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Interview: „Symbiose von Bayern und CSU gibt es nicht mehr“

Bayerns Landtagspräsident Alois Glück über den Lernprozess der Christsozialen – und den „Kulturbruch“ durch die Finanzkrise

Ihre Devise lautet: vom Leben lernen. Was lernen Sie, was lernt Ihre Partei denn aus dem Wahldebakel der CSU in Bayern.

Wir müssen lernen, dass sich eine massive Stimmung gegen eine absolute Mehrheit der CSU aufgebaut hat, selbst in unsere eigene Wählerschaft hinein. Selbst Bürger, die uns gewählt haben, finden es ganz gut, dass wir nicht allein regieren. Die frühere Symbiose zwischen Bayern und der CSU gibt es so nicht mehr. Deshalb sind unsere Wahlkampagnen am Schluss auch ins Leere gelaufen. Daraus müssen wir Konsequenzen ziehen.

Lag das Problem auch an der Doppelspitze – Erwin Huber als CSU-Chef und Günther Beckstein als Ministerpräsident?

Die Hauptursache für das radikale Wahlergebnis nur der Doppelspitze zuzuordnen, wäre eine gefährliche Reaktion nach dem Motto: Wir haben Sündenböcke und brauchen nicht weiterzudenken. Dafür, wie die CSU in den vergangenen fünf Jahren auf die Menschen gewirkt hat, müssen wir gemeinsam einstehen. Die Ursachen liegen in der gesamten Legislaturperiode: von der Regierungserklärung 2003 bis hin zu Spontanbeschlüssen wie dem zum Nichtraucherschutz.

Konnte die CSU nicht mehr auseinanderhalten, was Staat und was Partei ist?

Das war nicht so. Aber es hat sich eine Selbstverständlichkeit im Denken eingeschlichen, dass man mit einer absoluten Mehrheit automatisch auch das Mandat hat, das Notwendige zu tun. Dieses konsequente Regierungshandeln war für Bayern ja auch über Jahrzehnte erfolgreich. Und wirklich populär war unsere absolute Mehrheit nie. Vor jeder Wahl mussten wir uns damit auseinandersetzen, dass viele keine derart starke CSU wollten. Am Schluss haben sie dann aber doch – im Sinne ihrer eigenen Interessen und im Sinne Bayerns – diese Bedenken zurückgestellt. Nun hatten die Menschen nicht mehr den Eindruck, dass diese absolute Mehrheit noch wünschenswert ist.

Und sie haderten mit Stoibers Sparkurs. Aber waren das nicht Peanuts für die Bewohner eines so wohlhabenden Landes?

Wir haben den Menschen bis 2003 niemals das Gefühl vermittelt, dass Reformen notwendig sind. Stattdessen haben wir ihnen signalisiert: Bei uns ist alles in Ordnung, Bayern ist eine heile Welt. Insofern traf der Reformkurs, der in meinen Augen notwendig war, die Menschen unvorbereitet, es war ein Schock für sie. Dazu kam dann, wie rigoros die Maßnahmen durchgesetzt wurden. Man hatte sich daran gewöhnt, dass man ständig erfolgreich ist und alles immer noch besser wird. Das verwöhnt die Bevölkerung, und das hat auch die CSU verwöhnt.

Der frühere CSU-Generalsekretär Gerold Tandler sagt: Der einzige Schuldige an dem Desaster heißt Edmund Stoiber.

Das ist zu einseitig. Alle, die ein Parlamentsmandat hatten, müssen in den Spiegel schauen. Wir haben ja, wenn auch oft zögerlich und mit Skepsis, allem zugestimmt. Insofern bin ich strikt gegen Schuldzuweisungen an einzelne Personen. Das gilt dann aber für Ministerpräsident Günther Beckstein und CSU-Chef Erwin Huber ganz genauso. Sie sind nicht die Hauptschuldigen. Ich wünsche mir, dass alle zu ihrer Verantwortung stehen und wir jetzt nicht in Sündenbockmanier diskutieren. Wenn sich keiner aus seiner Verantwortung stiehlt, können wir auch über nötige Konsequenzen diskutieren.

Mit Horst Seehofer hat die CSU eine neue Führungsfigur. Ist das auch ein inhaltliches Signal: Nach dem Finanzexperten Huber kommt nun der Sozialexperte?

Es ist die große Stärke der CSU, dass wir keine Richtungskämpfe haben und mit einem Personalwechsel auch kein Richtungswechsel verbunden ist. Das ist übrigens der fundamentale Unterschied zur SPD. Die CSU ist in ihrer inhaltlichen Übereinstimmung einmalig in Deutschland. Natürlich setzt jeder persönliche Akzente. Aber Horst Seehofer weiß auch, dass er jetzt nicht mehr eine Schwerpunktrolle für ein bestimmtes Thema hat, sondern Verantwortung fürs Ganze.

