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Exklusiv

Interview: Obama: "Deutschland ist eine globale Führungsmacht"

Es ist das erste Interview des US-Präsidenten Obama mit einem deutschen Medium: Barack Obama betont seine Freundschaft zu Kanzlerin Merkel, will sie diese Woche in Washington aber auch um ein stärkeres Libyen-Engagement bitten.

Sie zeichnen Kanzlerin Merkel am Dienstag mit der Freiheitsmedaille aus, dem höchsten zivilen Orden der USA. Welche Eigenschaften schätzen sie an ihr, die sie vielleicht von anderen europäischen Führern unterscheiden?

Nach meinem Gefühl ist Kanzlerin Merkel eine ausgezeichnete Wahl, weil sie das Versprechen der Freiheit verkörpert und die Chancen, die die Demokratie bietet. Nach dem Fall der Berliner Mauer und der deutschen Einheit hat sie Schranken überwunden, in dem sie als erste Ostdeutsche – und erste Frau – Kanzlerin wurde. Ihre Lebensgeschichte ist eine Inspiration für mich persönlich, für meine amerikanischen Mitbürger und für Menschen rund um die Erde. Sie selbst hat gesagt und ihre Biografie zeigt: "Freiheit kommt nicht von selbst. Für Freiheit muss man jeden Tag kämpfen und sie aufs Neue verteidigen." Außerdem ist sie eine aufrichtige Freundin Amerikas und eine unbeirrbare Verfechterin des Bündnisses zwischen den USA und Deutschland. Ich freue mich sehr darauf, ihr beim Staatsdinner die Freiheitsmedaille zu überreichen.

Der Umgangsstil zwischen Kanzlern und Präsidenten hat sich im Lauf der Zeit verändert. Helmut Kohl, Boris Jelzin und George Bush Senior haben sich umarmt. George W. Bush gab Angela Merkel eine Nackenmassage. Die Körpersprache zwischen Ihnen, Herr Präsident, und der Kanzlerin wirkt zurückhaltender – manche sagen, respektvoller. Andere meinen, nüchterner. Warum ist das so? Verkörpern Sie beide einen anderen Typus von Staatenlenkern im Vergleich zur vorigen Generation? Oder liegt es an den düsteren Zeiten mit Krieg, Rezession und Krisen?

Ich arbeite gerne mit Kanzlerin Merkel zusammen. Ich betrachte sie als gute Freundin und einen meiner engsten Partner in der Welt. Das ist einer der Gründe, warum ihr Besuch in Washington den ersten offiziellen Besuch mit einem Staatsdinner für einen europäischen Regierungschef in meiner Präsidentschaft markiert. Zum zehnten Mal seit meinem Amtsantritt als Präsident werden wir von Angesicht zu Angesicht miteinander diskutieren. Darüber hinaus sprechen wir häufig am Telefon und in Videokonferenzen miteinander. Meine Freundschaft mit Kanzlerin Merkel gründet auf meinem hohen Respekt und meiner Bewunderung für ihre Führungsqualitäten und auf der Erfahrung, dass ich ihr vertrauen kann, wenn sie eine Zusage macht. Unsere Nationen haben seit meinem ersten Amtstag viele Herausforderung gemeinsam bestanden. Und ich bin ihr persönlich sehr dankbar für ihre Freundschaft und Partnerschaft.

In den jüngsten Jahrzehnten hat es mehrfach Rezessionen gegeben. Dabei zeigte sich ein verlässliches Muster: Die Erholung in den USA begann früher und die Wachstumsraten waren höher als in Europa und speziell in Deutschland. Diesmal ist es anders. Deutschland hat die jüngste Rezession besser gemeistert als die USA. Warum? Und gibt es da etwas, das Amerika vom deutschen Beispiel lernen kann?

