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Er wäre gerne der nächste Ministerpräsident für Schlewsig-Holstein: der SPD-Spitzenkandidat Torsten Albig.

© picture alliance / dpa

Interview mit Torsten Albig: „Provinz ist die moderne Antwort auf die globale Welt“

Der schleswig-holsteinische SPD-Spitzenkandidat Torsten Albig über seine Distanz zur Bundespolitik, seine Wahlkampfziele und die Bedeutung der Energiewende im Norden für ganz Deutschland.

Herr Albig, Sie haben 15 Jahre lange in der Bundespolitik gearbeitet. Gibt es etwas, was Sie vermissen, seit Sie nicht mehr in der Hauptstadt tätig sind?

Berlin vermisse ich ab und zu, weil ich die Stadt gerne mag. An der Bundespolitik vermisse ich nicht viel. Seitdem ich 2009 Oberbürgermeister wurde, habe ich keine Zeit mehr, mich um diese Selbstbetrachtungswelt zu kümmern. Da stehe ich im echten, herzlichen und sehr direkten Leben. Ich möchte gerne diese Art in die Landespolitik übertragen. Auch die gerät immer mehr in Gefahr, sich mehr mit sich selber als mit der Realität zu beschäftigen.

Winfried Kretschmann ist das, was Sie werden wollen: Ministerpräsident. Er sagt, er sei Provinzpolitiker. Ist das auch Ihre Selbstbeschreibung?

Ich stehe dazu, dass ich aus der Provinz komme. Für mich ist die Provinz nicht rückständig, sondern eine moderne Antwort auf die globale Welt, die sich für viele Menschen immer schneller und unverständlicher verändert. Provinz gibt Raum, gibt Ruhe und schafft Wurzeln. Wir sollten uns in Deutschland viel stärker zu den positiven Seiten der Provinz bekennen.

Prägt das die Art Ihres Wahlkampfes?

Meist wird in Landtagswahlkämpfen versucht, einen Deutschlandwahlkampf auf Landesebene zu verkleinern. Ich versuche, einen Bürgermeisterwahlkampf so auszuweiten, dass er zu unserem Land passt, mit wenigen Großveranstaltungen und vielen direkten Begegnungen mit Bürgern. Ich will den Menschen klarmachen, dass ich nicht nur eben mal auf der Durchreise bin, sondern zu ihnen gehöre. Ich versuche, den Menschen auch Stolz zu vermitteln. Es geht mir nicht nur um Folklore, sondern um die Fähigkeiten, die die Provinz stark machen.

Wie lautet Ihr eigenes Wahlziel?

Wir wollen stärkste Fraktion werden. Ich will mit deutlichem Stimmenvorsprung Ministerpräsident einer rot-grünen Koalition werden. Wir wollen an die 40 Prozent ran. Das ist ambitioniert. Berliner Werte reichen mir nicht. Denn dann wird irgendwann der Anspruch als Volkspartei infrage gestellt.

Was sind Ihre Themen im Wahlkampf?

Bildung steht im Mittelpunkt unserer Politik. Wir können nicht Energieland Nr. 1 in Deutschland werden, wenn wir Bildungsland Nr. 16 sind. Wir brauchen ausgebildete junge Leute für die Energiewirtschaft, für den Tourismus, für den Mittelstand. Wir brauchen auch eine gute Bildung, um nicht dauerhaft in öffentlichen Haushalten Schulden zu produzieren. Das erlebe ich als OB, wenn ich in Kiel durch prekäre Viertel gehe. In manchen Quartieren haben wir pro Jahr Transferkosten über alle öffentlichen Haushalte von 50 bis 60 Millionen Euro im Jahr. Ein zentraler Grund dafür ist, dass dort Menschen mit Ausbildungsdefiziten in Sozialkarrieren gedrängt werden, die oft über mehrere Generationen weitergegeben werden. Und natürlich wollen wir unsere zentralen Wirtschaftsbereiche stärken, Tourismus, Ernährungswirtschaft und Gesundheitswirtschaft. Dazu brauchen wir auch eine gute Infrastruktur.

Energiewende, Koalitionspartner und die Piraten

Was ist die bundespolitische Bedeutung der Wahl?

Wir sind ja nicht die einzige Landtagswahl in diesem Jahr, deshalb möchte ich nicht überspitzen. Es wird die zehnte Wahl sein, in der Sozialdemokraten entweder eine Regierung verteidigen oder sie wieder erobern. Das wird die Chancen für den Politikwechsel in Berlin sicher nicht schwächen.

Und in Bezug auf die Energiepolitik, die Ihnen so wichtig ist?

Als Ministerpräsident werde ich die Energiewende voranbringen und damit ein Gegengewicht bilden zur Politik der Bundesregierung, die auf diesem Feld versagt. Unser Land kann im 21. Jahrhundert eine ähnliche Bedeutung erlangen für die Energieversorgung Deutschlands, wie das Ruhrgebiet sie im vergangenen Jahrhundert hatte – auf eine viel modernere Weise.

Wie wollen Sie die Energiewende gegen lokalen Widerstand durchsetzen?

Die Bürger sollten stärker als Eigentümer eingebunden werden. Es gibt heute schon Windparks und Netzgesellschaften in Bürgerhand. Das sind ganz bodenständige Landwirte und Kommunalpolitiker, die eine nicht spinnerte, sondern nüchtern gerechnete Alternative zu den großen Energiekonzernen aufbauen. Die finden es auch ästhetisch nicht schön, wenn überall Anlagen stehen. Sie sind aber nicht Objekt in einem Verfahren, sondern Akteure. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass diese Initiativen viel dynamischer an die Energiewende herangehen als Konzerne wie Eon oder RWE. Wir sollten die Energiewende nicht durchprügeln, sondern zu einem Projekt machen, hinter dem die ganze Gesellschaft steht.