Nun wird Seehofer beides: CSU-Chef und Ministerpräsident. Läuft die CSU nicht Gefahr, ein veraltetes Modell zu installieren: einer, der alles retten soll?

Es ist ganz natürlich, dass man sich nach einer derart massiven Lektion nach starker Führung sehnt. Aber Horst Seehofer hat auch selber betont, dass er nicht alles allein leisten kann und nicht der Heilsbringer ist. Der Erfolg für die Partei und für ihn wird ganz wesentlich von der Qualität der Teamführung abhängen – ob die in der Partei vorhandene Kompetenz genutzt und auch der nachfolgenden Generation die Chance gegeben wird, sich zu entwickeln und zu profilieren.

Hat die Doppelfunktion nur Vorteile? Sie selbst hatten erst dafür plädiert, dass Seehofer als Parteichef in Berlin bleibt.

Wir haben in der CSU mit beiden Konstellationen gute Erfahrungen, je nach Situation und Personen. Die Schwäche der jetzigen Doppelrolle liegt darin, dass Horst Seehofer nicht die Liste zur Bundestagswahl anführen kann. In dieser Rolle fällt er als Lokomotive aus. Aber das hat sich eben aus der Situation so ergeben.

Seehofer war in der Landtagsfraktion nie beliebt und auch immer weit weg von München. Gibt das Probleme?

Die CSU hatte immer eine erstaunliche Fähigkeit, sich auf veränderte Situationen einzustellen. Unabhängig von irgendwelchen Präferenzen und Vorbehalten wissen alle, dass der gemeinsame Erfolg nur möglich ist durch solidarisches Handeln. Da müssen Bedenken zurückgestellt werden, und auch Verletzungen der Vergangenheit dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen. Das gilt für alle Beteiligten.

Für die CSU ist eine Koalition eine neue Welt. Wie lange werden Partei und Fraktion brauchen, um sich daran zu gewöhnen?

Das ist natürlich ein Lernprozess. Bisher war es so, dass das, was wir in der Fraktion beschlossen haben, gleichzeitig die Mehrheit und damit das Ergebnis im Plenum war. Den Kolleginnen und Kollegen in der Landespolitik war die Situation der Landesgruppe in der Berliner Koalition daher oft nicht ganz verständlich. Künftig kommen Ministerpräsident und Fraktionsvorsitzender aus dem Koalitionsausschuss und berichten, was mit dem Partner möglich ist – und oft wird das nicht das sein, was aus CSU-Sicht optimal wäre.

Trauen Sie Ihrer Fraktion die erforderliche Lernfähigkeit zu?

Es gibt dazu keine Alternative.

In Berlin erleben wir derzeit eine sehr laute CSU, die etwa bei der Erbschaftsteuer den Zorn der CDU erweckt. Wird die CSU zum beleidigten, egozentrischen Störfaktor?

Die CSU schrumpft nicht auf eine solche Haltung. Jetzt wird vielleicht nur stärker wahrgenommen, was wir zur Erbschaftsteuer immer schon gesagt haben. Aber in der CSU gibt es auch eine sehr starke Verstimmung über die, vorsichtig gesagt, nicht gerade ausgeprägte Unterstützung bei der Landtagswahl durch die CDU und deren Führung.

Wie wirkt sich diese Verstimmung aus?

Wir wissen, dass wir nicht aus Verärgerung heraus Politik gestalten können. Die Union kann auf Bundesebene nur im Miteinander regierungsfähig sein, nicht im Neben- oder Gegeneinander. Die CDU wird nur Regierungsverantwortung haben mit einer starken CSU – die dann aber auch in schwierigen Situationen Unterstützung benötigt. Die CSU war der stabilisierende Faktor, als die CDU wegen der Spendenaffäre in einer tiefen Krise steckte. Und wir haben keine kraftmeierischen Sprüche von uns gegeben, wie sie nun aus Teilen der CDU an uns gerichtet werden.

Was verändert denn die Weltfinanzkrise für die CSU und für die anderen Parteien?

Wir stehen nicht nur vor einer veränderten ökonomischen Situation, die demnächst in den Haushalten massive Auswirkungen haben wird. Wir erleben ein Stück Kulturbruch. Die Faszination des immer Höher, Schneller, Weiter ist vorbei. Wir müssen darauf achten, dass das Pendel nicht ins andere Extrem ausschlägt, in Richtung von Verweigerung der modernen Welt und der Globalisierung. Dies ist eine ganz tief gehende Krise. Das Denken, die Maßstäbe müssen umgestellt werden. Es darf nicht mehr die kurzfristige Maximierung des Erfolgs im Vordergrund stehen, sondern ein längerfristiges Denken auch im Sinne einer ethischen Verantwortung für nachkommende Generationen. Wir müssen eine zukunftsfähige Kultur entwickeln. Mit der amerikanischen Lebensweise als Leitkultur sind wir nicht zukunftsfähig.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Rainer Woratschka.

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