Ich bin dankbar, dass es in unseren beiden Volkswirtschaften wieder Wachstum gibt, auch wenn wir nicht immer dieselben Wege dorthin beschreiten. Mir ist bewusst, dass wir ganz unterschiedliche historische Erfahrungen haben, aus denen wir unsere Politik ableiten. Amerika ist geprägt von der Erinnerung an die hohe Arbeitslosigkeit während der Depression in den 1930er Jahren, in Deutschland hat die hohe Inflation Narben hinterlassen. Unsere grundlegenden Ziele sind aber dieselben: Wir sind uns einig, dass die Märkte verlässlich funktionieren müssen und dass Deutschland und die USA im Zentrum der Bemühungen um ein nachhaltiges und global ausgeglichenes Wachstum stehen müssen. Deutschland musste wie viele andere europäische Staaten harte Entscheidungen bei Ausgaben und Einsparungen treffen. Auch wir setzen uns damit auseinander. Wir arbeiten alle daran, die richtige Balance zu finden zwischen einer Konjunkturförderung, die für eine kräftige Erholung nötig ist, und den erforderlichen Schritten, um unsere langfristige finanzpolitische Zukunftsfähigkeit zu garantieren. Deutschland hat große Erfolge bei der Beschäftigung erzielt. Meines Wissens haben heute mehr Deutsche einen Arbeitsplatz als je zuvor in der Geschichte des vereinten Deutschlands. Viele deutsche Betriebe haben kreative Wege gefunden, wie sie in einer sich rapide verändernden Weltwirtschaft wachsen können – mit einem Schwerpunkt auf "grünen Jobs" und neuen Technologien. Darauf konzentrieren auch wir uns in den USA.

In Ihrer Rede vor dem britischen Parlament haben Sie die Sichtweise zurückgewiesen, dass Amerika und Europa im Niedergang seien und dass die Zukunft aufstrebenden Nationen wie China, Indien und Brasilien gehöre. Sie sagten, die USA und Europa seien weiterhin führend in der Wirtschaft, der Forschung und der Freiheit der Individuen. Wo liegen die besonderen Stärken Deutschlands und wo soll es seine Führungsrolle sehen?

Deutschland hat außerordentlich begabte, gut ausgebildete und fleißige Arbeitskräfte und ist deshalb eine globale Wirtschaftsmacht. Es hat sich auch als eine Führungsmacht in der EU erwiesen, die sich für Integration, Stabilität und Frieden einsetzt. Sein Einsatz für die Umwelt ist bewundernswert, und von Deutschland können wir manches darüber lernen, wie mehr Umweltfreundlichkeit zugleich zu mehr Wachstum führen kann. Es ist bemerkenswert, dass Deutschland das alles erreicht hat, während es hart daran arbeitete, die Einheit und eine gemeinsame Identität nach 1989 zu schaffen. Dieser Erfolg ist beachtlich und zu einem Gutteil der Führung durch Kanzlerin Merkel zu verdanken. 1989 hat Deutschland den Weg zur Freiheit für die Länder des früheren Warschauer Pakts geebnet. Zwei Jahrzehnte später dient es als Beweis, dass Demokratie diejenigen belohnt, die zu harter Arbeit und zu Opfern bereit sind.

Und umgekehrt: Was kann Deutschland besser machen, um mehr globale Verantwortung und Führung zu übernehmen? Es wurde dafür kritisiert, dass es sich nicht an der Nato-Operation in Libyen beteiligt. Wie verändert eine solche Erfahrung Ihre Beziehung zu Angela Merkel? Eine Folge war offenbar, dass Deutschland nicht an den militärischen Beratungen teilnimmt.

Deutschland ist bereits eine globale Führungsmacht. Wir sind in ständigem Kontakt, um unsere Anstrengungen zu koordinieren. 7000 deutsche Soldaten dienen in verschiedenen Einsätzen rund um die Erde und leisten so einen bedeutenden Beitrag zum internationalen Frieden und zur Sicherheit. Besonders schätzen wir die Beteiligung an den ISAF-Truppen in Afghanistan. Die 5000 deutschen Soldaten sind das drittgrößte nationale Kontingent. Darüber hinaus hat Deutschland das Kommando im gesamten Norden, leitet zwei regionale Aufbauteams und stellt die Logistik für alle ISAF-Einheiten in dem Befehlsbereich, darunter für mehrere tausend US-Soldaten. Dieser Einsatz führt natürlich auch zu Opfern. Unsere Herzen sind bei den Angehörigen der mehr als 50 Deutschen, die ihr Leben dort für die Sicherheit unserer Länder gegeben haben, einige davon in den jüngsten Wochen.

Zu Libyen: Keine Entscheidung ist schwerer als die, ob man die eigenen Soldaten und Soldatinnen in einen bewaffneten Konflikt schickt. Wir danken Deutschland dafür, dass es die Nato-Einsätze an allen Schauplätzen unterstützt, vom Balkan bis Afghanistan, am Horn von Afrika und in Libyen. Als Nato-Mitglied ist Deutschland Teil der Kommandostruktur der Nato und leistet bedeutende Beiträge zu allen Operationen. Ich möchte Deutschland dafür loben, dass es kürzlich Awacs-Überwachungsflugzeuge nach Afghanistan verlegt hat und es so anderen Ländern erlaubt, ihre Piloten und Flugzeuge in Libyen einzusetzen. Deutschland spielt eine wichtige Rolle bei der Antwort auf den demokratischen Wandel in Nordafrika. Ich freue mich auf die Diskussion mit der Kanzlerin, wie wir gemeinsam noch mehr tun können, um effektiver auf die Veränderungen in der Region zu reagieren, inklusive Libyen.

