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Grüne Claudia Roth: "Ich bin ein Wahlkampf-Junkie"

© Thilo Rückeis

Interview mit scheidender Grünen-Chefin Claudia Roth: „Der Veggie-Day hat uns nicht gut getan“

Die Grünen-Chefin Claudia Roth räumt den Vorsitz. Im Interview spricht sie über ihren Abschied und die Gründe für die Wahlniederlage: Es lag an der "preußischen Genauigkeit".

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Frau Roth, Sie waren mehr als elf Jahre Grünen-Vorsitzende. Wird Ihnen etwas fehlen, wenn Sie auf dem Parteitag am Wochenende Ihr Amt abgeben?

Natürlich wird mir etwas fehlen. Ich werde bestimmt Phantomschmerzen spüren. Wenn ich am Wochenende nicht mehr von morgens bis abends Termine habe, wird sich das bestimmt erst mal komisch anfühlen. Aber ich verlasse die Partei ja nicht.

Haben Sie manchmal das Gefühl, sich für die Grünen aufgeopfert zu haben?

Nein. Mich hat ja niemand gezwungen. Ich bin ein richtiger Wahlkampf-Junkie. In diesem Sommer habe ich 21.600 Kilometer in meinem Wahlkampfbus zurückgelegt. Klar ist das anstrengend, über die Jahre merkt man die Zipperlein. Aber es hat sich auch eine richtige Liebe zu den Menschen in dieser Partei entwickelt. Ich habe immer so viel getan, wie ich nur irgend konnte. Meine Oma hat immer gesagt: Mir kann es doch gar nicht gut gehen, wenn es meinem Nächsten schlecht geht. Und so ist es bei mir auch: Es geht mir nicht gut, wenn Flüchtlinge in den Hungerstreik treten wie jetzt auf dem Pariser Platz.

Was war die schwierigste Entscheidung, die Sie als Parteichefin treffen mussten?

Da gab es viele. Eine der schwersten war die Entscheidung, als Grüne den Militäreinsatz gegen Afghanistan mitzutragen. Vor dem Parteitag habe ich eine ganze Nacht an meiner Rede gesessen und mich gefragt, ob ich den Gegenwind durchhalten kann. An dem Tag hatte die „taz“ auf ihrer Titelseite ein Foto von mir im Abendkleid und darüber die Überschrift: „Die Gurke des Jahres“. Das hatten die Delegierten alle auf ihrem Tisch liegen, als ich meine Rede gehalten habe.

Haben Sie mal einen richtig dicken Fehler gemacht?

Bestimmt. Das gehört dazu. Ich hätte auch an manchen Stellen noch vehementer für Positionen kämpfen können, von denen ich überzeugt war. Und natürlich habe ich mich auch nach dieser Bundestagswahl gefragt, was ich falsch gemacht habe. Und da trage ich natürlich auch meinen Anteil dran.

Wann haben Sie im Wahlkampf gemerkt, dass etwas schief läuft?

Mir fällt es schwer, diesen Wahlkampf nüchtern zu betrachten. Im August ist meine Mutter gestorben. Da habe ich gemerkt, dass es nicht gut ist, wenn eine Arbeit einen so besetzt. Ich habe den für mich wichtigsten Menschen verloren, hatte aber keinen richtigen Raum für Trauer. Am Tag nach der Beerdigung habe ich versucht, wieder für die Grünen zu werben. Das ist mir ungeheuer schwergefallen. Deshalb unterteile ich emotional den Wahlkampf in vorher und nachher. Wenn ich versuche, den Wahlkampf unabhängig davon zu beurteilen, muss ich sagen, dass wir immer stärker in die Defensive geraten sind.

Woran lag das?

Nach dem Fernseh-Duell zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück saßen wir Grüne nur noch am Katzentisch. Mit dem Veggie Day kam dann der Versuch, uns in eine Verbotsecke zu stellen. Das hat uns nicht gut getan, ebenso wie die Pädophilie-Debatte. Mir ist das nicht offen begegnet, die Leute haben sich nicht getraut, das Thema anzusprechen. Aber es hat in der letzten Woche auch unsere eigenen Wahlkämpfer völlig irritiert und auch demobilisiert. Selbst die Jüngeren in unserer Partei haben Angst gehabt, auf diese schreckliche Geschichte angesprochen zu werden.

War auch das Programm falsch, mit dem Ihre Partei in den Wahlkampf gezogen ist?

Es war ein Problem, dass wir uns in grüner preußischer Genauigkeit bemüht haben, ein von A bis Z durchgerechnetes Regierungsprogramm zu schreiben. Darüber ist die grüne Erzählung verloren gegangen, das, wofür wir stehen. Und uns fehlte am Ende eine realistische Machtoption. Unsere Anhänger wollen, dass wir treu zu unseren Inhalten stehen, sie wünschen sich aber auch, dass wir diese möglichst in einer Regierung umsetzen.

Hätten Sie diese Chance jetzt nicht mit Schwarz-Grün gehabt?

Nein. Wenn die Union wirklich gewollt hätte, dann hätte sie bei der Energiewende liefern müssen. Es gab aber auch viele andere Punkte, die uns trennen: Rüstungsexporte, Mindestlohn und Bürgerversicherung, die volle Gleichstellung von Lesben und Schwulen, um nur einige Beispiele zu nennen. Ich fand es nicht so erstaunlich, dass man vernünftig miteinander reden kann. Ich duze fast die Hälfte der Teilnehmer aus der CDU-Delegation, viele kenne ich seit Jahren. Kanzleramtschef Ronald Pofalla und ich haben am selben Tag Geburtstag, wir versuchen jedes Jahr, das gemeinsam auf die ein oder andere Art zu feiern.

Die Grünen-Bundestagsfraktion hat Sie als Vizepräsidentin nominiert. Werden Sie auch in der neuen Rolle in die Türkei reisen und sich an der Seite von Demonstranten mit Tränengas angreifen lassen?

Tränengas muss nicht noch einmal sein. Aber natürlich will ich auch weiter dorthin, wo es wehtut. Unser Parlament muss außerdem wieder stärker ein Ort werden, wo die Willensbildung der Menschen Ausdruck findet. Gerade in Zeiten einer großen Koalition ist ein selbstbewusstes Parlament wichtig, das nicht der verlängerte Arm der Regierung ist.

Eine der ersten Aufgaben werden Minderheitenrechte für die Opposition sein.

Es kann nicht sein, dass die Rechte von Abgeordneten oder Fraktionen von einer Mehrheit erdrückt werden. Ich glaube auch nicht, dass wir das erst vor dem Bundesverfassungsgericht einklagen müssen, sondern dass es darüber bei den Fraktionen einen Konsens geben wird. Ein Parlament lebt davon, dass Minderheiten sich zeigen und für ihre Interessen streiten können.

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