Rot-Grün ist Ihre Wunschkoalition. Haben Sie keine Angst, dass die Grünen doch noch mit der CDU ins Geschäft kommen?

Nein. Die Grünen werben erfreulich deutlich für eine Koalition mit der SPD. Unsere Programme decken sich zu 90 Prozent, vor allem bei zentralen Themen wie Bildung und Energie. Die zehn Prozent Differenz finden Sie in der Infrastrukturpolitik. Aber dafür werden wir Lösungen finden.

Die Piraten bedrohen rot-grüne Mehrheiten sowohl in Schleswig-Holstein als auch im Bund. Wie gehen Sie mit ihnen um?

Fair und offen. Als Koalitionspartner kommen die Piraten nicht infrage, weil sie in den für mich wichtigen Politikfeldern noch keine Position haben. Wir müssen die Partei aber ernst nehmen. Im Wahlkampf müssen wir deutlich machen: Wenn die Zustimmung zu den Piraten immer größer wird, kann das Rot-Grün und damit den Politikwechsel gefährden.

SPD-Landeschef Ralf Stegner wünscht sich Frank-Walter Steinmeier als SPD-Kanzlerkandidat. Wer ist Ihr Favorit?

Das wird erst im Januar 2013 entschieden. Wir haben mit Steinmeier, Sigmar Gabriel und Peer Steinbrück drei Persönlichkeiten, die es mit der Kanzlerin aufnehmen können. Wenn morgen Bundestagswahl wäre, hätte Steinbrück sicher die besten Chancen. Aber morgen ist nicht Wahl. Manchmal bin ich mir unsicher, ob ich aus alter Freundschaft zu Steinbrück nicht sagen sollte: Warum willst du noch mal so eine Last auf dich nehmen? Aber ich bin sicher: Wenn er Spaß dran hat, wird er das toll machen.

Albig über seine Konkurrenz

Herr Albig, können Sie auch etwas Nettes über Ihren Konkurrenten um das Amt des Ministerpräsidenten, den CDU-Politiker Jost de Jager, sagen?

Er ist ein sehr kompetenter und angenehmer Wirtschaftsminister, der zu seinem Wort steht. In politischen Dingen ist er genauso unaufgeregt wie ich.

Was fällt Ihnen zum FDP-Spitzenkandidaten Wolfgang Kubicki ein?

Er verwechselt Politik mit Inszenierung.

Und der Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck?

Er ist ein sehr nachdenklicher, kluger Mensch. Das kann eine sehr fruchtbare Partnerschaft in einer gemeinsamen Regierung werden.

Kommen wir zum Schluss zum Thema Kinderbetreuung. Als Oberbürgermeister kennen Sie die Sicht der Kommunen. Ist der Rechtsanspruch für die Unter-Dreijährigen ab August 2013 erfüllbar?

Die Stadt Kiel wird es schaffen, für 40 Prozent der Kinder eines Jahrgangs Betreuungsplätze anzubieten. Das heißt aber nicht, dass wir den Rechtsanspruch erfüllen. Es wird mehr Eltern geben, die eine Kinderbetreuung einfordern. Meine Fachleute sagen mir, dass wir mit mehr als 60 Prozent Nachfrage rechnen müssen, wie in den ostdeutschen Städten. Wenn wir massenhafte Klagen verhindern wollen, müssen wir uns enorm anstrengen. Wir Kommunen haben massive Probleme, Erzieherinnen zu finden. Der Bund darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Wir brauchen eine bundesweite Offensive, sonst fehlt uns schlicht das Personal für die Betreuung.

Heißt Rechtsanspruch, dass man die Kinder notfalls im Büro des OB abgeben kann?

Wer keinen Kitaplatz bekommt, wird die Kommune auf Schadenersatz für das Einkommen verklagen, das ihm entgeht, weil er das Kind hüten muss. Dabei steht eigentlich die Bundesfamilienministerin im Wort. Aber vielleicht wird der Druck in den nächsten Monaten ja so massiv, dass die Ministerin … Wie heißt sie noch?

Kristina Schröder.

Ach ja. Vielleicht wird der Druck so groß, dass Frau Schröder sich endlich engagiert. Es wäre zum ersten Mal in der Geschichte der Republik, dass der Staat einen Rechtsanspruch nicht einlösen kann, weil Personal und Infrastruktur fehlen. Das muss die Politik auf allen Ebenen verhindern. Wir müssen uns alle den 1. August 2013 dick im Kalender anstreichen, damit er nicht zu einem schwarzen Tag wird.

Das Gespräch führten Cordula Eubel und Hans Monath.

ZUR PERSON

SOZIALDEMOKRAT

Der studierte Jurist Torsten Albig wechselte 1994 aus der Landesfinanzverwaltung in die Landesvertretung Schleswig-Holsteins in Bonn. Zwei Jahre später holte ihn SPD-Chef Oskar Lafontaine in sein Büro. Dem Finanzminister Lafontaine und auch dessen zwei Nachfolgern Hans Eichel und Peer Steinbrück (beide SPD) diente er als Sprecher.

OBERBÜRGERMEISTER

Im Juni 2009 wurde Albig mit 52 Prozent im ersten Anlauf gegen die CDU- Amtsinhaberin in Kiel zum OB gewählt. Zuvor war er unter anderem Stadtkämmerer und Konzernsprecher der Dresdner Bank.

SPITZENKANDIDAT

Im vergangenen Jahr setzte sich Albig als Spitzenkandidat in einer Urwahl der SPD gegen Landeschef Ralf Stegner durch. Auf seiner Homepage schreibt der 48-Jährige nun selbstbewusst: „Ich bin gut vorbereitet für den nächsten Schritt.“

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