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INTERVIEW: „Unsere Grundwerte haben sich gefestigt“

Hat sich Norwegen verändert?Nicht so sehr, wie man hätte erwarten können.

Hat sich Norwegen verändert?

Nicht so sehr, wie man hätte erwarten können. In anderen Ländern hätte eine solch brutale Tat zu militanteren Aktionen im Sinne von „Breivik, Kopf ab!“ geführt. Auch der Prozess lief ohne Zwischenfälle ab. Unser Konsens, ein ausgeprägt humanes Strafrecht zu haben, wurde nie wirklich infrage gestellt. Eine politische Diskussion zur Verhärtung des Strafwesens hat es nicht gegeben.

Wird Breivik für unzurechnungsfähig erklärt?

Ich denke, das Gericht wird dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einweisung in eine Psychiatrie stattgeben, denn die Gutachter kommen mehrheitlich zu dem Ergebnis, dass er schuldunfähig ist. Allerdings denke ich, dass Breivik dagegen Berufung einlegen wird. Er will ja ernst genommen werden und hat sich im Prozess bemüht, geistig gesund und logisch zu wirken. Und was im Ausland wenig bekannt ist: In der zweiten gerichtlichen Instanz in Norwegen haben Laienrichter mehr Macht als professionelle. Und da das Volk mehrheitlich der Meinung zu sein scheint, dass Breivik zurechnungsfähig ist, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er letztlich für zurechnungsfähig erklärt wird.

Geht Norwegen gestärkt aus den Ereignissen hervor?

Insgesamt haben sich unsere humanistischen Grundwerte gefestigt. Allerdings befürchte ich, dass es in den kommenden Jahren Initiativen von Hardlinern geben könnte, Norwegens Rechtswesen zu verhärten. Ich hingegen finde es wichtig, dass wir selbst bei der Behandlung von Tätern wie Breivik keine Ausnahme machen – auch wenn ausländische Medien sich darüber wundern, wie wir einem solchen Massenmörder einen so menschlichen Gefängnisaufenthalt, mit Freizeitangeboten wie für alle anderen Inhaftierten, ermöglichen. Es ist eine Prinzipienfrage, dass wir für Breivik keine Ausnahme machen.

Thomas Mathiesen (78) ist Rechtssoziologie und emeritierter Professor der Universität Oslo. Er war Gutachter beim Prozess. Mit ihm sprach Andre Anwar.

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