der Finanzsektor massiv an den Kosten der Finanzmarktkrise beteiligt. Die Steuer ist nichts anderes als eine Umsatzsteuer auf Finanztransaktionen. Und die Umsatzsteuer zahlen die Kunden, nicht die Banken. Durch die Einführung einer solchen Steuer könnte das Volumen der Marktaktivitäten eingeschränkt werden – das wäre gut. Allerdings ist meine Sorge, dass sich das Geschäft einfach einen anderen Platz suchen wird, nämlich London, wenn wir die Steuer nur auf die Euro-Zone begrenzt einführen. Deshalb drängen wir darauf, dass die Steuer mindestens in ganz Europa eingeführt werden muss. Sonst bleibt der gewünschte Effekt aus.

Wolfgang Schäuble würde sagen: Manchmal muss einer vorangehen, damit es Bewegung gibt.

Ich sage: Jeder muss sich an der Regulierung der Finanzmärkte beteiligen. Auch Großbritannien muss sich solidarisch zeigen. Es kann nicht sein, dass Deutschland zur Bewältigung der Krisen Maßnahmen ergreift, die auch im Land unpopulär sind, andere Regierungen dazu jedoch nicht bereit sind.

Herr Brüderle, kann es sein, dass der tiefere Grund für den Niedergang der FDP darin liegt, dass die Bürger in Krisenzeiten auf einen starken Staat setzen?

Richtig ist: Mit der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise haben die Menschen begonnen, ihre Prioritäten zu verschieben. Allgemein, in dem sie nun mehr Sicherheit suchen beim Staat. Und konkret, weil die Wähler nun mehr auf Haushaltskonsolidierung setzen als auf ihre eigene Entlastung.

Also muss sich die FDP vom Steuersenkungsmantra verabschieden?

Vorrang hat für uns die Haushaltskonsolidierung, aber das Thema bleibt natürlich auf der Tagesordnung. Wenn Arbeitnehmer Brutto 100 Euro mehr verdienen und damit automatisch durch die kalte Progression etwa 65 Euro mehr Belastung in Kauf nehmen müssen, dann ist das eine Frage der Belastungsgerechtigkeit und muss unserer Auffassung nach geändert werden. Wir haben allerdings vereinbart, diese Frage erst nach der Vorlage der Wachstumszahlen und Steuerprojektionen für die nächsten Jahre konkret zu diskutieren.

"Jammern hilft nicht." Lesen Sie weiter auf der letzten Seite.

Philipp Rösler ist seit Mai FDP-Chef. Was hat er seitdem erreicht?

Er hat einen ganz eigenen, modernen Politikstil. Philipp Rösler ist dialogorientiert und offen. Er setzt auf Teamarbeit.

Inzwischen steht die FDP in Umfragen bei zwei Prozent. Hat das nichts mit dem Parteivorsitzenden zu tun?

Die FDP ist in einer schwierigen Lage. Aber wir wussten auch im Mai schon, dass sich das kurzfristig nicht ändern wird. Die Schuld bei einem Einzelnen zu suchen, ist daher unfair. Ich gebe zu: Dass es so schwer würde, hätte ich auch nicht erwartet. Aber zu jammern hilft nicht. Jetzt müssen wir alle gemeinsam dafür arbeiten, dass es besser wird. Glaubwürdigkeit und Vertrauen schafft man nur durch beharrliche Arbeit.

Anders als Rösler verfügen Sie über jahrzehntelange Erfahrung in der Politik. Wie wollen Sie die für die FDP nutzbar machen?

Als Fraktionsvorsitzender will ich der Parteiführung als stabilisierender Faktor Unterstützung geben. Nur gemeinsam werden wir das Ruder herumreißen.

Stehen Sie im Notfall bereit, das Amt des Parteichefs zu übernehmen, wie vergangene Woche berichtet wurde?

Ich habe mit Verwunderung gelesen, dass ich das so etwa gesagt haben soll. Völliger Blödsinn. Mein Interesse ist es, Philipp Rösler zu unterstützen. Das Letzte, was die FDP jetzt gebrauchen kann, ist eine neue Führungs- und Personaldebatte.

2009 hat die FDP mit 14,6 Prozent den größten Wahlsieg ihrer Geschichte errungen. Kann das noch die Messlatte für 2013 sein?

Was auch immer ich jetzt sage: Es wird vermessen klingen. Aber man darf nicht vergessen, dass Veränderungen im Wählerverhalten manchmal sehr rasch gehen. Unser Ziel ist es, 2013 eine Fortsetzung der schwarz-gelben bürgerlichen Politik zu sichern. Und dafür wollen wir natürlich noch einige Prozent zulegen.

Das Interview führten Stephan Haselberger und Antje Sirleschtov. Das Foto machte Paul Zinken.

Geboren wurde Rainer Brüderle am 22. Juni 1945 in Berlin, zu Hause ist er in Mainz – und einen Großteil seines politischen Lebens hat er in Rheinland-Pfalz zugebracht. Der Diplom-Volkswirt Brüderle ist seit bald vier Jahrzehnten FDP-Mitglied: 1973 trat er den Liberalen bei, denen er in unterschiedlichsten Ämtern diente. Seit Mai 2011 ist er Fraktionsvorsitzender im Bundestag. Außenminister Westerwelle ist angeschlagen. Parteichef Rösler hat noch Anlaufschwierigkeiten in seinem neuen Amt, Generalsekretär Lindner erscheint vielen zu Höherem berufen, aber noch zu jung – und so kann der Mann, über den früher gern gespottet wurde, sein größtes Talent bestehe im Küssen von Weinköniginnen, sich plötzlich im Glanze leidlich guter persönlicher Umfragewerte sonnen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false