Solche Freiheitsbewegungen stellen uns auf die Probe: Wie wägt man ab zwischen der großen Hoffnung, dass sie zum Erfolg führen, und den Lehren aus der Geschichte, dass sie fast nie im ersten Anlauf gelingen? Polen, Tschechen und Ungarn mussten mehrere Aufstände wagen, bis sie die kommunistische Diktatur 1989 stürzen konnten. Wie viel Wandel dürfen wir realistischerweise in einer Region wie Nordafrika erwarten, die keine praktische Erfahrung mit Demokratie hat?

Wir wissen, dass der Nahe Osten und Nordafrika vor vielen Herausforderungen stehen. Solche Übergänge sind nicht einfach und brauchen ihre Zeit. Aber wie ich schon mehrfach gesagt habe: Dies ist ein historischer Moment, eine historische Gelegenheit. Die Forderungen nach politischen und ökonomischen Reformen, die die Menschen aus dieser Region stellen, sind legitim und müssen erfüllt werden. Gewalt gegen friedliche Demonstranten ist unakzeptabel und muss enden. Die Anführer, die Gewalt gegen ihr eigenes Volk anwenden, müssen begreifen, dass sie den Ruf nach Wandel durch Unterdrückung nicht ersticken können.

Manche Veränderungen, die wir erleben, sind monumental – zum Beispiel in Ägypten. Wie ich letzte Woche in Europa sagte, ist das Beispiel der früheren Warschauer-Pakt-Staaten lehrreich. Als ich in Warschau mit Präsidenten aus Mittel- und Osteuropa zu Abend aß, hat mich eine Aussage tief bewegt. Einer meiner Kollegen sagte mir, vor 20 Jahren haben auch manche Leute die Meinung vertreten, dass die Länder Osteuropas mit der Demokratie nicht zurecht kommen würden, dass ihre Kulturen unvereinbar seien mit Demokratie. Aber Amerika hatte den Glauben an diese Länder, sagte er, und es gelang ihnen, den Kommunismus zu beseitigen und den Übergang zur Demokratie zu meistern. Heute wolle sein Land den Dank zurückgeben, indem es die Menschen unterstütze, die sich jetzt im Nahen Osten und Nordafrika danach sehnen, frei zu sein. Das ist eine gute Lehre für uns alle. Der Mangel an demokratischer Erfahrung in der Region bedeutet nicht, dass der Wunsch der Völker dort nach Freiheit weniger Wert hat oder in geringerem Maß unsere Unterstützung verdient.

Erlauben Sie mir zum Abschluss eine Frage, die ich auch Ihrem Vorgänger im Weißen Haus 2007 gestellt habe. Die USA sind eine Weltmacht. Deutschland ist – wie Großbritannien und Frankreich – eine Mittelmacht: ziemlich wichtig für die meisten anderen Staaten, aber ständig in Sorge, dass es wenig Einfluss auf die Entscheidungen der Supermacht nehmen kann, aber deren Folgen mittragen muss, von Kriegen bis zur Finanzkrise. Können Sie mir ein Beispiel geben, wo Sie Ihre Meinung geändert haben, nachdem Sie ein Problem mit einem europäischen Regierungschef diskutiert haben, vielleicht sogar mit der Kanzlerin?

Ich berate mich bei jeder wichtigen Frage auf meiner internationalen Agenda mit der Kanzlerin, und ich schätze ihren Pragmatismus und ihre offenen Worte sehr. Wir sind nicht immer einer Meinung; nicht einmal zwei Verbündete sind das immer. Aber bei unseren Treffen und Diskussion sprechen wir stets ehrlich und offen miteinander, wie enge Freunde das tun sollen. Und ich glaube, dass unser Ansatz, wie wir gemeinsamen Herausforderungen begegnen, deshalb stärker ist. Ich bin fest überzeugt, dass die Probleme der heutigen Welt unser gemeinsames Handeln verlangen. Wie schon gesagt: Unsere Beziehung zu Europa ist der Grundstein für unseren Umgang mit der Welt und das Mittel zu globalem Handeln. Deutschland bildet das Zentrum Europas, und die Kooperation zwischen den USA und Deutschland ist der Schlüssel zu allem, was wir in der Welt zu erreichen hoffen.

Die Fragen stellte Christoph von Marschall.

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